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Thalia Kino: Stolpe-Film "Der Mensch im Mittelpunkt"

Im Potsdamer Thalia-Kino wurde der TV-Film „Manfred Stolpe: Der Mensch im Mittelpunkt“ vorab gezeigt. Mehr als 100 SPD-Genossen kamen dafür zusammen.

Potsdam - Ein altehrwürdiges Kino, eine altehrwürdige Partei und ein Abend für eine ihrer Ikonen: Mehr als 100 Gäste hat die Potsdamer SPD-Landtagsabgeordnete Klara Geywitz am vergangenen Freitag im Babelsberger Thalia-Kino zur Preview des Fernsehfilms „Manfred Stolpe: Der Mensch im Mittelpunkt“ begrüßt.

Und geradezu wehmütig erinnerten sich die versammelten Genossen angesichts aktueller Umfragewerte von unter 20 Prozent bei Sekt hernach an die guten alten Stolpe-Zeiten: Der Sozialdemokrat und Landesvater Stolpe, der in der Bevölkerung hochangesehene Mann mit einer spektakulären DDR-Biografie außerhalb der SED-Karrieren, hatte ihnen bei der Landtagswahl 1994 das fulminante Ergebnis von 54,1 Prozent der Stimmen beschert. Von 1990 bis 2002 führte er die Potsdamer Landesregierung, später war er Bundesverkehrsminister.

Stolpe sei "keine Gerechtigkeit widerfahren"

Regisseur Michael Günther, dessen Film einen Tag später erstmals im rbb ausgestrahlt wurde, verriet, was ihn zu seinem recht persönlichen Porträt des ersten brandenburgischen Ministerpräsidenten antrieb: „Ihm ist nach 1992 keine Gerechtigkeit widerfahren.“

Günther spielte darauf an, dass Stolpe sich zwei Jahrzehnte lang dem Vorwurf ausgesetzt sah, er habe bei seinem Versuch, zwischen Oppositionellen in der DDR und ihrem Staat zu vermitteln, in seiner Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit als „IM Sekretär“ Grenzen überschritten.

Der Regisseur lässt das Hin und Her über die Bewertung von Stolpes Kontakten mit der Stasi nicht aus, aber setzt andere Schwerpunkte: Er zeigt die Bemühungen des Konsistorialpräsidenten der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, zwischen DDR-Oppositionellen, die in Schwierigkeiten gekommen waren, und der Stasi zu vermitteln. Das Porträt legt nahe, dass 1984, als 55 DDR-Bürger die Ständige Vertretung Westdeutschlands besetzt hatten, um ihre Ausreise zu erzwingen, Stolpes Einfluss half, den Fall zu lösen. Ihnen wurde die zügige Bearbeitung ihrer Ausreiseanträge und Haftfreiheit zugesagt.

Auch Modrow zu Gast

Günther fährt in seinem Film Zeitzeugen wie den Pastor und früheren Stolpe-Kritiker Rainer Eppelmann und den Theologen Friedrich Schorlemmer auf, die keinen Zweifel daran äußern, dass Stolpe von ehrenwerten Motiven geleitet war. Kriegsdienstverweigerern hatte der SED-Staat den Ausweg eröffnet, als sogenannte Bausoldaten zu dienen. Als aber einige auch dies ablehnten und sich zu Totalverweigerern erklärten, drohte Haft – und Stolpe half.

Unter den Gästen im Babelsberger Thalia war auch der 91 Jahre alte Hans Modrow, von November 1989 bis April 1990 der letzte Regierungschef der DDR und später Politiker der Partei Die Linke. Stolpe, sagte Modrow den PNN, sei „der Kirche verbunden“ gewesen und „und begriff zugleich, was Kirche im Sozialismus heißt: Man braucht eine Balance, wenn Kirche und Staat miteinander in einem Verhältnis leben wollen“, in dem „für die Menschen etwas getan wird“. Der Film, sagte er, spiegele „genau das wieder“.

Teils anrührende, teils bedrückende Zeitreise

„Der Mensch im Mittelpunkt“ ist eine teils anrührende, teils bedrückende Zeitreise durch die Geschichte der DDR. Er handelt von der Zeit, als die Mauer in der offiziellen Sprachregelung noch nicht Mauer, sondern „Schutzwall“ hieß, vom niedergeschlagenen Volksaufstand am 17. Juni 1953, als „Panzer Hoffnungen zerstörten“ (Stolpe). Von der Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz 1976 in Zeitz und den 1980er-Jahren, als langhaarige Regimekritiker Kirchen füllten und dort Rockkonzerte hörten, und dem aufsehenerregenden Treffen zwischen Stolpe und DDR-Staatschef Erich Honecker zwei Jahre später, als der „Burgfrieden“ zwischen Staat und Kirche geschlossen wurde.

Und immer wieder Manfred Stolpe: Wie er über Jahrzehnte Kontakt mit fünf Kommilitonen hielt, die sich nach dem Jurastudium in Jena geweigert hatten, der SED beizutreten und sich dafür „in der Produktion bewähren“ sollten, wie er sich, auch im St. Petersburger Dialog, für ein gutes Verhältnis mit Russland einsetzte. Eine Sequenz zeigt ein spätes Treffen zwischen Stolpe und Walter Momper (SPD), dem früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin an der Glienicker Brücke. Stolpe erzählt, dass er von Momper schon ein paar Tage vor der Maueröffnung erfahren habe, womit zu rechnen sei.

Das Geheimtagebuch Stolpes

Nach der Preview begann die Zeit der Anekdoten. Seine ehemalige persönliche Referentin Martina Weyrauch, heute Chefin der Landeszentrale für Politische Bildung, brachte vor allem den Zuschauern, die ihn nicht näher kannten, die Vielfältigkeit der Persönlichkeit ihres einstigen Chefs samt seiner Marotten näher. „Ein Geheim-Tagebuch und einen Geheim-Kalender“ habe Stolpe geführt, „wir wussten dann nicht, wo er ist“.

Angespannte Zeiten hätten sie gemeinsam erlebt, so die promovierte Juristin, die dabei war, als der Zwei-plus-Vier-Vertrag vor der Wiedervereinigung ausgehandelt wurde: „Andauernd Demonstrationen vor der Staatskanzlei, und wir wussten nicht: Fackeln die uns ab?“

Stolpe habe gewusst, dass „die Menschen Heimat brauchen in Zeiten des Umbruchs“. Auch in diesem Zusammmenhang sei zu verstehen, dass er so oft die inoffizielle Brandenburg-Hymne anstimmte: „Steige hoch, du roter Adler“. Die Vertreter der Staatskanzlei, ulkte Weyrauch, „sangen mühsam mit“.

Beeindruckt habe sie, dass der Ministerpräsident, der „nicht geduzt und nicht umarmt, aber immer Hände geschüttelt hat“, große Anteilnahme an der Lebenswirklichkeit der Bürger gezeigt habe. „Da ist eine Familie in Cottbus, die klagt, dass sie ihre Kohlen nicht kriegt“, trug ihr Stolpe, „der Diplomat und Kümmerer“ einmal auf.

Ein Ministerpräsident, der Brötchen bringt

Und die SPD-Abgeordnete Geywitz war noch bei den stets konträr zur SPD-Spitze eingestellten Jungsozialisten aktiv, als Stolpe am Abend spät in eine Tagung hereinplatzte: „Ihr habt doch bestimmt noch Hunger, hat er gesagt.“ Sie war überrascht, „dass ein Ministerpräsident Brötchen bringt“.

Stolpe, der 83 Jahre alt ist, lebt mit seiner zwei Jahre jüngeren Frau Ingrid, einer früheren Ärztin, in einer Wohnung im Potsdamer Johanniter-Quartier. Beide haben nie ein Hehl aus ihren Krebserkrankungen gemacht. Vertraute berichten, dass Manfred Stolpe das Sprechen schwerfalle, er aber noch per SMS kommuniziere. Martin Gorholt, Chef der Potsdamer Staatskanzlei, hat sich zuletzt vor drei Wochen mit ihm ausgetauscht. Hinsichtlich seines Gesundheitszustands, sagte Gorholt den PNN, „sieht Manfred Stolpe der Realität mit großem Gottvertrauen ins Auge“.

Ein Gästebuch, das viele der Kinobesucher mit einer Widmung versehen haben, wird dem ehemaligen Landesvater in diesen Tagen zugehen.

Carsten Holm

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