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Der Chefredakteur des „Zeit“-Magazins Christoph Amend (l.) und Buchautor Florian Illies halten große Stücke auf Henri-Edmond Cross, dessen Bilder derzeit im Museum Barberini zu sehen sind.

© Manfred Thomas

Talk zur Cross-Schau im Museum Barberini Potsdam: „Wann und warum berührt uns Kunst?“

Die Journalisten Christoph Amend und Florian Illies diskutierten im Museum Barberini über den Maler Henri-Edmond Cross. Und über Sehnsuchtsorte und gesellschaftliche Visionen.

Potsdam - Es gibt ein paar Running Gags am Montagabend im Museum Barberini, an dem sich der vielfach ausgezeichnete Chefredakteur des „Zeit“-Magazins Christoph Amend und sein ehemaliger Kollege, der mindestens ebenso häufig ausgezeichnete Journalist, Autor, Kunstspezialist und Verleger Florian Illies über die Frage unterhalten: „Wann und warum berührt uns Kunst?“

Christoph Amend (l., Chefredakteur des "Zeit"-Magazins) und Florian Illies in der Ausstellung Henri-Edmond Cross.
Christoph Amend (l., Chefredakteur des "Zeit"-Magazins) und Florian Illies in der Ausstellung Henri-Edmond Cross.

© Manfred Thomas

Einer dieser Witze ist, dass Amend, 44, und Illies, 47, nahezu gleichaltrig sind, aus Kleinstädten stammen und beide die berüchtigte hessische Gesamtschule durchlaufen haben. „Da wurde an Bildung nichts nachgeschenkt“, spottet Illies. Aus seinem Elternhaus könne er sich an keine Kunst erinnern. Deshalb war für den zehnjährigen Florian der Schulausflug ins Frankfurter Städl-Museum der Blick in eine andere Welt. Dort sah er erstmals das 1904 entstandene Bild „Nachmittag im Garten“ von Henri-Edmond Cross, „und dann wollte ich nicht mehr weg“, denn „Cross hatte eine ganze Welt aus Lilatönen gebaut, eine neue Möglichkeit der Wirklichkeit“. Das an sich ereignisarme Bild (plaudernde Frauen, spielende Kinder, abgewandte Ehemänner) glüht geradezu. Seither, sagt Illies, habe ihn die Kunst nicht mehr losgelassen. „Diese Farben kannte ich nicht von unseren Familienurlauben an der Nordsee“, sagt Illies.

Cross entdeckte die Riviera als Sehnsuchtsort

In den Farben schwelgt der Neo-Impressionist, zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Vertreter der französischen Avantgarde neben Picasso und Cézanne. Cross gehörte zu den ersten, die die Riviera als Sehnsuchtsort für sich entdeckten und behauptete stets, man sei geradezu von der Zivilisation abgeschnitten – was gar nicht stimmte, mit dem Bahnhof quasi vor der Tür, so Amend.

Illies selbst hatte Maler und Bild ganz vergessen, sagt er – bis er bei der Eröffnung des Museums Barberini vom Treppenhaus aus Cross’ Stierkampf-Szene entdeckte. Da war er schon Gesellschafter und Geschäftsführer des renommierten deutschen Auktionshauses Grisebach. 

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Cross sei aus vielerlei Gründen in Deutschland aus dem Bewusstsein verschwunden – wie auch etliche seiner Bilder. „Verrückt!“, sagt Illies. Immerhin lernten die Impressionisten bei Cross, wie man Farben in Punkte zerlegt. „Der Künstler und Anarchist nutzte beide Gehirnhälften. Er malte Bilder, die der Welt zeigten, wie sie sein soll“, ergänzt Amend.

Impressionisten hatten eine gesellschaftliche Vision

Schönheit, so schwingt darin mit, muss kein politisches K.o.-Kriterium sein für die Kunst. Allzu gerne werde vergessen, dass die Impressionisten mit ihrer so gefälligen Kunst eine gesellschaftliche Vision hatten. Und die wirkte damals buchstäblich über die Grenzen hinweg, wie der deutsche Harry Graf Kessler bewies. Diese legendäre Gestalt mit unklarem Berufsbild, heute würde man sagen: ein Influencer, riet um 1900 herum jedem, der fragte, in die französische Avantgarde zu investieren. Illies, bislang vor allem Kunstkenner auf dem Podium, nimmt nun als Geschichts-Geschichtenschreiber Fahrt auf: „Das war revolutionär! Gerade erst hatte man noch gegen Frankreich gekämpft – und nun sollte man von dort Kunst kaufen?“ Doch viele deutschen Museen folgten diesem Rat, früher sogar als französische. Bis 1913.

Christoph Amend (l.) und Florian Illies diskutierten im Museum Barberini über Kunst. 
Christoph Amend (l.) und Florian Illies diskutierten im Museum Barberini über Kunst. 

© Manfred Thomas

Lange, sagt Illies, sei er dem Irrtum (nicht nur der hessischen Gesamtschule) gefolgt, dass dieses Jahr eine Epoche beendet habe. Dabei hätte es, bei seinem Reichtum an Neuerungen, durchaus das Jahr eines Neubeginns werden können – „wäre die Energie nur in eine andere Richtung gelenkt worden“. Ein paar Neuerungen zählt Illies auf: 1913 wurde das Fließband erfunden, Nils Bohr legte die Grundlage für das Atom-Modell. Zahllose Leserbriefe nach dem Erscheinen seines Bestsellers „1913“ hätten ihn auf die weißen Flecken des Buches hingewiesen, vieles floss in den just erschienenen zweiten Band „1913 – Was ich unbedingt noch erzählen wollte“ ein. Daraus liest Illies kurz vor – und zwar, wie die Kunst die Geliebten der Maler Matisse und Picasso zu Tränen rührt. Vor allem, weil es keine Freude ist, im Portrait bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert zu werden. So ganz mag sich Illies nicht festlegen, ob das Jahr mit dem zweiten Band zu Ende erzählt sei; die Beschäftigung damit sei so eine Art Krankheit geworden. „Ich bin gespannt, wie sich die Reha entwickeln wird.“

Kurator Daniel Zamani führte Florian Illies und Christoph Amend durch die neue Cross-Schau. 
Kurator Daniel Zamani führte Florian Illies und Christoph Amend durch die neue Cross-Schau. 

© Manfred Thomas

Mehr Infos zur Cross-Ausstellung im Barberini finden Sie hier >>

Stefanie Schuster

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