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Seit 15 Jahren fährt Mike Schröder in Potsdam Taxi, die längste Zeit als Angestellter. Erst im vergangenen Sommer klappte es mit der eigenen Konzession. An diesem Abend geht es zunächst nach Rehbrücke.

© Andreas Klaer

Taxibranche in Potsdam: Der Nachtfahrer

Die Taxibranche in Potsdam ist in der Krise. Aber eine Tariferhöhung? Bloß nicht, sagt der Potsdamer Taxifahrer Mike Schröder. Die PNN saßen eine Nacht lang bei ihm auf dem Beifahrersitz.

Potsdam - Wenn Mike Schröder jetzt bei Günther Jauch sitzen würde, wäre er ein reicher Mann. Die Frage: Wie hieß die am 29. November 1970 ausgestrahlte erste Folge des „Tatort“? „Ha!“, freut sich der Taxifahrer. Er kennt die Antwort. Das Millionärsquiz spielt er auf dem Handy, wenn er in seinem Großraumtaxi auf den nächsten Auftrag wartet. Quiz, Solitär oder Skat – immer startbereit und auf dem Fahrersitz. Denn steigt er aus, könnte ihm ein Auftrag durch die Lappen gehen: „Na dann kriege ich ja nicht mit, wenn was angeboten wird!“

An diesem Samstagabend hat der Taxifahrer kaum Zeit für Spiele. Immer wieder klingelt das Telefon, das rechts neben dem Lenkrad in der Freisprechanlage steckt, immer wieder leuchtet das Funkgerät auf der linken Seite auf, über das die von den Kunden über den Taxiruf 29 29 29 angefragten Fahrten angeboten werden.

Taxikrise in Potsdam? Für Mike Schröder scheint es bestens zu laufen. Aber dass die Branche vor großen Problemen steht, das sieht er auch so. Deswegen lässt er die PNN-Reporterin mit sich durch die Potsdamer Nacht fahren – für einen Zeitungsbericht. „Damit sich mal was tut!“

Wartezeiten am Wochenende bis zu einer Stunde: In Potsdam ist das normal

Wie ernst die Lage ist, das war im vergangenen Herbst deutlich geworden (PNN berichteten). Wartezeiten von bis zu einer Stunde in der Nacht sind nichts Ungewöhnliches mehr in der Landeshauptstadt, wie die Taxigenossenschaft einräumen musste. Auch Veranstalter und die Tourismusbranche sind bereits alarmiert. Die Taxigenossenschaft und die beiden Taxiverbände wollen nun eine Tariferhöhung, um die Situation für die Unternehmen zu entschärfen. Die Stadtverordneten sollen noch vor der Sommerpause darüber diskutieren und abstimmen, so der Plan der Stadtverwaltung.

Mike Schröder hält das für den falschen Weg. Eine Tariferhöhung? „Das können wir den Leuten nicht antun“, sagt er: „Es kann doch nicht sein, dass Oma die Fahrt zum Doktor nicht mehr bezahlt kriegt.“ Er kennt seine Fahrgäste. Und wer denkt, dass Taxifahren in Potsdam nur etwas für Leute ist, bei denen es auf den einen oder anderen Euro sowieso nicht ankommt, der hat sich getäuscht. Das ist eine der Lehren aus diesem Abend.

"Du weißt nie, was dich erwartet"

Gleich der erste Auftrag zum Beispiel. Es ist noch am frühen Abend, eine Familienfeier ist zu Ende, Schröder ist für 19.30 Uhr nach Rehbrücke bestellt. Dort wird er herzlich begrüßt. „Unser Lieblingstaxifahrer“, sagt der Mann im besten Alter, der seine Gäste verabschiedet. Ein Stammkunde. Und immer verlässlich, sagt Schröder. Was damit gemeint ist? Bei Anrufen über den Taxiruf komme es auch vor, dass der Kunde dann gar nicht gewartet hat – oder nur eine Minifahrt von wenigen Hundert Metern will, was sich für Schröder nicht rechnet. „Touristenfahrten“, nennt er das. Wenn jemand vom Nauener Tor zur „Unscheinbar“ schräg gegenüber der alten Fachhochschule möchte. Oder vom Luisenplatz zum Hotel Mercure, wie es später am Abend passieren wird – gerade mal sechs Euro macht das, einer davon geht an die Taxigenossenschaft. „Du weißt nie, was dich erwartet.“

Aber jetzt hilft Schröder erst mal dem älteren Herrn mit Stock auf den Sitz, ein Ehepaar und eine ältere Dame werden in die Waldstadt und nach Babelsberg gebracht. 25 Minuten dauert das, die Anfahrt nicht mitgerechnet, auf 20 Euro runden die Kunden auf. Die nächste Tour von Waldstadt nach Saarmund ist schon gebucht, der Nachfolgeauftrag vom Kirchsteigfeld in die Schlaatzstraße kommt über den Taxiruf herein, dann wieder eine Stammkundin, die aus Rehbrücke abgeholt und nach einem Zwischenstopp zum Einkauf bei einer Bekannten abgesetzt wird. Mike Schröder muss einem anderen Stammkunden, der zwischendurch anruft, absagen und auf den zentralen Taxiruf verweisen.

Brandenburger Schnauze oder höfliche Zurückhaltung

43 Jahre alt ist der Taxifahrer und damit einer der jüngeren unter den Potsdamer Kollegen. Mit seinen Stammkunden ist er auf Du und Du. Bei den anderen meint er intuitiv zu wissen, wie viel Gespräch oder Ruhe sie wünschen, Brandenburger Schnauze oder höfliche Zurückhaltung. An diesem Abend ist beides gefragt. Schröder fährt seine Kunden nicht nur, er hört auch bei Liebeskummer und Krankengeschichten zu und irgendwann kurz vor Mitternacht wird ihm eine Mitfahrerin auf dem Weg von Bornim ins Bornstedter Feld eine ramponierte Zündkerze in die Hand drücken, von ihrem Auto, das ein paar Wochen nach der Durchsicht schlapp gemacht hat, wie sie vorher verärgert erzählt hat: „Jetzt sag du mal was dazu!“ Und Schröder hat was zu sagen, er ist ja schließlich gelernter Autoschlosser.

Seit 15 Jahren fährt Mike Schröder in Potsdam Taxi, die längste Zeit als Angestellter. Erst im vergangenen Sommer klappte es mit der eigenen Konzession. Schröder kaufte seinem Chef den Mercedes Vito mit Platz für bis zu acht Fahrgäste ab. Und ist seitdem sein eigener Boss. Von Mittwoch bis Sonntag ist er unterwegs, nachts: „Ich bin zwölf Stunden draußen – von fünf bis fünf.“ Für Privatleben bleibt da nicht viel Zeit. Oder für sein Hobby, das Motorrad. „Aber wenn ich als Taxifahrer arbeite und Geld verdienen will, dann muss ich arbeiten, wenn die Menschen fahren wollen.“ Logisch.

Probleme, Nachwuchs zu finden

Für viele Taxiunternehmer in Potsdam ist die Rechnung aber nicht mehr so einfach. Seit 2015 müssen sie ihren Fahrern den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, egal ob Kunden gefahren werden oder nicht. Früher waren die Taxifahrer am Umsatz beteiligt. Die Folge der Änderung: Arbeitszeiten sind gekürzt worden, Unternehmen lassen ihre Fahrer seltener nachts arbeiten. Hinzu kommt, dass es wie in anderen Dienstleistungsberufen schwierig ist, überhaupt noch Nachwuchs zu finden. Schröder tippt auf sein Taxiruf-Gerät, wo er die aktuellen Einsatzzahlen abrufen kann. 26 Taxis sind an diesem Samstagabend in Potsdam für den Taxiruf auf der Straße, zwölf in dem Moment frei. Zum Vergleich: Es gibt insgesamt 174 konzessionierte Taxis in Potsdam, gut 120 von ihnen sind dem Taxiruf der Genossenschaft angeschlossen.

Zurück zu einer gemeinsamen Rufnummer, das wäre aus Schröders Sicht wichtig. Momentan gibt es praktisch ein Durcheinander: Mit diversen Handy-Apps, Privatnummern für Einzelunternehmer oder Fahrern, die an lukrativen Orten auf Kunden warten. Die aus Taxiunternehmersicht unattraktiven Fahrten von abgelegenen Adressen oder über kurze Strecken können so umgangen werden – der Kunde hat den Schaden. Als Schröder gegen 21.15 Uhr am Hauptbahnhof vorbeifährt, wird klar, was er meint. Eine Armada von sechs Taxis steht dort bereit – aber keines von ihnen ist über den Taxiruf organisiert.

Schröder fährt die nächste Fahrt, von Babelsberg nach Drewitz. Plötzlich schmunzelt er vielsagend: „Ich freu mich jedes Mal, wenn der Zeiger der Uhr auf 22 Uhr geht.“ Denn dann erlöschen in Potsdam viele Ampeln. Freie Fahrt.

„Der Stauverkehr in Potsdam ist für mich geschäftsschädigend“

Über die Verkehrspolitik in der Stadt kann der Taxifahrer von Herzen schimpfen. Es seien ihm schon Kunden im Berufsverkehr wieder ausgestiegen, weil er im Stau feststeckte: „Der Stauverkehr in Potsdam ist für mich geschäftsschädigend.“ Der geplante Umbau des Verkehrsknotenpunkts Leipziger Dreieck? „Mir graut’s davor!“ Auch sonst ist Schröder von der Arbeit im Rathaus nicht allzu begeistert. Da wäre etwa die Leitbild-Broschüre, die er neulich im Briefkasten hatte: „Da steht was von bezahlbarem Wohnen schaffen – aber ich frage mich: Wieso kommt so was jetzt, wo die Stadt schon zugebaut ist?!“ Schröder schüttelt den Kopf. Man möge ihn bitte nicht missverstehen: „Ick liebe Potsdam!“ Aber für Leute wie ihn und seine Kunden, „die normalen Leute“, geschehe ihm einfach zu wenig.

Der Zeiger der Uhr schreitet weiter, die Zahlen auf dem Taxameter auch, denn Schröder ist immer auf Achse. Irgendwann nimmt er die Coladose aus dem Türfach, öffnet sie mit einem Zischen. Er trinkt ein paar Schlucke und tippt mit auf dem Taxiruf-Gerät. Wieder ein Auftrag. Und jedes Mal ist ihm die Freude darüber anzumerken. Zehn Fahrten hat er von 19 Uhr bis Mitternacht absolviert und damit gut 150 Euro eingefahren. „Ich bin richtig zufrieden“, sagt er – es ist alles in allem ein guter Abend.

Und die Tatort-Frage aus dem Millionärsquiz? Mike Schröder lacht. „Taxi nach Leipzig“, sagt er. Wie könnte er das vergessen. Und weiter geht es durch die Potsdamer Nacht.

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