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Landeshauptstadt: Tödlich und heilend

Jennifer Lee Yu Hua führt Potsdamer in die Geheimnisse der chinesischen Heil- und Kampfkünste ein. Mit ihren 21 besten Lehrlingen tritt sie ab Freitag in Peking beim „WuShu-Festival“ an

Blitzschnell saust der hauchdünne Säbel durch die Luft. Mit einem Ruck am Griff stoppt Klaus Münch das glänzende Kampfwerkzeug abrupt ab. Ein metallischer Knall hallt durch den Übungsraum in der Potsdamer Innenstadt. Konzentriert blickt der 70-Jährige auf das Ende seines zitternden Säbels. Die chinesische Kampfsportart Tai Chi wurde entwickelt, um zu töten, das weiß Klaus Münch. Ihn hat der Sport geheilt. Nach langem Training unter der Anleitung der Kampfsportmeisterin Jennifer Lee Yu Hua ist der Rentner sein Leiden heute los.

Seit zweieinhalb Jahren lehrt die im asiatischen Singapur aufgewachsene Lee ihre Kampfkünste in der Potsdamer Innenstadt. Gemeinsam mit ihrem Mann Thomas Meewes betreibt sie in der Hegelallee ein Zentrum für Chinesische Heil- und Kampfkünste. Seit sechs Jahren lebt das Trainerduo in der Stadt. Etwa 60 Schüler trainieren sie derzeit. Die Besten 21 wurden jetzt zu einer Meisterschaft nach China eingeladen, darunter auch sieben Kinder. Am Freitag machen sich die Potsdamer Kämpfer auf den Weg nach Peking, zum 5. Internationalen „WuShu-Festival“. Vor bis zu 5000 Zuschauern werden sie dort ihr Können präsentieren und um Medaillen kämpfen.

„Gucken Sie mal hier“, sagt Klaus Münch und winkelt sein rechtes Bein im Stehen an. Wie an einer Gummischnur lässt der 70-jährige ehemalige Ingenieur seinen Fuß hin- und herwackeln. Das ging früher nicht, sagt er. 50 Jahre hatte der Kleinmachnower keinen Sport getrieben. Als er in Rente ging, schmerzten nicht nur die Kniegelenke. Schulter und Arm ließen sich kaum noch bewegen. Die Ärzte vertrieben den Schmerz mit Spritzen, der Arm blieb steif. „Wozu brauchen Sie den Arm denn noch?“, hatte Münchs Arzt gefragt. Das ist nun schon ein paar Jahre her. Dass er sich geschmeidig wie ein Katze durch den Raum bewegen könnte, daran hatte der Rentner nicht gedacht, bis er sich an Tai Chi probierte.

Thomas Meewes hat schon viele Menschen durch die chinesischen Kampfkünste neue Lebenskraft schöpfen sehen. Beim Tai Chi, sagt er, vermische sich die Kampf- mit der Heilkunst. Bei den Übungen mit den fließenden Bewegungen werde der Körper trainiert. Knochen würden dichter, die Gefäße durchblutet, Muskeln aufgebaut. Die Beweglichkeit nimmt zu, Kraft, Schnelligkeit, Haltung und Konzentration werden trainiert, Atemtechniken geübt. Blaue Flecken müsse niemand fürchten – „vielmehr ist es das höchste philosophische Ziel, nicht kämpfen zu müssen“, sagt Meewes. Einsteigen kann jeder in jedem Alter, die jüngste Kämpferin ist fünf Jahre alt, es ist Melody Xiao Yan, die Tochter des Trainerpaares.

Meewes, der gelernte Kameramann und Filmemacher, ist seit einigen Jahren selbst Lehrer für Qi Gong, Taoistische Meditation und Chen Taijiquan. Seine Frau hat er 1998 bei einer Lehrerausbildung in Thailand kennengelernt. In Singapur ist Jennifer Lee eine der Größen im Fach. Seit sie neun Jahre alt ist, vertritt sie das Land bei Wettbewerben, früher als Kämpferin, heute auch als Schiedsrichterin. Im vergangenen Jahr erhielt sie den Titel „Kampfkünstlerin des Jahres“ in China. Lee führt die Kunst des Chen Tai Chi in 20. Generation – ihr Großmeister hat sie mit vielen alten Geheimnissen vertraut gemacht.

2003 heirateten Lee und Meewes und zogen nach Deutschland. „Es hat sich gezeigt, dass wir hier mehr Möglichkeiten haben“, erklärt er. Anders als in Singapur gibt es hier nur wenige Kampfkunstschulen und Meister. Anfangs trainierte das Paar in Berliner Parks, 2004 gründeten sie dann die Schule, ehe sie 2009 damit nach Potsdam zogen. Lee trainiert ihre Schüler in Vollzeit, Meewes verdient außer als Lehrer nun nebenbei als Kameramann. „Natürlich hat man immer Träume“, sagt Meewes. Ein Leben ganz unter dem Vorzeichen der Heil- und Kampfkünste, das wäre das Ziel.

Einen Traum tragen auch die 21 Potsdamer Kämpfer mit nach Peking, erzählt Ilse Lintzen. Die 53-jährige Klavierlehrerin trainiert seit zwei Jahren Thai Chi. Eine Medaille zurückzubringen, das wäre für die Meisten eine Ehre. „Mit geht es um den persönlichen Fortschritt“, sagt sie. Der ehemalige Profifußballer Friedrich Orth tritt hingegen mit einem Medaillenwunsch an, erzählt er. Vor 15 Jahren sattelte Orth um, als er die Fußballtöppen an den Nagel hing. Er bewundert vor allem das Wasserstilboxen.

Jennifer Lee ist eine von wenigen Trainerinnen weltweit, die diese Kampfkunst mit den wasserähnlich weich fließenden Bewegungen lehren. Neben dem sogenannten Liu He Ba Fa werden in Peking aber auch zahlreiche andere Kampfkünste zu sehen sein. „WuShu“ ist der Oberbegriff für Kampfkünste. Rund 1000 Kämpfer treten an, entweder allein oder gegeneinander. Die Figuren der Kampfkunst werden benotet, ähnlich wie beim Eiskunstlauf. „Wir trainieren seit zwei Jahren intensiv“, sagt Meewes, „in unseren Bereichen haben wir Chancen.“

Rentner Münch will sich von den Kämpfen berichten lassen. „Der Kampfsport interessiert mich eigentlich nicht“, sagt er. „Aber die Bewegung, die tut gut.“

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