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Fünf Monate Bauzeit: Bauleiter Marco Preßler über der fertigen Kulissenstraße.

© Manfred Thomas

Studio Babelsberg: Kulisse für die Ewigkeit

16 Millionen Euro hat Studio Babelsberg für die neue Filmstraße investiert. Doch es fehlen die Produktionen, die dort drehen wollen.

Babelsberg - Der Scherz sitzt. „Jetzt, wo wir hier fertig sind, müssten wir eigentlich den Auftrag für den Flughafen bekommen“, sagt Christoph Fisser. Er meint, natürlich, den BER. Solche unvollendeten Geschichten kann Fisser sich nicht leisten. Im Gegenteil: Unter seiner Verantwortung muss es meist schnell gehen, ganz schnell. In den vergangenen fünf Monaten hat er 8,5 Millionen Euro ausgegeben. Mitten in Potsdam. Das Geld ist in die neue Kulissenstraße von Studio Babelsberg geflossen. Sie wird am heutigen Samstag mit Film- und Politprominenz eröffnet, heißt „Neue Berliner Straße“ und steht auf dem Areal an der Wetzlarer Straße, vis-à-vis der Medienstadt. Das Grundstück hatten die Studio-Chefs Fisser und Carl L. Woebcken vor einigen Jahren erworben – für noch einmal sieben Millionen Euro.

300 Bauarbeiter waren in den letzten fünf Monaten in der „Neuen Berliner Straße“ zugange, es gab eifriges Gewusel. Zwölf Architekten arbeiteten parallel daran, den Entwurf des Szenenbildners Uli Hanisch Realität werden zu lassen. Dazu die gesamte Crew des Art Departments von Studio Babelsberg. Unter Leitung von Michael Düwel sind dort Tischler, Kunstmaler, Stuckateure, Kunststoff- und Metallbauer beschäftigt. Rund zwei Drittel der 8,5 Millionen Euro seien an externe Handwerksfirmen geflossen, schätzt Fisser, die meisten aus der Region. An der Spitze des Projekts steht Marco Preßler, Bauleiter beim Studio. „Das ist wirklich sein Meisterstück“, sagt der Studiochef.

So groß wie Stalingrad

Preßler ist Profi, er hat die mit einem Oscar für das Produktionsdesign gekrönte Kulisse für den Wes-Anderson-Film „The Grand Budapest Hotel“ gebaut. Aber das, diese „Neue Berliner Straße“, ist noch einmal ein anderes Kaliber. „Ein Meilenstein für das Studio“, nennt Fisser sie. Die Filmschaffenden vor Ort sagen, so etwas Großes hätten sie nicht mehr gebaut seit Stalingrad. Das war im Jahr 2000, als Jean Jacques Annaud auf dem Krampnitzer Kasernengelände sein Epos „Enemy at the Gates“ drehte. Und zwischen Stalingrad und der „Neuen Berliner Straße“ gibt es einen gravierenden Unterschied: Die Kulissenstraße, besser: das Karree, ist „in seiner Grundstruktur gebaut für die Ewigkeit“, wie Studiochef Fisser sagt. Hier soll nicht nur ein Film, hier sollen Dutzende, ja am besten Hunderte gedreht werden.

Dass der Bedarf da ist, dafür hat Studio Babelsberg selbst den Beweis geführt: Die alte „Berliner Straße“, 1998 ursprünglich für den Film „Sonnenallee“ errichtet, blieb fast 16 Jahre stehen. Mehr als 60 Produktionen haben sie genutzt, kleine und große, deutsche und internationale. Szenen für Roman Polanskis „Der Pianist“ entstanden dort, für Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, aber auch „Russendisko“ oder „Der Vorleser“. Die „Berliner Straße“ war 130 Meter lang, hatte 26 Häuserfassaden.

Die „Neue Berliner Straße“ ist dreimal so groß. Sie hat 54 Hausfassaden, vier Straßenzüge und einen Innenhof, die Häuserfronten sind zwölf bis 15 Meter hoch, 600 Fenster und Türen wurden verbaut und 500 Tonnen Stahlkonstruktionen. Die Kanalisation ist echt, die Erschließung mit Strom ebenfalls. Bewusst hat das Karree drei große Öffnungen – dort hinein kann per Computertechnik die Skyline fast jeder Großstadt weltweit montiert werden, erklärt Fisser. Das sei bei der alten Kulissenstraße nicht möglich gewesen. „Jetzt können wir hier die ganze Welt darstellen.“ Es können Bäume „gepflanzt“ werden, Balkone und Fenster sind bespielbar, die Fassaden der Häuser können mit minimalem Aufwand ausgetauscht werden: Der Styropor, der dafür auf die wetterfesten, verputzten Platten der Stahlgerüste montiert wird, kann in den Babelsberger Werkstätten mit modernster Technik maschinell für jede Stadt und Epoche passgerecht zugeschnitten werden. Er kenne keine andere Kulissenstraße in Filmstudios in ganz Europa, die so groß und modern sei, sagt Fisser.

Berlin 1929 für 20 Drehtage

Dennoch, ungetrübt ist die Freude im Studio über die größte Investition seit 2004 ganz und gar nicht. Es fehlen die Filme, die in der Kulisse gedreht werden könnten. Nur die erste Produktion steht fest, die deutsche Ausnahme-TV-Serie „Babylon Berlin“ von Regisseur Tom Tykwer, produziert gemeinsam von Sky, ARD und X-Filme Creativ Pool mit einem Budget von 40 Millionen Euro, wird hier etwa 20 Drehtage haben. Für sie hat Szenenbildner Uli Hanisch das erste derzeitige „Kleid“ der Straße entworfen: Berlin 1929, Charlottenburg, Wedding, Neukölln, die damalige Friedrichstraße mit dem markanten Kaffeehaus Moka Efti.

Täuschend echt, atmosphärisch, beeindruckend ist diese Kulisse, aber die „Majors“, die großen US-Studios, „haben uns derzeit nicht auf dem Radar“, sagt Fisser. Nachdem das Geschäft gute zehn Jahre lief, sich Hollywood-Stars auf dem traditionsreichen Studiogelände tummelten, herrscht jetzt weitgehend Leere. Der Grund, laut Fisser: Während europaweit, ja weltweit ständig neue Förder- und Steuervergünstigungsmodelle für die Filmproduktionen angeboten würden, hinke Deutschland hinterher. Seit vergangenes Jahr im Mai das Budget für den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) plötzlich um 20 Millionen Euro gekürzt werden sollte, sei das Vertrauen weg. Außerdem sei das deutsche System, auch noch kompliziert zwischen Bundes- und Länderförderungen aufgestellt, für die Produzenten unberechenbar.

Dreht eine Produktion beispielsweise in Großbritannien, ist klar, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Kosten erstattet werden – ohne Obergrenze. Das funktioniert beim DFFF anders. Er bietet maximal 20 Prozent, bei zehn Millionen Euro Fördergeld ist die Grenze. Das ist für Filme mit einem Gesamtbudget von rund 50 Millionen Euro ganz attraktiv – die großen US-Produktionen kosten aber locker mal 70 oder auch 100 Millionen Euro und bekommen anderswo mehr Geld. Ausnahmen sind beim DFFF kaum möglich, und wenn, dann nur nach Gremien-Votum.

"Homeland" zog nach New York weiter

Dabei, so hat die Roland-Berger-Studie „Volkswirtschaftliche Effekte der Kinofilmproduktion in Deutschland“ aufgezeigt, sind die Fördereuros gut angelegtes Geld. Für jeden Euro, den der Staat gibt, folgen vier Euro Investition. Noch nicht einberechnet sind die vielen Filmschaffenden, die dadurch Arbeit haben. Rund 700 waren es, die vor einigen Monaten in Potsdam und Berlin am Set der US-Serie „Homeland“ arbeiteten. Der Werbeeffekt für Berlin war enorm, die Stadt war nicht nur Kulisse – die Serie spielte tatsächlich in der deutschen Hauptstadt; und nicht etwa, wie so oft, in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Das jedoch ist vorbei, früher als geplant, wie Studio-Chef Fisser sagt. Weil „Homeland“ keinerlei deutsche Förderung bekommen habe, hätten die Produzenten das Drehbuch notgedrungen umgeschrieben. Jetzt spielt „Homeland“ in New York. Zahlreiche deutsche Schauspieler, die engagiert worden waren, müssen nun dorthin zur Arbeit pendeln.

Für das Studio bedeute diese Lage, dass „das finanzielle Risiko enorm ist“, wie Fisser es ausdrückt. Zwar habe die Studio Babelsberg AG im vergangenen Jahr fünf Millionen Euro Gewinn gemacht. Das Geld floss aber nicht als Dividende an die Aktionäre, „sondern wir haben die Liquidität genutzt für die neue Kulisse“. Eigentlich wollten die Studio-Chefs mit Investition warten – auf eine Filmproduktion, die das Geld für den Bau mitbringt. Doch die kam nicht, und die alte „Berliner Straße“, die auf einem Grundstück des Filmparks stand, wurde Ende 2013 abgerissen. An ihrer Stelle stehen jetzt, frisch errichtet, Wohnhäuser.

In der „Neuen Berliner Straße“ dagegen wird das Neue vielerorts auf Alt getrimmt. Putz bröckelt, die Fassaden im Wedding sind schmuddelig, das Straßenpflaster schief, als läge es schon viele Jahrzehnte. Die Illusion ist perfekt.

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