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Übergriff in Potsdam: Nach Angriff auf Kippa-Träger droht Täter hohe Strafe

Nach dem mutmaßlich antisemitischen Vorfall am Hauptbahnhof laufen die Ermittlungen. Das Opfer ist AfD-Mitglied. Ein Parteifreund nutzt den Angriff politisch aus.

Potsdam - Nach dem mutmaßlich antisemitischen Angriff auf einen Potsdamer mit Kippa am Samstag gehen die Ermittlungen weiter. Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft den Fall übernommen. Genauere Angaben zum Stand des Verfahrens oder zum Hergang des Übergriffs wurden am Montag nicht gemacht. Die Staatsanwaltschaft werde die Ergebnisse der polizeilichen Ermittlungen sichten, sagte eine Sprecherin den PNN.

Ermittlungen wegen Volksverhetzung

Wie berichtet hatte ein 25-Jähriger am Samstagnachmittag die Polizei gerufen, weil er an der Straßenbahnhaltestelle am Potsdamer Hauptbahnhof angegriffen worden sei. Der Student sei am Samstagnachmittag um 16.30 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz aus der Straßenbahn gestiegen und dann unvermittelt angespuckt worden, hatte die Polizei mitgeteilt. Außerdem sei er antisemitisch beleidigt worden. Der Verdächtige soll den 25-Jährigen als „Drecksjude“ bezeichnet haben. Als Polizisten eintrafen, hielten sich der junge Mann sowie der Tatverdächtige noch vor dem Bahnhof auf. Tatverdächtig ist ein 19-Jähriger mit syrischer Staatsangehörigkeit. Gegen dessen Begleiter, einen 17-Jährigen mit ebenfalls syrischer Staatsangehörigkeit, wird nach Polizeiangaben nicht ermittelt. Er wurde jedoch als Zeuge befragt.

Ermittelt wird nach Angaben der Polizei vom Montag wegen Volksverhetzung. Nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuches wird unter anderem bestraft, wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet. Im Falle einer Verurteilung kann eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren drohen.

Jüdische Gemeinde besorgt

Die Jüdische Gemeinde Potsdam zeigte sich am Montag besorgt. „Der Angriff traf uns unerwartet. Die Mitglieder unserer Gemeinde sind sehr verunsichert“, erklärte der Vorsitzende der Potsdamer Gemeinde, Evgeni Kutikow, auf Anfrage. „Wir wünschen uns, dass Potsdam eine sichere Stadt für Juden bleibt.“ Der Vorfall müsse so schnell wie möglich aufgeklärt werden, forderte Kutikow. Antisemitisches Verhalten müsse Konsequenzen haben. Darüber sollten auch Mitbürger muslimischen Glaubens aufgeklärt werden. „Vielleicht war es dem Angreifer nicht klar, dass er das nicht tun darf“, so Kutikow.

Auch Ud Joffe von der Potsdamer Synagogengemeinde reagierte am Montag bestürzt. „Einen Menschen von hinten zu überfallen, nur weil er eine Kippa trägt, muss in Deutschland wirklich ein ,no go’ bleiben“, sagte er den PNN. „Als einer, der sich gerade für die Gestaltung der Potsdamer Synagoge als offenes und einladendes Zentrum einsetzt, hoffe ich sehr, nie einen Grund zu haben, es zu bereuen.“ Auch Joffe forderte die Aufklärung der Hintergründe.

Schon häufig beleidigt oder attackiert

Der mutmaßlich angegriffene Student sagte der Deutschen Presse-Agentur, er trage aus persönlichen Gründen täglich die Kippa. „Als ich am Hauptbahnhof aus der Straßenbahn ausgestiegen bin, habe ich hinter mir Schatten wahrgenommen“, berichtete er. Im nächsten Moment sei er angespuckt, antisemitisch beleidigt und mit Gebärden bedroht worden. Nach eigenen Angaben ist der Mann als Christ geboren und hat den jüdischen Glauben für sich vor einigen Jahren angenommen. Er ist derzeit kein Mitglied einer Jüdischen Gemeinde. Zum Judentum kann man nicht einfach konvertieren. Dazu ist mehrjähriger Unterricht und die Entscheidung eines Rabbinatsgerichts notwendig. Diesen Prozess habe er noch nicht durchlaufen. Wegen des Kippatragens sei er schon häufig beleidigt oder attackiert worden, allerdings nicht in Potsdam, sagte der Student den PNN.

Parteifreund nutzt Übergriff aus

Der 25-jährige ist nicht nur Student, sondern er engagiert sich auch in der Potsdamer AfD. In einer Presseerklärung von Anfang Juli, in der es auch um antisemitische Übergriffe ging, wurde er sogar als Potsdamer Sprecher der Vereinigung Juden in der AfD genannt. Er selbst sagt, er habe keine Funktion. Den mutmaßlichen Übergriff hatte am Samstagabend der AfD-Landtagskandidat Chaled-Uwe Said auf seiner Seite im sozialen Netzwerk Facebook öffentlich gemacht. Den Vorfall nutzte Said, um die Forderung nach der Abschiebung von Flüchtlingen zu erheben. Er sei am Samstag gemeinsam mit dem Kippaträger bei drei Wahlkampfständen unterwegs gewesen, sagt er den PNN. Später seien beide mit der Tram Richtung Innenstadt gefahren. Am Hauptbahnhof sei der 25-Jährige ausgestiegen. Den Übergriff habe Said nicht gesehen.

Hass und Toleranz werden nicht geduldet

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte sich bereits am Sonntag geäußert. Er nehme den Vorfall sehr ernst. Potsdam sei eine Stadt der Toleranz und habe aus der Geschichte gelernt. „Hass und Gewalt aus politischen und religiösen Motiven dulden wir in unserer Stadt nicht.“ Nun müssten die Ermittlungen zügig Klarheit über die mutmaßlichen antisemitischen Motive schaffen. „Das tolerante Klima in der Stadt, die gute Integrationsarbeit und den Integrationswillen der Geflüchteten in unserer Stadt lassen wir uns nicht von Einzeltätern zerstören“, betonte Schubert.

Nach Angaben des Innenministeriums von Anfang Juli auf eine Anfrage der AfD im Landtag wurden in Brandenburg von Januar bis Mai 51 - in Potsdam fünf - politisch motivierte Straftaten im Bereich Hasskriminalität und Antisemitismus registriert. Das waren 13 Fälle oder rund ein Drittel mehr als im gleichen Zeitraum 2018. In lediglich zwei der 89 Delikte in beiden Zeiträumen ging es um Straftaten aus religiöser Ideologie.

(mit dpa)

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