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Sprechen tut gut. Beate Müller leitet die Telefonseelsorge Potsdam und wünscht sich mehr Helfer – für eine schwierige, aber auch schöne und befriedigende Aufgabe, sagt sie.

© Johanna Bergmann

Telefonseelsorge in Potsdam: Zuhörer gesucht

Seit 22 Jahren gibt es die Telefonseelsorge Potsdam. Der Bedarf wächst, es werden neue ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht. Jetzt kann man sich bewerben.

Potsdam - Noch nie waren die Menschen so sehr miteinander verbunden, über moderne Kommunikationswege wie Mails und Telefone jederzeit und überall erreichbar. Und doch gibt es Menschen, die keinen zum Reden finden, wenn sie jemanden brauchen. Die einsam sind inmitten der vernetzten Welt oder in einer Krisensituation jemanden suchen, dem sie sich anvertrauen können. Das ist auch an der stetig steigenden Nachfrage bei der Telefonseelsorge zu erkennen. Es gebe mehr und mehr Menschen, die über diesen anonymen Weg jemanden zum Reden suchen, berichtet Beate Müller, die Leiterin der Telefonseelsorge Potsdam: „Es gehen wesentlich mehr Anrufe ein, als wir annehmen können.“ Dann bekommt der Anrufer eine nette Ansage vom Band oder es ist schlicht besetzt. „Wir könnten locker doppelt so viele Mitarbeiter gebrauchen.“

Es braucht immer wieder neue Mitarbeiter

Derzeit gibt es einen Pool von mehr als 100 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Jeder soll nach Möglichkeit dreimal im Monat eine Vier-Stunden-Schicht übernehmen. 80 bis 90 Leute sind nötig, um einen Monat abzusichern. Damit rund um die Uhr jemand da ist. Weil immer wieder Helfer aussteigen, sich beruflich verändern oder Potsdam verlassen, müssen auch immer wieder neue ausgebildet werden. Im November beginnt der nächste Kurs. Wer sich dafür interessiert, sollte sich bald bei Beate Müller melden. Es dauere eine Weile, bevor man sagen kann, ob jemand für die Aufgabe geeignet ist, sagt die Leiterin. Ebenso brauchen die Menschen etwas Zeit, um für sich festzustellen, ob das wirklich etwas für sie ist.

200 Unterrichtsstunden an einzelnen Wochenenden umfasst die Ausbildung, dazu kommt Hospitation und später, während des Dienstes, Supervision, also die professionelle Begleitung durch Sozialpädagogen oder Psychotherapeuten. Damit der Helfer verarbeiten kann, was er erlebt.

Die Mitarbeiter erlebten selbst, dass es wichtig ist, nicht alleine zu sein

Die Mitarbeiter kommen aus allen Berufs- und Altersgruppen und haben die unterschiedlichsten Biografien, sagt Müller. Oft wurden sie durch die eigene Erfahrung motiviert, erlebten selbst, wie wichtig es ist, nicht allein zu sein. „Manche wollen dann etwas zurückgeben“, sagt Müller. Andere suchen eine Tätigkeit für ihren Ruhestand. Oder als Ausgleich zu einem Job, in dem sie wenig mit Menschen zu tun haben. Die Bewerber sollten neugierig sein, belastbar, zeitlich flexibel. Und nicht gerade an eigenen Krisen knabbern. Reden muss man gar nicht immer so viel. „Es geht darum, zuzuhören und die Leute emotional da abzuholen, wo sie sind.“

Gearbeitet wird an einem anonymen Ort, damit Anrufer nicht direkt vorbei kommen können. Es soll schließlich keine persönliche Bindung zwischen Klient und Helfer entstehen. Es geht darum, die akute Situation zu entschärfen, jemanden aufzufangen, zu trösten, zu beruhigen. Dem Anrufer zu zeigen, wo er Rat und Hilfe bekommen kann, welche Wege er gehen könnte. Vielleicht hilft es auch schon, wenn durch das Telefonat eine neue Sichtweise auf ein Problem entsteht. Oder wenn jemand mal alles loswerden kann, was der Partner schon nicht mehr hören mag.

"Die Vereinsamung nimmt zu"

Die Menschen, die anrufen, haben meist familiäre Probleme, sind mit einer schlimmen Krankheitsdiagnose oder einer anderen schlechten Nachricht konfrontiert. Oder sie sind einsam und kämpfen während der Feiertage mit schmerzhaften Erinnerungen. „Die Vereinsamung nimmt zu“, sagt Müller. Und auf der anderen Seite der Leistungsdruck derer, die mitten im Job, in der Gesellschaft stehen. Die Anrufer leiden unter Burnout, Depressionen und Mobbing. Und haben manchmal auch Suizidgedanken. Ist das Telefon in solchen Situationen überhaupt noch ein wirksames Mittel, habe man sich auch seitens des Trägers gefragt. Natürlich, sagt Müller. Das Gespräch mit einem echten Menschen, der wirklich irgendwo sitzt und jetzt ganz für einen da ist, sei viel wert.

Die Potsdamer Telefonseelsorge wird durch mehrere Förderprogramme finanziert. Gegründet wurde sie vor 22 Jahren gemeinsam von Diakonie, Caritas, evangelischer und katholischer Kirche. In der DDR gab es viel zu wenig Telefone und offiziell auch keinen Bedarf. „Wer reden wollte, der klingelte beim nächsten Pfarrer oder bei seinen Freunden. Unangekündigt, was sonst, das war damals ganz normal. Dann fand die Seelsorge am Küchentisch statt“, sagt Müller.

Weltweit gibt es Sorgentelefone viel länger, schon 1896 wollte ein Pfarrer in New York das Telefon dafür nutzen, aber nur wenige Menschen hatten eins. Anfang der 1950er-Jahre veröffentlichten Pfarrer in London ihre Telefonnummern in Zeitungen. Die erste Telefonseelsorge in Deutschland wurde 1956 in Berlin gegründet. Heute wählt der Anrufer überall in Deutschland eine 0800-Nummer und wird automatisch mit jemandem in seiner Nähe verbunden. Der ihm dann ganz allein geduldig zuhört.

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