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Chillout. Katharina Tietz (links) und Manuela Schulz von Chillout e.V.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: Suchtversteher

Knapp 300 Beratungen führt der Chillout e.V. im Jahr durch. Jetzt feiert der Verein 20-jähriges Jubiläum

Teltower Vorstadt - Als die Mitarbeiter des Chillout-Vereins vor ziemlich genau 20 Jahren in Potsdam ihre ersten Suchtberatungen anboten, seien sie teils noch recht skeptisch beäugt worden, erinnert sich Rüdiger Schmolke. Statt Abstinenz zu fordern, habe sich der Verein an der sogenannten akzeptierenden Drogenarbeit orientiert. „Damals gab es eine Initiative, die von Studierenden der Fachhochschule Potsdam ausging“, erzählt der langjährige Mitarbeiter und ehemalige Geschäftsführer. Zusammen mit Potsdamern, die aktiv im Nachtleben der Stadt unterwegs waren, die teilweise auch selber Drogen nahmen, hätten die Studierenden ein niedrigschwelliges Angebot für Konsumenten schaffen wollen. Die Beratungen sollten näher an der Lebenswirklichkeit sein und nicht mehr Abstinenz fordern, wie das damals sonst in Suchberatungen üblich war.

Zunächst startete Chillout 1997 nur ehrenamtlich. Mit Förderung der Stadt wurde das Beratungsangebot dann 2004 offiziell zur Suchtpräventionsstelle, seit 2012 heißt es Fachstelle für Konsumkompetenz. Ganz verschwunden ist die Skepsis gegenüber der Arbeit des Vereins indes noch nicht, räumt Katharina Tietz ein. Meist sei die Kritik jedoch auf Angst und Unwissenheit zurückzuführen, meint die Geschäftsführerin, die im April dieses Jahres die Leitung übernommen hat. „Man merkt öfter mal, dass es missverstanden wird. Akzeptierende Drogenarbeit bedeutet nicht, das es keine Regeln gibt.“ Es sei beispielsweise selbstverständlich, dass in der Schule, als ein Ort des Lernens, nicht konsumiert werden soll. Ihr Konzept helfe dabei, mit den Konsumenten überhaupt in Kontakt zu kommen. „Wenn wir anders arbeiten würden, gäbe es natürlich die Möglichkeit, jemandem dabei zu helfen, abstinent zu sein. Aber dann gäbe es keinen Raum mehr, anderen zu helfen, die vielleicht nur etwas an ihrem Konsum verändern möchten“, sagt auch Manuela Schulz, die im Vorstand von Chillout arbeitet. Bei Fachleuten sei die akzeptierende Drogenarbeit mittlerweile angekommen und es gebe kaum noch Träger, die anders arbeiten würden, erklärt Schmolke.

Im Jahr 2016 wurden eigenen Angaben zufolge 288 Beratungen mit 171 Personen geführt. Die Beratungszahlen würden seit 2010 deutlich steigen, schwanken jedoch von Jahr zu Jahr, so Tietz. Der Fokus liegt auf Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 27 Jahre, aber auch andere können sich beraten lassen. Eine Beratungsstelle aufzusuchen bedeute nicht „schwer abhängig“ zu sein, sagt Tietz. „Die meisten haben den Impuls, es stimmt etwas nicht: ’Ich muss etwas tun. Vielleicht hör ich mir die Beratung mal an’.“ Nicht selten komme der entscheidende Anstoß von einer Freundin oder einem Freund, gelegentlich aber auch von den Eltern, so Tietz. In der Erstberatung würde dann zunächst zugehört und geschaut, warum derjenige in der Beratung sitzt und ob die Person tatsächlich etwas an ihrem Konsum ändern wolle. „Dann helfen wir dabei, Strategien zu entwickeln, was derjenige tun kann, um seinen Konsum zu ändern“, so Tietz.

Etwa die Hälfte derer, die zur Beratung von Chillout kommen, sind laut Ex-Chef Schmolke unter 21 Jahre alt. In anderen Beratungsstellen sei das Durchschnittsalter dagegen 44. „Wir sind die etwas andere Beratungsstelle, sage ich immer", so Schmolke.

Mittlerweile steht bei Chillout neben der Beratung vor allem die Präventionsarbeit an und mit Schulen sowie Kitas im Vordergrund der Arbeit. Es gibt Aktionen wie „Komm auf Tour“, ein Projekt, das Jugendlichen helfen soll, ihre Stärken zu entdecken oder „KlarSicht“, das über die Gefahren von Tabak und Alkohol aufklärt. Außerdem bietet Chillout auch Fortbildungen im Bereich der Gesundheitsförderung, der Konsumkompetenz und Suchtprävention an.

Seit zwei Jahren betreibt Chillout zudem in Kooperation mit dem Verein zur Förderung innovativer Wohn- und Lebensformen „Inwole“ sowie dem Fußballklub Concordia Nowawes den Jugendclub „Ostbloq“ im Zentrum Ost. Dort können die Kinder und Jugendlichen Break Dance tanzen oder bei Graffiti-Workshops mitmachen. Auch Projekte zu Konsumverhalten finden statt. Ungewöhnlich ist auch die starke Unterstützung von Ehrenamtlichen, die etwa im Potsdamer Nachtleben unterwegs sind und auf Partys, wie im Waschhaus oder Lindenpark, beraten. „Wir haben zurzeit etwa 35 Leute in unserem Verteiler. 15 bis 25 Ehrenamtliche sind eigentlich immer aktiv“, so Tietz.

Für die Zukunft wünscht sich der Verein, dass noch viel mehr junge Menschen Kontakt zu ihnen aufnehmen und, dass auch Angehörige oder Bekannte sich öfter aufklären lassen wollen. „Man muss nicht selbst süchtig sein, um in eine Beratung zu gehen“, so Schmolke. Sarah Stoffers

Am Freitag findet im Freiland anlässlich des 20-Jährigen Jubiläums ab 10 Uhr der Fachtag „Die Segel setzen – Akzeptierende Drogenarbeit 2.0“ statt. Um 21 Uhr gibt es einen Geburtstagsempfang und ab 23 Uhr eine Soli-Party im Spartacus. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei

Sarah Stoffers

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