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Ahmed Al-hafedh (40), im Irak geboren, betreibt in Potsdam eine Praxis für Psychotherapie.

© A. Klaer

Traumatherapeut für Flüchtlinge in Potsdam: „Die Menschen haben massive Todesangst“

Ahmed Al-hafedh behandelt traumatisierte Flüchtlinge. In Heimen können sie sich nicht immer erholen, schildert der Psychologe im Interview.

Herr Al-hafedh, Sie sind der einzige Traumatherapeut in Potsdam, der außer Arabisch auch Englisch und Französisch beherrscht. Stehen derzeit bei Ihnen Flüchtlinge Schlange, die Hilfe benötigen?

Was die Anfragen betrifft, könnte ich derzeit viel mehr Patienten aufnehmen, als ich es tue. Aber es hat mit der Natur unserer Arbeit zu tun, dass ich nicht mehr aufnehmen kann: Das sind keine kurzen, schnellen Interventionen, sondern es basiert auf einem langfristigen Beziehungsaufbau.

Wie erfahren die Flüchtlinge von Ihnen?

Irgendwann kennt man den Therapeuten in der Hegelallee, der Arabisch spricht. Traumatisierte Menschen gehen nicht so schnell zur Therapie – man kennt das unter anderem von den Missbrauchsgeschichten, wo sich Betroffene häufig erst nach Jahrzehnten offenbaren. Die meisten Flüchtlinge kommen aus den Heimen, manche werden von Sozialarbeitern, andere von ihren Hausärzten zu mir geschickt. Aktuell behandle ich zwischen fünf und zehn Flüchtlinge, meist auf Arabisch, weil sie vornehmlich aus dem Mittleren Osten und aus Syrien kommen. Dann gibt es Patienten aus dem afrikanischen Raum, aus Kamerun und Tschad, mit denen ich Französisch oder Arabisch spreche.

Mit welchen Erfahrungen kommen Ihre Klienten?

Die meisten Syrer, die ich behandle, sind aufgrund des Krieges traumatisiert. Bei ihnen handelt es sich um komplexe Traumatisierungen, weil sie direkt beteiligt waren an einer oder mehreren schwer belastenden Erfahrungen. In ihrer Biografie der letzten drei, vier Jahre haben sie zudem häufig unterschiedliche extreme Erfahrungen gemacht: Ein Angehöriger wird erschossen, eine Entführung fand statt, Frauen haben Missbrauch erfahren.  

 

Was ist ein Trauma?

Hier muss man differenzieren: Beim kleinen Trauma kann es sich um die Ohrfeige von Mama handeln, als ich klein war. Das ist möglicherweise auch eine verletzende und schockierende Erfahrung, würde aber eher nicht zu einer Traumafolgestörung führen. Bei dem eigentlichen Trauma handelt es sich um eine plötzliche und für die menschliche Psyche völlig überfordernde Erfahrung, die nicht assimiliert werden kann. Also eine Situation, die einen Menschen außergewöhnlich bedroht, und die bei den meisten Menschen einen Zustand tiefer Verzweiflung auslösen würde. Eine Bombe explodiert, ich werde Opfer eines Überfalls oder erfahre vom Tod eines geliebten Menschen, der gerade zerstückelt wurde.

Wie reagieren Menschen darauf?

Es entsteht eine seelische Wunde. Eine mögliche Reaktion: Sie kommen auf einmal in eine Schleife – und kriegen das nicht mehr aus dem Kopf raus. Typisch sind Erregungszustände, Vermeidungsverhalten von Situationen, die direkt oder indirekt an das Trauma erinnern. Es entstehen möglicherweise auch sich aufdrängende Erinnerungen, sogenannte Flashbacks, oder man rutscht regelmäßig in Trance- oder andere Bewusstseinszustände. Betroffene sind daher auch sehr eingeengt in ihrem Denken, in ihrer Wahrnehmung. Hinter der Traumafolgestörung steckt ein schützender Mechanismus, der dafür sorgt, dass die überwältigende Erfahrung weggepackt wird und ich in meiner Wahrnehmung stattdessen etwas anderes erfahre: In Kriegsgebieten, wo geschossen wird, höre ich zum Beispiel auf einmal nichts mehr. Ohne diesen Traumamechanismus würde ich das nicht aushalten.

Flüchtlinge haben häufig eine lange Fluchtgeschichte mit vielerlei Erfahrungen hinter sich. Wie wirkt sich das aus?

Meiner Erfahrung nach wirkt sich die Flucht häufig, aber nicht ausschließlich bei Afrikanern traumatisierend aus. Sie müssen oft lange Wege zu Fuß durch mehrere unsichere Länder zurücklegen, teilweise durch die Wüste. Manche berichten von Begegnungen mit Löwen. Eine absolute Katastrophe ist aber die Erfahrung auf den Booten: Wenn der Motor ausgeht, und sie befinden sich im Niemandsland. Die Menschen verbringen mehrere Tage auf einem völlig überfüllten Boot, es sind Frauen und Kinder dabei. Alle fangen an zu hungern. Die ersten sterben und werden über Bord geworfen. Die Menschen, die ich behandle, berichten von massiven Todesängsten.

Also eine doppelte Traumatisierung?

Die Flucht ist eine Form der Traumatisierung oder Retraumatisierung, die nicht unterschätzt werden sollte. Die Versorgung hier in Deutschland ist – so wie es mir geschildert wird – die beste von allen Ländern. Für die Menschen ist es erstrebenswert, hier endlich anzukommen, weil der Umgang mit ihnen hier am menschlichsten ist. Damit meine ich nicht nur die Erfahrungen, die sie in der Türkei oder in Ungarn gemacht haben können. Viele erschrecken vor dem Gedanken, nach einer Abschiebung etwa nach Spanien zurückkehren zu müssen, wo sie teilweise von Polizisten und Militärs beschimpft, geschlagen und geschubst wurden.

In Deutschland sind die Flüchtlinge sicher?

Nicht unbedingt. Ich behandle zum Beispiel eine komplex traumatisierte irakische Journalistin. Vor acht Jahren wurde ihre ältere Schwester, die sich für Frauenrechte einsetzte, erschossen – zuvor wurde ihr Vater entführt. Eines Tages drangen Unbekannte in ihr Haus ein: Milizen, die hinter anderen her waren, diese nach draußen zerrten und vor den Augen aller mit einer Bohrmaschine folterten. Nachdem meine Patientin wegen einem kritischen Medienbericht wegen Morddrohungen fliehen musste, kam sie nach Beelitz in eine Unterkunft. Hier lebten viele Somalierinnen und Äthiopierinnen mit Kopftuch, die meine Patientin beschimpften und bedrohten – weil sie ein Kopftuch für sich selbst ablehnt. In diesem Heim fanden immer wieder Schlägereien und Messerstechereien statt. Für jemanden, der massiv traumatisiert ist, besteht dort keine Chance zur Heilung, eher zur Retraumatisierung.

Wie gehen Sie als Therapeut in dieser Situation vor?

Wir können noch nicht in eine Traumakonfrontation gehen, sondern nur – in Zusammenarbeit mit Amtsärzten, Sozialämtern, Anwälten – stabilisieren und stützen. Das Trauma bei dieser Frau ist noch nicht vorüber, weil die Gewalt und die Widerstände in dem Heim weiter stattfinden. Das heißt im Umkehrschluss, die eigentliche Heilung kann noch nicht stattfinden.

Das heißt, Sie leisten teilweise eine Sisyphus-Arbeit?

Die soziale Stabilität ist nicht vorhanden. Die Flüchtlinge wissen nicht, ob sie abgeschoben werden. Das ist in der Behandlung ein Dauerthema und stellt uns vor eine riesige, außergewöhnliche Aufgabe – die nicht unserer Kompetenz und unserem Auftrag entspricht. Ich muss vielfach sozialarbeiterisch statt therapeutisch tätig sein – und werde dafür auch gar nicht bezahlt. Beispielsweise musste ich eine junge Syrerin erst einmal aus ihrer Flüchtlingsunterkunft herausholen, wo sie sexuell belästigt wurde, und habe sie in einem Frauenhaus unterbringen lassen. In Syrien war sie zuvor drei Tage lang entführt worden – und kam wie durch ein Wunder frei.

Es geht derzeit viel um Integration. Überfordert man traumatisierte Menschen damit, dass sie die Sprache lernen, arbeiten und zur Schule gehen sollen?

Nicht alle sind traumatisiert – und auch nicht alle gleichermaßen. Arbeit kann für viele eine Stabilisierung darstellen: Ich erlebe mich vielleicht dadurch als selbstwirksam, als autonom. Das gibt mir Ruhe, Würde und Sicherheit. Der Schlüssel liegt darin, dass man mit Integration viel früher anfängt. Mein Credo wäre, dass man aus der Not eine Tugend macht: Es kommen viele, die gebildet sind, oder die was können. Die Leute sollen zunächst ohne Kompromiss die Sprache lernen. Integration trägt zur Heilung bei.

Das Gespräch führte Isabel Fannrich-Lautenschläger

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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