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Bewahrer der Traditionen. Als Generaldirektor der Schlösserstiftung kämpfte Hans-Joachim Giersberg stets gegen eine Kommerzialisierung des Welterbes – nicht immer mit Erfolg. Seit seinem Rücktritt 2001 wurde er mit Ehrungen überhäuft.

© Manfred Thomas

Trauer um Potsdamer Ehrenbürger: Potsdams gutes Gewissen

Hans-Joachim Giersberg, der langjährige Generaldirektor der Schlösserstiftung, ist tot. Sein Vermächtnis sind auch Mahnungen. Dass Parkeintritt in Sanssouci ein Frevel wäre und Potsdams Welterbe beste Architektur verlangt

Potsdam - Die kleine Tafelrunde war ihm wichtig. Er lud einige Herren zu seinen Geburtstagen nach Hause ein.  Es war ein persönliches Ritual. Und das war auch so geblieben, seit er die zu groß gewordene Wohnung nahe dem Neuen Garten aufgegeben hatte, schweren Herzens, und ans Bornstedter Feld gezogen war, keine fünf Minuten vom Park Sanssouci entfernt. In ein mehrstöckiges neues Haus, das nicht gerade schön aussieht, oberste Etage. Nur ein paar Wochen ist es her, seit man sich Anfang März hier wieder traf, zu seinem 76sten. Zum letzten Mal. Aber das ahnte niemand von denen, die da parlierten und philosophierten, bei französischem Rotwein, einem speziellen, der aus der Gegend kam, aus der schon der alte Fritz seinen bezogen hatte. Das war kein Zufall, natürlich nicht. Hartmut Dorgerloh war da, sein Nachfolger an der Spitze der Schlösserstiftung, andere Vertraute aus früheren Tagen, Hans-Ulrich Schulz, der frühere Potsdamer Generalsuperintendent, Jann Jakobs, der Oberbürgermeister, mit dem er gut konnte. Und wie immer führte Hans-Joachim Giersberg, der Jubilar, auch diesmal seine Gäste irgendwann auf die Dachterrasse, die, was einiges erklärt, genau im Schnittpunkt bedeutender Sichtachsen lag, zwischen Pfingstberg und dem Ruinenberg. Auch das war kein Zufall, natürlich nicht. Von hier oben genoss Giersberg in den letzten Jahren einen Panoramablick auf Potsdams Kulturlandschaft, auf das preußische Arkadien, das zu bewahren sein Lebenswerk war. „Es war sein Stolz. Hier war er glücklich, hatte er seinen inneren Frieden“, sagt einer, der dabei war. Potsdam, die Ewigkeit und die Vergänglichkeit.

Ja, er war der „König der Sichtachsen“, wie ihn Stadtoberhaupt Jakobs einmal ironisch wie respektvoll titulierte. Am Dienstag ist Hans-Joachim Giersberg, der langjährige Generaldirektor der Preußischen Schlösserstiftung Berlin-Brandenburg, einer der großen Schlösserdirektoren Europas war, verstorben. Mit nur 76 Jahren. Und obwohl es ruhiger um Giersberg geworden war, seit der sein Amt schon vor fast eineinhalb Jahrzehnten aus gesundheitlichen Gründen abgegeben hatte, weil das Herz schon damals nicht mehr mitspielte, berührt die Nachricht seines Ablebens viele in Potsdam. Verwunderlich ist das nicht allenfalls für jene, die diese Stadt nicht, oder nicht gut genug kennen. Denn Giersberg war jemand, der mehr war als der Sanssouci-Hüter von Amts wegen, als ein Schlossverwalter, als der „Cicerone der Weltprominenz“, wie ihn mal eine Zeitung nannte, weil er kundig und begeisterungsfähig Dutzenden Staatsoberhäuptern dieser Welt und lebenden Königen das Erbe der Preußenkönige nahegebrachte. Der Wirtschaftskapitäne dazu brachte, Millionen zu spenden, Reemtsma, Otto, Messerschmidt. Giersberg war wie keine andere Persönlichkeit hier eine Institution, das gute Gewissen Potsdams, dieser Stadt, über die Ludwig Sternaux schon 1924 die treffende Diagnose zu Papier brachte: „Intellektuell ist diese Stadt überhaupt nicht zu begreifen. Dem Hirn allein öffnen sich ihre Tore nicht, und wer ihr kalten Herzens naht, wird ewig als Fremdling dastehen.“ Denn Potsdam, so Sternaux, sei immer mehr gewesen als Residenz, als Garnison, Kaserne und Drill. „Es war ein Kunstwerk, an dem Generationen von Herrschern und die besten deutschen Baumeister unablässig gearbeitet haben, es zu vollenden. Ein Kunstwerk verlangt Herzensecho. Wo es das nicht findet, bleibt es stumm.“ Mit Herzensecho für Potsdam, genau so sah Giersberg seine Stadt, so lebte, so fühlte er, wie wohl jeder bestätigt, der mit ihm zu tun hatte. Er hatte sich der Stadt verschrieben, die ihn noch zu Lebzeiten 2001 zum Ehrenbürger machte, die ihm viel verdankt.

Seine Geschichte ist eine deutsche, eine von Ost und West. Die Familie, Flüchtlinge aus Schlesien, war 1950 an die Havel gekommen. Giersberg, Sohn eines Bauingenieurs, ging hier zur Schule, ehe er Kunstgeschichte in Berlin studierte. Es war das Potsdam der Nachkriegszeit, in dem trotz der Wunden aus den Bombenangriffen der Alliierten noch vieles vom alten Zentrum erhalten war. Noch stand das Stadtschloss, schwer beschädigt, auf dem Alten Markt. Jahrzehnte später wird Giersberg, als er sein Buch über den Knobelsdorffschen Bau veröffentlicht, in dem dicken Wälzer an einer Stelle einen seltenen privaten Einblick geben. „Der Autor, dessen Schulweg über die Lange Brücke durch die Humboldtstraße an der Ruine des Stadtschlosses vorbeiführte, der in den 50er-Jahren zum Rummel auf den Lustgarten ging und der durch Zufall die Sprengung der Reste des Fortunaportals am 9. Januar 1960 mit ansah, hat noch eine persönliche Vorstellung von der Größe und Großartigkeit des Bauwerks.“ Das Potsdamer Stadtschloss. Es wurde damals aus dem Stadtbild getilgt, scheinbar für die Ewigkeit, wie auch Giersberg annahm. Es sollte mit seinem Leben verbunden bleiben, bis an ein glückliches Ende.

Wie es begann, dass er in der Schlösserstiftung irgendwann quasi zum Inventar gehören sollte? Fast wäre er nach Schwerin gegangen. „Aber Potsdam war meine Welt.“ Seit 1964 arbeitete er in der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Skulpturen und später für Denkmalpflege, ehe er 1978, mit 40, Schlösserdirektor wurde, zuständig für die Schlösser und alles, was sonst dazu gehörte, ein Verwalter sozialistischen Mangels. Einer, der versuchte, mit dem wenigen, was da war, so viel wie möglich Substanz zu erhalten. Schon damals erwarb sich Giersberg über die Grenzen der eingemauerten Republik hinaus den Ruf eines exzellenten Kunsthistorikers und Konservators. Als Chefkurator verantwortete er 1986 die auch international viel beachtete Ausstellung über Friedrich den Großen im Neuen Palais, für die die Menschen stundenlang anstanden, weil in der ideologisierten DDR erstmals der vorher als Militarist und Kriegstreiber verpönte Preußenkönig differenziert nahegebracht wurde. Freilich, im abgesteckten Rahmen. Giersberg konzentrierte sich auf „Friedrich und die Kunst“. Der Politiker und Feldherr blieb ausgespart, das verminte Terrain, Tribut an die SED und Selbstschutz. „Das hätte uns überfordert“, sagte er damals der „Zeit“. Wohl wissend, dass auch das scheinbar Unpolitische politisch sein kann. Und humanistische Bildung und Kultur es allemal sind.

Überhaupt machte dem Feingeist, diesem zutiefst bürgerlichen Menschen der Verfall des Gesamtkunstwerks Potsdam zunehmend zu schaffen, selbst wenn der in den für Touristen herausgeputzten Schlössern noch nicht so dramatisch, nicht so sichtbar war wie in der barocken Innenstadt, in der Mittelstraße oder der Gutenbergstraße. Matthias Platzeck, Potsdams früherer Oberbürgermeister und Brandenburgs Ex-Ministerpräsident, erinnert sich noch gut an den spannungsgeladenen Sommer 1989, als Aktivisten der Bürgerbewegung ARGUS, zu denen er selbst gehörte, sich gegen Verfall einsetzten. Als sie damit begannen, die zugewucherte Ruine des königlichen Belvederes auf dem Pfingstberg freizulegen und am 10. Juni 1989 das „Pfingstbergfest“ organisierten, von der Stasi argwöhnisch beobachtet. „Hans-Joachim Giersberg hat uns damals sehr geholfen“, sagt Platzeck. „Das war in seiner Funktion keine Selbstverständlichkeit.“ Nun ist Potsdam eine kleine Stadt. Eine, in der lange Linien zählen, in der sich über alle Gegensätze und persönlichen Befindlichkeiten hinweg jene, die sich mit Herzensecho engagieren, nahe bleiben. So war es. Und so ist es noch heute.

Seinen Einsatz für den Pfingstberg vergaßen Giersberg die, die dabei waren, nie. Auch das mag dazu beigetragen haben, dass er nach dem Fall der Mauer Generaldirektor der Schlösserstiftung wurde, zunächst kommissarisch und im noch allein brandenburgischen Hoheitsgebiet. Mit seinem Namen verbindet sich die spektakuläre Rückkehr der Preußenkönige, bei der 1991 die sterblichen Überreste vom Hohenzollernsitz auf Burg Hechingen nach Sanssouci überführt wurden. Vor allem aber gilt als sein Verdienst aus dieser Zeit die Aufnahme der Potsdamer Kulturlandschaft in das Welterbe, als erstes Unesco-Denkmal in den neuen Bundesländern: Die Urkunde hing fortan in seinem Büro in der Allee nach Sanssouci. Das Entscheidende für Giersberg aber dabei blieb immer, dass eben nicht allein Sanssouci, Neuer Garten und Park Babelsberg in die Welterbeliste aufgenommen wurden, sondern auch Sacrow mit der Heilandskirche, Schloss und Park Glienicke und die Pfaueninsel, also auch die auf Berliner Seite gelegenen Kleinode. Und dass damit schon 1990 die Wiedervereinigung der durch die deutsche Teilung einige Jahrzehnte getrennten Preußischen Schlösserverwaltung vorweggenommen wurde, für die er von Beginn an warb, die aber trotzdem noch einige Jahre auf sich warten ließ. Als die Vernunft dann 1995 endlich Berlin-brandenburgischen Kleingeist besiegte, war es folgerichtig, aber immer noch ungewöhnlich, dass Giersberg, der Ostdeutsche, Generaldirektor der fusionierten Schlösserstiftung wurde. Mit seiner verbindlichen Art trug er bei, Ost-West-Gräben zu überwinden. Nach außen wuchs seine Reputation, er holte Schlösser wie Rheinsberg, Caputh oder Paretz, die in den Wirren der DDR-Zeit „abhanden“ gekommen waren, zurück in die Obhut, er verantwortete das seit Jahrzehnten größte und endlich mögliche Sanierungsprogramm.

Es war Potsdams wilde Nachwendezeit. Es waren die Jahre, in denen Bausünden in die Stadt geklotzt wurden, das Potsdam-Center am Bahnhof, am Glienicker Horn nahe der Glienicker Brücke, weshalb die Unesco intervenierte, mit der Streichung aus der Welterbeliste drohte. Giersberg, für den Potsdam und seine Schlossparks immer eins waren, blieb sich treu. Er mischte sich ein, mit leisen, aber klaren Worten, zum Missfallen der damaligen Stadtväter. Er forderte ein Gesamtkonzept für Potsdam, und bei Neubauten eine Architektur, die, so sein Plädoyer schon 1993, „sich am Maßstab des Kulturerbes messen lassen muss“. Weil Potsdam eben keine Stadt wie jede andere ist. Er meldete sich zu Wort, damit das neue Theater nicht in derZimmerstraße gebaut wurde, nicht als neue Bausünde einen Steinwurf vom Schloss Sanssouci entfernt, sondern am Havelufer an der Schiffbauergasse, womit er den damaligen Oberbürgermeister Matthias Platzeck (SPD) half. Dass Giersberg ein unbequemer Mahner blieb, bekam aber selbst Platzeck zu spüren, als er die Philharmonie abwickelte, bei der Kultur den Rotstift ansetzte – und von Giersberg gerügt wurde.

Freilich, manchmal kam seine Art schon altmodisch, ein bisschen weltfremd daher, als sei er aus einer anderen Zeit, etwa wenn er über die Nacktbadenden am Heiligen See klagte. Seiner Autorität in Potsdam tat das keinen Abbruch. Zwar machte er auch Kompromisse, selten, so geht die erste Schlössernacht in seine Amtszeit zurück. Aber gegen Kommerzialisierung, Vermarktung und Fremdnutzung der Schlösser blieb er konsequent. Und er konnte doch nicht verhindern, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und US-Präsident Bill Clinton am 13. Mai 1998 im Schloss Sanssouci symbolträchtig dinierten. Es war seine bitterste Niederlage. „Man muss auch in Ehren untergehen können.“ Es war ihm eine Lehre, dass er vorher nicht öffentlich interveniert hatte. Das holte er nach, damit sich der Sündenfall nie wiederholt. In einem Interview mit dieser Zeitung rechnete er 1999 damit ab, dass Kohl ein Tabu gebrochen hatte. „Und zwar ein Tabu, das 150 Jahre für alle Regierenden heilig war, ob schwarzer, brauner oder roter Coleur. Kein deutscher Kaiser hat in Sanssouci gespeist, kein Reichspräsident und kein Staatsratsvorsitzender.“ Sage niemand, dass dieser Hans-Joachim Giersberg unpolitisch war. Mit diesen glasklaren Sätzen errichtete Giersberg, der auf den Punkt formulierte, eine Schutzmauer um Sanssouci, an die sie sich fortan nie wieder ein Politiker heranwagen sollte.

Und trotzdem war dieser Mann, der mit wachen Augen durch sein Potsdam ging, neugierig den Wandel der Stadt verfolgte, ein Konservativer im besten Sinne. Einer, der sich selbst befragte, sich revidieren konnte, so wie beim Potsdamer Stadtschloss. Lange war er, wie viele Denkmalpfleger, gegen einen Wiederaufbau. Er rang mit sich, so wie diese Stadt auch, er wurde mit mit den Jahren immer nachdenklicher, er, der beste Kenner des Stadtschlosses. Am Ende trug er dazu bei, dass es heute wieder die Mitte ziert. 1998 veröffentlichte Giersberg das Standardwerk über das Stadtschloss, damals noch hin- und hergerissen, aber bewusst als Beitrag für die Aufbaudebatte, die für ihn offen war. „Damit man weiß, worüber man heute spricht.“ Und es war kein Zufall, dass er darin Margarete Kühn, die frühere Verwaltungschefin der Berliner Schlösser, zitierte, die 1959 im Tagesspiegel vor dem drohenden Abriss des Stadtschlosses in Potsdam gewarnt hatte. „Wenn es wirklich geschieht, dass dieser Bau dem Erdboden gleichgemacht wird, dann ist eine der schönsten Städte Deutschlands für immer sehr arm geworden, weil ihr geschichtliches und künstlerisches Dasein im Innersten getroffen ist.“ Sein Buch endete mit einem Satz, der dann oft fehlinterpretiert wurde: „Das Stadtschloss ist nicht ersetzbar.“ Es war eine Absage, aber keine an eine Rekonstruktion, sondern eine an moderne Experimente an diesem Ort. Als jetzt, im Januar 2014, das als Landtag aufgebaute Stadtschloss mit einem Festakt eröffnet wurde, saß Giersberg, seine Herzkrankheit machte ihm da schon zu schaffen, unter den Ehrengästen. Dass das Schloss wieder stand, war für ihn eine persönliche Genugtuung.

Seine letzte öffentliche Wortmeldung, die im Gedächtnis Potsdams bleiben wird, hat mit Sanssouci zu tun, und mit seinem Nachfolger, Hartmut Dorgerloh, dessen Wirken, dessen Reform, Öffnung und Modernisierung der Stiftung er nie öffentlich kommentiert hatte. Das war nicht sein Stil. Aber dass bald Eintritt im Park Sanssouci genommen werden soll, da konnte und wollte Giersberg nicht schweigen. Da kam von ihm noch einmal ein klares Nein, da wurde er noch einmal prinzipiell. „Parks sollten frei zugänglich sein. Auch ein Welterbe. Das muss sich eine Gesellschaft leisten können.“ Schon Friedrich Wilhelm II. habe für die freie Zugänglichkeit der Schlossparks gesorgt.

So suspekt ihm jede Preußentümelei war, so groß war sein Respekt vor der Leistung der preußischen Könige, der Baumeister und Gartenkünstler. Deshalb ließ es sich Giersberg, auch ein ihm wichtiges Ritual, nicht nehmen, jedes Jahr am 24. Januar, am Geburtstag Friedrich des Großen, an dessen Grab einen Kranz niederzulegen. Zum Leidwesen derer, die dabei waren, fand diese Zeremonie, da war er altfritzisch streng, stets in aller Hergottsfrühe statt. „Natürlich bei Sonnenaufgang.“

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