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Theaterschiff in Potsdam: Sturmvogels Landgang

Zentnerweise Muscheln und alte Farbe müssen weg: Das Theaterschiff braucht eine aufwendige Unterbodensanierung. Dazu wurde es am Dienstag in eine Werft nach Berlin geschleppt

Spiegelglatt liegt die Havel kurz nach acht. Ein Paddler zieht vorbei, am Himmel ein Schwarm Gänse. Kapitän Rainer Röper hat auf seinem Schubboot gut geschlafen. Mit dem Wetter ist er auch zufrieden – Wind könnte bremsen, aber so ist es gut. Die Aktion Theaterschiff kann beginnen. Leinen los, heißt es am gestrigen Dienstag gegen halb neun – für Röpers Mannschaft und die vom Theaterschiff. Der Schlepper, der neben dem 52 Meter langen Theaterkahn winzig aussieht, dreht die Maschinen auf und zieht langsam voran. Das Seil geht straff, dann bewegt sich auch das Theaterschiff, das keinen Motor hat und nicht aus eigener Kraft fahren kann. Zwei „Sturmvögel“ – beide Schiffe tragen diesen Namen – fahren nun vom Kilometer 27 im Tiefen See Richtung Berlin. Für die 18 Kilometer Strecke werden sie viereinhalb Stunden brauchen.

Das plötzlich leere Ufer hinter dem Hans Otto Theater ist ein komischer und seltener Anblick. Seit 2013 liegt hier das Theaterschiff. Zum letzten Mal war es vor vier Jahren unterwegs – zum TÜV in der Werft. Dieses Mal ist allerdings auch eine Generalüberholung der Außenhaut geplant. Das wird mehrere Wochen dauern. Und es wird teuer: 120 000 Euro. Das hätte der Theaterschiff-Verein niemals alleine stemmen können. Deshalb gab es Fördermittel: 64 000 Euro vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, 26 000 Euro von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und 20 000 Euro vom städtischen Denkmalamt. Seit 2016 ist das Schiff als technisches Denkmal eingetragen.

Noch Montagabend waren Vertreter der drei Behörden an Bord, übergaben die symbolischen Schecks und zeigten Ministerin Martina Münch das Innere des früheren Lastkahns. Vor allem Timo Schöps, seit 2002 technischer Leiter des Schiffs, war sichtlich gerührt. Schöps, normalerweise kein Mann vieler Worte, trug zum feierlichen Anlass Sakko und hielt eine Rede. „Ich bin – total glücklich“, sagte er mit Nachdruck. „Zum ersten Mal, seitdem ich hier bin, haben wir so viel Geld. Und ich muss nicht alles selber machen.“

Schöps darf das sagen. Er ist nicht nur der Mann am Mischpult und hinter der Bühne, sondern auch an Bord und überall da, wo etwas repariert und gewartet werden muss. Dienstagfrüh kommt er in Latzhose statt Sakko zum Dienst. Schöps wird mit kleiner Besatzung auf dem Theaterschiff fahren, darunter ein angeheuerter Schiffsführer und Matrose, die ehrenamtlich den Transfer begleiten, um den Theaterschiffverein zu unterstützen. Vom Platz hinten am Steuer halten sie Kontakt zu Röper vorn auf dem Schlepper.

Für den Binnenschiffer aus Berlin ist das einerseits ein Job wie jeder andere, aber irgendwie doch besonders. Röper, 64 Jahre alt und Schiffer wie sein Vater und Großvater, kennt den Potsdamer Kahn seit Jahrzehnten. Gebaut wurde er 1924 und dann viele Jahrzehnte als Lastkahn genutzt. Noch Mitte der 1980er Jahre nutzte man ihn im Hafen vom VEB Kabelwerk Oberspree. Dann sollte er stillgelegt werden. Röper, der damals im historischen Hafen Berlin arbeitete, stellte den Kontakt zur Potsdamer Stadtspieltruppe her, die das Boot zum Theaterschiff umbauen ließ und es 1995 nach Potsdam an die Alte Fahrt holte. Vor zwei Jahren konnte der Verein das Schiff sogar erwerben. Röper hat den Weg des Theaterschiffs stets verfolgt. Es gibt nur noch wenige dieser historischen Kähne, sagt er, und die meisten davon sind schrottreif. „Wenn ein Schiff nicht genutzt wird, geht es kaputt.“

Das Theaterschiff wird genutzt. Jedes Jahr kommen etwa 12 000 Besucher zu 180 Vorstellungen und Konzerten. Sie kommen aus Potsdam, Berlin und von noch weiter her – auch wegen der besonderen Atmosphäre. Im Saal unter Deck ist Platz für knapp 100 Plätze, man läuft über Holzplanken und schaut aus Bullaugen auf’s Wasser. Freilich, im Winter ist es schnell kalt, im Sommer heiß, sagt die künstlerische Leiterin Martina König: „Aber man hört auch die Wellen glucksen und Enten quaken.“

Schiffer Rainer Röper ist mit solchen Geräuschen aufgewachsen. Bis er sechs Jahre alt war und zu den Großeltern kam, damit er zur Schule gehen konnte, fuhr er bei seinen Eltern auf einem Lastkahn mit. Damals ein aufregendes, aber auch gefährliches Leben, gerade für kleine Kinder, die nicht schwimmen konnten. „Ich wurde auch mal mit Geschirr und Leine an der Reling festgemacht“, sagt Röper.

Das Theaterschiff zieht er gestern sicher nach Spandau. „Alles ging gut“, sagt er bei der Ankunft. Es ist kurz nach 13 Uhr, als Betriebsleiter Frank Felkel von der Hegemann Werft übernimmt und einweist: Das Schiff muss längs zum Ufer an den sieben vorbereiteten Slipwagen festmachen. Das ist etwas kniffelig. Dann wird der 300-Tonnen-Sturmvogel von Stahlseilen an Land gezogen und liegt nach 30 Minuten auf dem Trockenen. In den kommenden Tagen sollen mehrere Schichten alte Farbe und vor allem die vielen Muscheln per Sandstrahlverfahren entfernt werden – die Hegemann-Werft bietet dieses Verfahren als einzige Werft der Region an, sagt Martina König. Sie hofft, dass der Stahl darunter in Ordnung ist. Röper schaut schon mal prüfend auf das, was an Land zum Vorschein kommt – und ist zufrieden: „Sieht alles gut aus.“ Auch drei Wasserpolizei-Kollegen, die sich das Spektakel anschauen und bei der Gelegenheit die Schiffspapiere kontrollieren, sind zufrieden. „Das sieht man nicht alle Tage“, sagt einer. Für den 10. August ist die Rückfahrt geplant. Dann ist das Schiff für weitere vier Jahre spiel- und fahrbereit.

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