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Tanzschule feiert Jubiläum: Tanzausbildung vom Knigge-Coach

Die Potsdamer Tanzschule „Balance“ feiert ihr 25-jähriges Bestehen. Gelehrt wird auch der richtige Ton.

Von Helena Davenport

Potsdam - Der erste Tanzkurs – ein Gedanke an ihn genügt, schon stellen sich die Nackenhaare auf. Die Hände schwitzig, die Luft dick, die Musik schlecht. Und was am meisten frustrierte: Es gab keinerlei Chance, Verpasstes nachzuholen. Auch Matthias Freydank hat nicht die besten Erinnerungen an seinen ersten Tanzkurs in der achten Klasse. Der sei nämlich nicht gerade altersgerecht gewesen. „Eigentlich ist es ein Wunder, dass einige von uns danach weitergemacht haben“, gesteht er lachend.

Freydank tanzte nicht nur weiter, sondern eröffnete sogar eine eigene Tanzschule: „Balance“. In diesem Jahr feiert die in der Waldstadt ansässige Einrichtung ihr 25-jähriges Bestehen. Stressabbau und das Erlernen von sozialen Kompetenzen stehen hier im Vordergrund: „Tanzen soll Spaß machen und Gäste sollen unter keinen Umständen frustriert nach Hause gehen“, sagt Freydank.

Obstbauer-Ausbildung und nebenbei Dirty-Dancing-Kurse

Matthias Freydank nahm Unterricht in der Potsdamer Schule von Lucia Gallo, bei Kurt Schröder und dann bei Günther Seyfert. Seinen Wunsch, selbst Tanzlehrer zu werden, ließ er gar nicht erst größer werden – weil das zu DDR-Zeiten auch gar keinen Sinn gehabt hätte, erzählt Freydank. Nur wer aus einer Tanzlehrer-Familie kam, habe selbst die gleiche Laufbahn einschlagen können. Freydank wurde Facharbeiter für Obstanbau, eröffnete aber nebenbei den Rock’n’Roll-Club „Let’s Rock“, in dem er mit Anfang 20 die ersten Dirty-Dancing-Kurse gab.

Mit der Wende veränderten sich auch die Bedingungen für den Obstanbau im Havelland. Der Betrieb schloss und Freydank stand ohne Arbeit da. Mit 27 entschied er sich, noch einmal von vorne zu beginnen. Erster Schritt: eine dreijährige Ausbildung beim Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) in Berlin-Reinickendorf. Noch während der Ausbildung, im Februar 1992, begann Freydank, in seiner Heimatstadt Potsdam selbst Unterricht zu geben. Das „Studio Potsdam“ der Berliner Tanzschule Gerda Keller, das er in „ADTV Tanzschule Balance“ umtaufte, übernahm er aber erst ein Jahr später. Feste Räumlichkeiten gab es zunächst nicht. „Ich war im Auto mit Plattenspieler und Lautsprecherbox unterwegs“, erzählt Freydank mit breitem Grinsen. Zwei Tage die Woche in der Gaststätte „Schwarzer Adler“ in Teltow, vier Tage im „Auerochs“ am Schlaatz. Wera Ebert aus Geltow kann sich an diese Zeit noch gut erinnern. Sie wohnte 1994, als sie mit ihrem Mann zum ersten Mal Unterricht in der „Balance“ nahm, noch am Schlaatz. „Die Tanzschule war auch ein Treffpunkt“, erzählt die 66-Jährige.

"Wir vermitteln nicht nur Schritte, sondern auch Umgangsformen"

1995 entdeckte Freydank den Neubau in Waldstadt: Er nahm einen Kredit auf, ließ den einen großen Raum zu zwei Tanzflächen samt Bar umbauen und gab noch im selben Jahr einen Weihnachtsball. Anfang der 1990er-Jahre hätten seine Tanzkurse speziell für Kinder noch eine Besonderheit dargestellt, sagt Freydank. Und selbst diese seien noch viel zu sehr auf die Standard-Gesellschaftstänze bezogen gewesen. Heute sei vieles besser: Hinter Kinderkursen stecke ein pädagogisches Konzept und es werde nicht mehr jedes Kind ungefragt in einen Kurs gesteckt, so wie er als Achtklässler. „Balance“ versucht, den Interessen der Jugendlichen mit zusätzlichen Angeboten, etwa mit Hip-Hop-Kursen, entgegenzukommen. Dass sich heutzutage aber kaum ein Jugendlicher für einen Standard-Tanzkurs interessiert, findet Freydank problematisch. In der achten Klasse seien Kinder noch zu jung. „Aber spätestens vor dem Ende der Schulzeit sollte jeder einen Tanzkurs machen. Der gehört zum Erwachsenwerden dazu. Wir vermitteln ja nicht nur Schritte, sondern auch Umgangsformen“, erklärt er. Freydank ließ sich hierfür von der deutschen Umgangsform-Päpstin Inge Wolff zum Business-Knigge-Coach ausbilden. „Heute wachsen Jugendliche freier auf – für einen ersten Kontakt zu Mädchen braucht keiner mehr einen Tanzkurs. Aber jeder sollte ausprobieren, ob Tanzen etwas für ihn ist“, findet Freydank.

Unter Erwachsenen sei der Wille, einen Tanzkurs zu besuchen, ungebrochen. Allerdings stehe der Tanz an sich nicht mehr im Vordergrund. „Früher haben wir Tänze unterrichtet, heute unterrichten wir nach Tanzstilen“, erzählt Freydank. Disco, Swing, Walzer – das seien die auf Deutschlands Partys am stärksten vertretenen Musikrichtungen. In der „Balance“ lernen Gäste während der Anfängerkurse, sich zu diesen drei Richtungen zu bewegen. Ob man Discofox tanze, laut Freydank „des Deutschen liebster Einheitstanz“, oder eben die einfachere Variante Disco Samba, sei jedem selbst überlassen.

Der Discofox - "des Deutschen liebster Einheitstanz"

Paare kämen in erster Linie des Ausgleichs zum Alltag wegen, erzählt Tanzlehrerin Linda Martin, die 2011 als Praktikantin in der „Balance“ begann und mittlerweile als Lehrerin zum vierköpfigen Team gehört. Die Kurse finden deswegen in Blöcken á vier Wochen statt und da jeden Monat ein neues Thema im Mittelpunkt steht, kann jeder jederzeit ein- oder aussteigen. Wera Ebert, die mit zu den ältesten Kunden der Schule gehört, freut sich über die neue Flexibilität, allerdings habe sie in ihren ersten Kursen mehr gelernt: „Mein Mann und ich haben es genossen, vom niedrigen zum höheren Niveau zu gelangen.“ Das neue Konzept sei aber besonders gut für Newcomer.

Viermal im Jahr gehören der Potsdamer Lebenshilfe die Tanzflächen der Schule. Freydank möchte auch denen das Tanzen ermöglichen, die sonst keinen Zugang zu einem Kurs haben. Außerdem beteiligt sich „Balance“ seit 1994 jedes Jahr am Welttanztag aller ADTV-Schulen. 8433 Tänzer haben in diesem Jahr deutschlandweit mitgemacht – ein neuer Rekord. Die „Balance“ sammelte insgesamt 1200 Euro Spenden während der Aktion: 400 Euro gehen an die RTL-Stiftung „Wir helfen Kindern“, der Rest an die Potsdamer Lebenshilfe.

Wieso Tanzen bei Männern verpönt ist, versteht Freydank nicht

Dass das Tanzen bei Männern in Deutschland noch immer verpönt ist, sei für ihn völlig unverständlich, sagt Freydank. Mit der Einschulung werde Jungs beigebracht, dass Tanzen unmännlich ist – daran habe sich in 25 Jahren nichts verändert. Als Freydank einmal den Vater einer Tanzschülerin fragte, ob deren Bruder denn nicht auch Lust habe, einen Kurs zu besuchen, erhielt er als Antwort: „Der ist doch nicht schwul!“ Freydank schüttelt den Kopf: „Tanzen gehört zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit, es steckt doch in unseren Genen.“

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