zum Hauptinhalt
Hohe Kundenfrequenz? Viel Publikumsverkehr gibt es nicht in der Georg-Hermann-Allee.

© J. Bergmann

Streit um Gewerbemieten: In bester Lage?

Händler im Bornstedter Feld wehren sich gegen eine Mieterhöhung durch die Pro Potsdam. Das Unternehmen sieht sich im Recht.

Von Peer Straube

Potsdam - Einzelhändler und Gewerbetreibende in der Georg-Hermann-Allee laufen gegen drastische Mieterhöhungen Sturm. Die kommunale Pro Potsdam als Vermieterin der meisten Geschäfte in der Ladenzeile vis-à-vis der Fachhochschule will die Miete für einzelne Läden um bis zu 60 Prozent anheben, wie aus den PNN vorliegenden Unterlagen hervorgeht. Die Betroffenen sehen sich in ihrer geschäftlichen Existenz bedroht und fordern eine Rücknahme der Mieterhöhung. „Wenn das durchgesetzt wird, müsste ich aufgeben“, sagte etwa Rico Wolfsteller, Inhaber des Kopiergeschäftes „copy & paste“, den PNN.

Die Kaltmiete verdoppelt sich fast

Für seinen rund 75 Quadratmeter großen Laden zahlt er aktuell eine Warmmiete von knapp 680 Euro. Ab März sollen es gut 1080 Euro sein – eine Steigerung von rund 59 Prozent. Bezogen auf die Nettokaltmiete fällt die Anhebung noch wesentlich drastischer aus. Statt bislang 5,51 Euro pro Quadratmeter soll Wolfsteller künftig zehn Euro berappen – fast eine Verdopplung. Ähnlich schildern der Sprach- und Stimmtherapeut Robert Tietze und Frank Kutsche, Chef der Gebietsrepräsentanz der Deutschen Krankenversicherung, die Lage. Letzterer hat bereits einen Anwalt eingeschaltet.

Was die Gewerbetreibenden besonders auf die Palme bringt: Die Pro Potsdam beruft sich bei der Mieterhöhung auf die von der Industrie- und Handelskammer (IHK) herausgegebenen Orientierungswerte für Gewerbemieten in Potsdam. Laut diesem Papier wären in Bornstedt zehn Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter nur als Maximalwert in einer sehr guten Lage fällig. Nach den der Erhebung zugrunde gelegten Kategorien des Immobilienverbandes Deutschland definiert sich eine sehr gute Lage als eine „im Geschäftskern – in größeren Städten 1a- und 1b-Lage unterscheidbar – mit hoher Kundenfrequenz, oft innerhalb einer Fußgängerzone“.

Geschäftsinhaber sagen: "Das ist keine 1a-Lage"

Die Geschäftsinhaber halten diese Einstufung für Unfug. „Das ist keine 1a-Lage“, sagt etwa der Sprachtherapeut Tietze. Laufkundschaft verirre sich kaum hierher. Die ansässigen Gewerbetreibenden hätten einen viel höheren Aufwand bei der Kundenakquise als in großen Einzelhandelszentren. Ähnlich argumentiert Wolfsteller, der gegen die Mieterhöhung Widerspruch eingelegt hat. Die Georg- Hermann-Allee sei eher eine Nebenstraße, die von der FH aus noch durch einen Mittelstreifen zusätzlich abgeteilt ist. Es gebe noch nicht einmal einen Fußgängerüberweg, auch Parkplätze seien ladenseitig kaum vorhanden. Seit zehn Jahren habe sich an diesen Zuständen nichts geändert, eine Aufwertung der Einkaufsgegend sei durch nichts erkennbar.

Das sieht auch Emmy Becker-Weigand so. Die Inhaberin eines Blumengeschäftes ist neben einem Friseur die einzige dort ansässige Gewerbetreibende, die nicht bei der Pro Potsdam Mieterin ist. Sie zahlt für ihre Geschäftsräume 6,50 Euro pro Quadratmeter netto kalt an die Eigentümerin, eine Berliner Genossenschaft. Mehr könnten sich die Geschäftsinhaber hier auch kaum leisten, sagte sie.

Auch bei der IHK sieht man die Georg-Hermann-Allee nicht als 1a-Lage. „Das ist offensichtlich“, sagte Bettina Kuberka, bei der IHK zuständig für Raumordnung und Planung, den PNN. Für Einzelhändler sei etwa die Kundenfrequenz entscheidend für die Bewertung der Lage. Die gebe es dort aber nicht in ausreichendem Maße. Beispielsweise fehle in der ein „Ankermieter“, der Publikum anziehe, wie etwa ein Nahversorger. IHK-Chefin Beate Fernengel dämpfte allerdings zu hohe Erwartungen der Händler. Die IHK-Daten zu den Gewerbemieten dienten der „reinen Orientierung“ – die konkrete Gestaltung der Verträge sei Sache der Beteiligten. In Deutschland herrsche Vertragsfreiheit.

Pro Potsdam verweist auf verbesserte Bedingungen

Tatsächlich gibt es bei Gewerbemieten anders als bei Wohnungsmieten keinen Mietspiegel. Wie viel ein Händler zahlen muss, richtet sich nach der Marktlage. Und die sei inzwischen eben besser als in den ersten Jahren nach der Buga, als die Entwicklung des Bornstedter Feldes noch schleppend verlief, argumentiert die Pro Potsdam. Damals sei man den Gewerbetreibenden mit niedrigen, nicht kostendeckenden Mieten entgegengekommen, sagte Unternehmenssprecherin Anna Winkler auf Anfrage. Nunmehr könne man aber „marktübliche Mieten“ verlangen. Die Forderungen für die Gewerbetreibenden orientierten sich auch an Gesprächen mit potenziellen Interessenten, so Winkler. Um Entwicklungschancen auszuloten, führe die Pro Potsdam derzeit eine Marktanalyse durch. Nach deren Auswertung würden „unter Umständen weitere Vertragsgespräche mit einzelnen Gewerbemietern zu führen sein“, hieß es. Im Klartext: Auch Kündigungen sind nicht ausgeschlossen.

Bei ihrer Marktanalyse wendet die Pro Potsdam allerdings zum Teil recht eigenwillige Methoden an. So bot das Unternehmen die Räume eines ansässigen Versicherungsvertreters ohne dessen Wissen bereits über ein großes Immobilienportal zur Vermietung an – auf einem Foto eindeutig erkennbar und für zehn Euro netto kalt pro Quadratmeter. Die Pro Potsdam hat sich inzwischen bei dem Mann entschuldigt.

Bei der Höhe der geforderten Mieten sehen Immobilienexperten die Pro Potsdam im Recht. Ringsum entstünden Tausende neuer Wohnungen, in die eine kaufkräftige Klientel einziehe, sagte Robert Neubauer, Chef des Potsdamer Büros der Maklerfirma Dahler & Company. Gewerbemieten von zehn Euro und mehr seien „hundertprozentig nachvollziehbar“. Das meint auch Willi Weber, Gewerbeimmobilienexperte von Engel & Völkers. Eine Miete in dieser Höhe sei angemessen, „denn das Gebiet prosperiert“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false