zum Hauptinhalt
Am Ende: Bei einer einmaligen Aufführung ging es am Samstag im Nikolaisaal um die letzten Tage der SED. Danach fand eine Podiumsdiskussion statt.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Theater im Zentralkomitee

Aufführung im Nikolaisaal: Eine Inszenierung lässt die letzten Stunden der SED Revue passieren

Es war wirkliches Theater. Was sich am 17. und 18. Oktober 1989 im heutigen Europasaal des Auswärtigen Amtes abspielte, war eine Mischung aus Tragödie und Satire, Drama und Abgesang. Es war die letzte Tagung des Zentralkomitees (ZK) der SED – und das Ende der DDR. 23 Jahre später dienen die Szenen als Vorlage für Theaterkunst. Das „Theater 89“ hat die letzten Tage des ZK auf die Bühne gebracht und tourt seit März mit dem Stück durch Berlin und Brandenburg. Am Samstag ließ das Ensemble im Nikolaisaal die damaligen Ereignisse Revue passieren.

Regisseur Hans-Joachim Frank hatte zunächst keine Lust auf die Lektüre, als ihm der Historiker Hans-Hermann Hertle sein Buch „Das Ende der DDR. Die letzten Tage des Zentralkomitees“ zum Lesen gab. Der Wissenschaftler vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam hatte die Tonbandaufzeichnungen der letzten ZK-Sitzung zu Papier gebracht und Theatermacher Frank zu einer Inszenierung animieren wollen. Doch der wollte „den alten Herren keine Bühne geben“. Bis aus seiner Unlust Neugierde wurde. „Ich empfand es als ungeheuren Vorgang, als man im ZK begann, eine andere Sprache zu sprechen“, erklärte Frank am Ende der Aufführung sein Umdenken. „Es war ein bewegender Moment der Sprachfindung, als man begann, zu sagen, was man dachte.“

Tatsächlich sind es bewegende Szenen, in denen enttäuschte Parteigenossen im Verlauf der ZK-Sitzung zunehmend ihre eigene Stimme finden und sich trauen, nach Schuld und Mitschuld zu fragen. Denn während draußen auf den Straßen das Volk demonstriert und sich im ZK-Tagungssaal der stündliche Verfall der SED, die Demaskierung und Ohnmacht der Mächtigen vollzieht, wachsen an der Parteibasis Wut und Mut zur ausgesprochenen Wahrheit: „Zu viel Macht macht machtlos!“ Binnen Stunden verfällt die propagandistische Rhetorik von der „führenden Rolle der Partei in der Gesellschaft“ in Sprachlosigkeit, mündet der 40 Jahre reklamierte Führungsanspruch der SED in Hilflosigkeit. Exemplarisch: Während draußen die Mauer fällt, sinniert ein Mitglied des Politbüros: „Wollen wir uns nicht doch mal überlegen, dass nicht nur in Teilen, sondern überall in der DDR sowjetisches Fernsehen zu empfangen ist.“ Sowie: „Und unsere Autos könnten wir ja ein bisschen moderner machen. Nicht sofort, aber wir sollten es uns in der Regierung vornehmen.“

Das Theaterstück – allein wegen der Textfülle eine ungemeine schauspielerische Leistung – ist eine inszenierte Dokumentation von Versagen und Schuld, von Starrsinn und Vergreisung, von Irrglaube und Fehleinschätzungen, Realitätsverlust und Verschleierung. Es ist eine Dokumentation jener vielen Attribute, die das Scheitern der DDR begründeten. Bis zum Schluss offenbarte die DDR-Führung ihre Unfähigkeit, Staat und System zu retten. 38,5 Milliarden D-Mark Schulden, Mangelgesellschaft, Ausreisewelle, Misswirtschaft, Substanzverfall auf allen Ebenen – und was war Honeckers Reaktion auf das Offensichtliche? „Es kann ja kein Standpunkt sein, dass die Lage nicht beherrschbar und ausweglos ist!“ Die Fakten dürften nie veröffentlicht werden, „sonst schockieren wir die ganze Republik“.

Doch mit ihrer üblichen Rhetorik kamen die Staats- und Parteioberen nicht mehr raus. Bis zur Lächerlichkeit mühten sie sich um Formulierungen, um Kompromisse in Beschlüssen und Erklärungen. Doch zu retten war nichts mehr. „Wir sind alle mitbeschmutzt“, schluchzt ein alter SED-Genosse, der sich um seine kommunistischen Ideale vom Politbüro betrogen sah. Seine Forderung, „die Verbrecherbande standesrechtlich erschießen zu lassen“, ist der skurrile Gipfel der tumultartigen Szenen der letzten ZK-Tage.

„Es ist wichtig, dass die Geschichte und die Realität in Erinnerung gehalten werden“, begründete Wolf-Dieter Zumpfort von der FDP-nahen Karl-Hamann-Stiftung, weshalb diese sich um das Theaterstück im – gut besuchten – Nikolaisaal bemüht hat. Nach Umfragen sei inzwischen die Zahl derjenigen, die das Ende der DDR als Befreiung empfinden, von 60 auf 43 Prozent zurückgegangen. „Trotz verbesserter Lebensverhältnisse wächst die Unzufriedenheit“, meinte Zumpfort.

Für Heinz Vietze, bis 1989 Erster Sekretär der SED-Bezirksleistung Potsdam, war die Aufführung nach eigenem Bekunden ein Stück weit Spiegelbild seiner damaligen Empfindung. Auch er habe nicht den Mut gefunden, zu reden, wo es unbedingt notwendig gewesen wäre, sagte der heutige Politiker der Linken im anschließenden Podiumsgespräch. Die junge FDP- Landtagsabgeordnete Linda Teuteberg indes fühlt sich durch die Aufführung bestärkt in ihrer Distanz zur SED-Nachfolgepartei und einstigen SED-Funktionären. Sie habe Schwierigkeiten mit Politikern, deren Haltung lange Zeit davon geprägt war, dass allein ihre Partei einen Führungsanspruch hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false