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Landeshauptstadt: Trillerpfeife statt Wiener Walzer

Einst war der Bornimer Saal Tanzparkett und Ausflugsziel von Touristen, heute dient er Schülern als Turnhalle

Von Sarah Kugler

Tanzsaalatmosphäre lässt sich in der Turnhalle der Bornimer Grundschule heute nur noch erahnen. Auf der Eingangsseite befindet sich nach wie vor eine Ballustrade, die von Säulen abgestützt wird und auch zur Decke hin mit Säulen verziert ist. In langweiligem Schulgrün gehalten, strahlen die allerdings kaum Anmut aus, genauso wie das Ballustradengeländer selbst. Wo auf einer Postkarte aus dem Jahr 1921 noch dekorativ geschnitzte Verzierungen und vorstehende Balkenteile zu erkennen sind, befindet sich nun eine durchgehende, in beige-gelb gehaltene Fläche.

Verwunderlich ist das nicht, schließlich hat das Gebäude, das sich hinter dem heutigen Bornimer Bürgerhaus in der Potsdamer Straße 89-90 befindet, schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Wie Klaus Broschke, Restaurator und Mitglied im Bürgerverein Bornim erzählt, gehörte die Turnhalle einst zu dem etwa zwischen 1880 und 1890 eröffneten „Gasthaus am Walde“, dessen Hauptgebäude bis heute in Form des Bürgerhauses erhalten ist. Der um 1902 entstandende kleine Anbau des Gasthauses, der zur Straßenseite hinreichte, existiert jedoch nicht mehr. „Im unteren Geschoss waren die Gasträume untergebracht und im oberen Geschoss gab es verschiedene Wohnungen“, so Broschke, der schon viele Jahre zur Geschichte Bornims forscht. Im niedrigen, aber ausgebauten Dachboden waren wohl vor allem die Bediensteten untergebracht.

Wie er sagt, war die Gaststätte selbst ein beliebtes Ausflugsziel von Besuchern aus dem Umland, die oft Postkarten aus Bornim an ihre Verwandten oder Freunde schickten. Broschke, der eine besondere Sammelleidenschaft für historische Postkarten aus dem Ort entwickelt hat und bereits fast 70 besitzt, konnte an Hand der Karten die ungefähre Besitzerreihenfolge der Gasttstätte rekonstruieren. „Manche Namen stehen nämlich hinten mit drauf und den Rest habe ich eben mit Hilfe von alten Adressbüchern oder Archivmaterial zusammengesucht“, so der 75-Jährige. Insgesamt sei die historische Rekonstruktion allerdings sehr schwierig, da er nirgendwo eine komplette Baugeschichte für den Gebäudekomplex finden konnte.

Deswegen sei er sich nicht sicher, ob nun ein gewisser Karl Bree oder ein Hugo Splitt die Gaststätte zuerst als Wirt betreut hat. Beide sind um 1910 verzeichnet, Splitt wird allerdings noch bis 1921 erwähnt, weswegen Broschke davon ausgeht, dass er das Haus von Bree übernommen hat. Danach wurde das „Gasthaus am Walde“, das in den 1920er Jahren auch als Treffpunkt des Gesangsvereins „Germania“ und des Bornimer Turnvereins diente, wohl von Friedrich Hasert, dann von Ernst Duda und schließlich von Richard Krüger betrieben. Letzterer blieb bis Anfang des Zweiten Weltkrieges Gastwirt. Während des Krieges wurden die Kellerräume laut Broschke als Schutzbunker vor Fliegerangriffen genutzt. Aus den Postkarten geht auch hervor, dass im großen Saal des Gasthauses, also in der heutigen Turnhalle, jeden Sonntag ab 16 Uhr zum Tanz geladen wurde. „Jeden Sonntag von 4 Uhr ab Tanzkränzchen“ heißt es auf der Ansicht von 1921, auf der auch noch eine Bühne mit rotem Vorhang zu erkennen ist. „Auf dem Bild sind wahrscheinlich Maifeierlichkeiten zu sehen“, so Broschke. „Darauf lassen die Bäume schließen.“

Es ist die einzige historische Innenansicht des Tanzsaales, der während des Zweiten Weltkrieges als Getreidespeicher genutzt wurde, die er besitzt. Weitere hat er nicht gefunden. Selbst Nachbarin Waltraud Walsleben, die selbst 1925 geboren ist und deren Familie schon seit 1871 den Friseursalon Walsleben in Bornim betreibt, hat keine Bilder aus dieser Zeit und kann sich auch nicht erinnern, dass ihre Eltern jemals von Tanzveranstaltungen vor Ort berichtet haben. Sie selbst sei erst viel später dort tanzen gewesen, als das Haus schon der Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehörte.

Die übernahm den Gebäudekomplex ab 1999. Seit 1971 befand sich im früheren Gasthaus eine Grundschule, der Tanzsaal wurde bereits seit den 1950er Jahren als Turnhalle genutzt. Das ist bis heute so geblieben, auch zu AWO-Zeiten fanden dort Sportkurse und Veranstaltungen statt. Mit der Entscheidung der Stadt Potsdam, wieder eine Grundschule auf dem Gelände zu errichten, zog sich die AWO im Sommer dieses Jahres aus den Gebäuden zurück. Seit diesem Schuljahr werden nun Grundschüler vor Ort unterrichtet – allerdings noch provisorisch in Containern. Wie berichtet soll der Neubau für die Schule zum Schuljahr 2018/19 fertig sein. Auch eine neue Turnhalle soll in diesem Zeitraum fertiggestellt werden, der alte Gasthauskomplex soll laut Stadtsprecher Markus Klier aber möglichst erhalten bleiben. Bis es soweit ist, wird Schulsport in dem alten Tanzsaal betrieben. Und damit dabei niemand gegen die Säulen der Ballustrade rennt, werden diese demnächst mit einer Sicherheitsummantelung versehen.

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