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Potsdam hat Konzepte zur Anpassung an den Klimawandel - aber die Umsetzung läuft zu schleppend.

© Andreas Klaer

Trotz "Klimanotstand" zu wenig passiert: Potsdam scheitert bislang beim Hitzeschutz

Hitze wird die Stadt im Zuge des Klimawandels stärker belasten. Potsdam ist darauf nicht genug vorbereitet, warnen Expert:innen. Was passieren müsste und wo es erste Erfolge gibt.

Potsdam - Die Fakten sind lange bekannt, aber passiert ist bislang viel zu wenig: Vertreter des Potsdamer Klimarates, eines zehnköpfigen Expertengremiums zur Beratung der Stadt in Klimafragen, und weitere Potsdamer Klimawissenschaftler mahnen ein entschlosseneres Vorgehen an. Nur dann könne Potsdam die mit dem Klimawandel einhergehende steigende Hitzebelastung in den Griff bekommen.

Die Krise ist schon da - Dürresommer seit 2018 keine "Ausnahmejahre"

Schon jetzt ist die Zahl der heißen Tage, also der Tage, an denen die Temperatur 30 Grad oder mehr beträgt, deutlich gestiegen: Gab es im Zeitraum von 1971 bis 2000 im Mittel noch jährlich 9,6 Hitzetage in Potsdam, sind es jetzt durchschnittlich bereits 15, wie Fritz Reusswig, Soziologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Mitglied im Klimarat und Mitautor des 2015 vorgelegten Klimaanpassungskonzeptes für Potsdam, auf PNN-Anfrage vorrechnete. „Bis 2040/50 werden es 20 sein“, sagt Reusswig: „Bis 2100 sind sogar 30 bis 40 Hitzetage drin, im Extremfall 100.“

Mehr Hitzetage, längere Trockenperioden, häufigere Starkregen

Der Blick auf die von Trockenheit geprägten Sommer von 2018 bis 2020 mit je 20 bis 33 Hitzetagen illustrieren diese Prognosen eindrücklich. Im laufenden Sommer sind schon neun heiße Tage erreicht – in der kommenden Woche wird mit weiteren gerechnet. „Die Leute denken immer noch, das sind Ausnahmejahre“, sagt Reusswig: „Aber die Erhitzung ist bereits passiert. Das wird massiv zunehmen.“

Erschwerend hinzu kommt der Trend zu langen Trockenperioden und mehr Starkregen. Den klassischen Landregen im Sommer gebe es kaum noch, sagt Reusswig. Wenn aber Starkregen auf ausgetrockneten Boden trifft, fließt er schnell wieder ab. Auch bei der Wasserknappheit sei Potsdam schon im Krisenmodus, so die Diagnose des Forschers.

Hitze ein Problem für Gesundheit und Vegetation

Hitze und Trockenheit haben nicht nur Folgen für Baumbestand und Vegetation. Wie berichtet geht allein die Schlösserstiftung seit 2018 von Hunderten verlorenen Bäumen aus. „Das Baumsterben in den Parks ist dramatisch“, sagt Sophie Haebel, Klimaratsmitglied und Expertin für Energietechnologien: „Das Grünvolumen bricht uns gerade weg.“ Weniger Grünvolumen in der Stadt wiederum verstärkt die negativen Effekte der Hitze – denn Bäume haben als Schattenspender und über die Verdunstungskälte einen kühlenden Effekt.

Fritz Reusswig, Klimarat Potsdam.
Fritz Reusswig, Klimarat Potsdam.

© Andreas Klaer

Die Hitze hat für die Menschen gesundheitliche Folgen. Klimasoziologe Reusswig geht von derzeit rund 20 hitzebedingten Todesfällen pro Jahr in Potsdam aus. Simon Jüngling, Medizinstudent und für Fridays for Future im Klimarat, verweist auf den Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und Krankenhauseinweisungen mit Herz-Kreislauf-Beschwerden. Betroffen seien insbesondere kleine Kinder, Senioren, Schwangere und Vorerkrankte. Denn bei ihnen gerate der Wärmehaushalt schneller aus dem Gleichgewicht. „Ältere Menschen haben einen schwächeren Kreislauf und ein vermindertes Durstgefühl“, erklärt Jüngling weiter. Besonders alleinlebende Ältere sowie Menschen in Kliniken und Pflegeheimen bräuchten darum besonderen Schutz: „Darauf ist Potsdam noch nicht ausreichend vorbereitet.“

Was jetzt passieren muss: Grünvolumen erhalten, Regenwasser speichern

Reusswig fordert eine Richtlinie zum Erhalt des Grünvolumens in Potsdam. Grünfläche sei nicht gleich Grünfläche, erklärt er: „Rasen hat einen anderen Kühlfaktor als Wald.“ Das Grünvolumen ist laut des statistischen Jahresberichts seit 1992 rückläufig; zugleich ist der Versiegelungsgrad von 9,17 Prozent (1992) auf 12,58 (2016) gestiegen. Die Erhaltung von Grünvolumen widerspreche nicht den Anforderungen der wachsenden Stadt, betont Reusswig. „Wir müssen den knappen Platz gut nutzen für Verdunstungskälte.“ Das könne mit Fassaden- und Dachbegrünung passieren.

Die Stadt muss nach Einschätzung des Klimarats auch den Umgang mit Regenwasser verbessern. Stichwort ist hier das Konzept der „Schwammstadt“, bei der Regenwasser nicht in der Kanalisation verschwindet, sondern im Boden gespeichert wird. „Wir brauchen den Riesenschwamm Potsdam, der Wasser aus den regenreichen Zeiten in den Sommer rettet“, erklärt Sophie Haebel. Bei jedem Haus müsse überprüft werden, ob das Regenwasser noch in die Kanalisation läuft oder im Grundstück versickert. Für Neubauten ist das bereits obligatorisch.

Progressive Wassertarife: Der Pool im Garten muss teurer werden

Auch mit der Wiedervernässung der derzeit trocken gelegten und landwirtschaftlich genutzten Moorflächen würde man der Schwammstadt näherkommen. Potsdam hatte bereits angekündigt, in dieser Frage auf die Landwirte zugehen zu wollen. Als alternative Einnahmequelle für die betroffenen Bauern sei zum Beispiel die Errichtung von Photovoltaikanlagen auf den Moorflächen denkbar, auch die Zucht von Wasserbüffeln sei eine Option: „Es kann viel getan werden, das muss jetzt aber angeschoben werden“, mahnt Sophie Haebel an.

Ein „Paradigmenwechsel“ sei auch bei der Wasser- und Abwassernutzung nötig. Haebel fordert progressive Wassertarife: Für die Grundversorgung wäre der Wasserpreis dann günstiger als für Menschen, die einen Pool im Garten befüllen.

Wie sieht hitzegerechte Stadtplanung aus?

Grundsätzlich eigne sich alles, was das Aufheizen vermindert, sagt Jürgen Kropp, stellvertretender Leiter der Abteilung Klimaresilienz am PIK, den PNN. „Am besten ist Verschattung durch Bäume“, sagt der Wissenschaftler, der sich unter anderem mit den Herausforderungen der urbanen Transformation beschäftigt. Ein einziger Baum verdunste am Tag 300 Liter Wasser. Zwar verfüge Potsdam über viele Grünzüge. Doch lokal müssten weitere, kleine Erholungszonen dazukommen. Denn je dichter man baue, umso größer sei der Hitzeeffekt. Auch der Stadtkanal könne so eine Erholungszone sein, kombiniert mit schattenspendenden Bäumen. Allerdings: Tagsüber nehme das Wasser Energie auf. Sobald die Luft sich nachts abkühle, gebe es die Wärme wieder in die Umgebung ab.

Die Mittelmeerregion als Vorbild

Ein weiterer Punkt sei die Wahl der Baumaterialien. Holz sei ein guter Isolator. Die Gebäude heizen sich langsamer auf. Auch die Farbe spiele eine Rolle, erklärt Kropp: „In Athen sind fast alle Gebäude weiß, weil so die Sonnenenergie reflektiert wird.“ Man müsse sich mehr an der mediterranen Bauweise orientieren: Balkone, Arkaden und Markisen, die Schatten spenden.

Viele Maßnahmen gebe es längst, sagt Kropp. Schon die Römer hätten in ihre Innenhöfe Bäume gepflanzt und Springbrunnen gebaut, um sie abzukühlen. Am Persischen Golf gebe es Siedlungen, die über ein Netz unterirdischer Leitungen kühle Luft aus der Umgebung ansaugen. In Oasenstädten habe man Ton als Baumaterial verwendet, der Feuchtigkeit aufnehmen und sie verdunsten kann.

Wie kann man Aufenthaltsqualität trotz Hitze erhalten?

Wegen Trockenheit gehen in den Welterbeparks - hier im Neuen Garten - hunderte Bäume verloren.
Wegen Trockenheit gehen in den Welterbeparks - hier im Neuen Garten - hunderte Bäume verloren.

© Ottmar Winter

Diese Frage ist nicht nur für die Potsdamer:innen, sondern auch für die Gäste und damit die Zukunft als Tourismusziel entscheidend, betont Fritz Reusswig vom Klimarat. Eine seiner Forderungen: „Wir brauchen mehr Trinkbrunnen.“ Denkbar sei außerdem eine App, die Anwender:innen anzeigt, in welchen Geschäften oder Einrichtungen sie ihre Trinkwasserflasche wieder auffüllen können. Davon würden auch die Gewerbetreibenden profitieren, ist Reusswig überzeugt.

Außerdem schlägt er für von Fußgänger:innen frequentierte Bereiche eine Verschattung durch Sonnensegel, eventuell mit Solaranlagen auf der Oberseite, vor: „Damit würde zum Beispiel die Brandenburger Straße flaniermäßig akzeptabel bleiben.“

Sophie Haebel, Klimarat Potsdam.
Sophie Haebel, Klimarat Potsdam.

© Andreas Klaer

Man könne auch darüber nachdenken, wie man die Kirchen als „kühle Orte“ einbeziehen kann, schlägt Reusswig vor: Denkbar sei ein Netzwerk mit Programmangeboten in den Gotteshäusern.

Wie Klimawissenschaftler Kropp befürwortet auch der Klimarat die Bestrebungen, den ehemaligen Stadtkanal in der Straße Am Kanal zur grünen Oase zu machen – idealerweise entsprechend des Schwammstadt-Konzepts mit unterirdischen Regenversickerungsanlagen. Wie berichtet haben Studierende der Potsdamer Fachhochschule dafür vier Konzepte erstellt. Wie es damit weitergeht, entscheiden voraussichtlich im Herbst die Stadtverordneten.

Ein Schwammstadt-Beispiel aus Berlin: Regenwasser wird im Boden gehalten und nicht in der Kanalisation geleitet.
Ein Schwammstadt-Beispiel aus Berlin: Regenwasser wird im Boden gehalten und nicht in der Kanalisation geleitet.

© Foto: Tsp/Stefan Jacobs

Warum passiert bisher so wenig?

An Konzepten, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen, mangelt es in Potsdam nicht. Der gute Wille ist da im Rathaus und in der Stadtpolitik: Die Stadtverordneten haben im August 2019 bekanntlich den Klimanotstand ausgerufen. Das ist aus Sicht des Klimarats bislang aber ohne durchschlagenden Erfolg geblieben. Oder in den Worten von Sophie Haebel: „Das ist ein Witz.“ Auch bei den übrigen Konzepten geht die Umsetzung nur schleppend voran.

So jedenfalls nicht: Anstelle des Stadtkanals befindet sich ein Parkplatz.
So jedenfalls nicht: Anstelle des Stadtkanals befindet sich ein Parkplatz.

© Ottmar Winter

Lars Schmäh, im Rathaus Fachbereichsleiter für Klima, Umwelt und Grünflächen, gibt dem Klimarat in vielem Recht, verteidigt aber auch die Arbeit der Stadt: „Mit den knappen Mitteln tun wir alles, was wir können – aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“

So stelle das Grünflächenamt die Bewirtschaftung der Grünflächen seit einigen Jahren auf „extensiv“ um. Das heißt, es wird weniger Rasen geschnitten oder es werden – wie beispielsweise auf dem Bassinplatz – „Blühinseln“ mit üppigem Bewuchs angelegt. Das ist nicht nur insektenfreundlich, sondern erhöht auch das Grünvolumen und damit die Verdunstungsfläche.

Bauen mit Holz: Die Tischlerei "Woodbrothers" in Fahrland.
Bauen mit Holz: Die Tischlerei "Woodbrothers" in Fahrland.

© Andreas Klaer

Als einen Erfolg bezeichnet Schmäh auch den letzten städtischen Haushalt, in dem erheblich mehr Geld für Baumpflege und das „1000-Bäume-Programm“ beschlossen wurde. Gemeinsam mit der Uni Potsdam sei auch ein Flyer mit Handlungsempfehlungen für Senioreneinrichtungen zur besseren Vorbereitung auf Hitzeperioden erarbeitet worden.

Damit die Stadt mehr tun kann, brauche es aber neue rechtliche Rahmenbedingungen, sagt der Rathaus-Mann: „Klimaschutz ist leider noch keine Pflichtaufgabe für uns Kommunen.“ Das müssten Bund und Länder ändern – und die Kommunen dann entsprechend mit Personal und Ressourcen ausstatten, sagt er. Das fordere Potsdam über den Deutschen Städtetag schon „seit Jahrzehnten“.

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