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Etwa 1000 Erzieher aus brandenburgischen Kindergärten demonstrierten am Montag in Potsdam für bessere Bezahlung.

© Ralf Hirschberger/dpa

Streik in Kitas in Brandenburg: Streik in einem komplexen System

Etwa 1000 Kita-Erzieher zogen durch die Innenstadt. Und auch wenn die Kitas in Potsdam nicht von den streikbedingten Schließungen betroffen sind, zielen die Forderungen der Gewerkschaft auch auf Einrichtungen vor Ort.

Potsdam - Ausgelassen ist die Stimmung auf dem Steubenplatz vor dem Landtagsschloss am gestrigen Montagvormittag. Pfeifen, Klatschen und eine Trommlergruppe sorgen bei der Verdi-Kundgebung zum bundesweiten Kita-Streik für Stimmung. Während Hunderte Demonstranten aus kommunalen Einrichtungen der Region unüberhörbar durch die Stadt ziehen, bleiben Kindertagesstätten und andere Einrichtungen der Sozial- und Erziehungsdienste geschlossen – außer wie berichtet in Potsdam.

„Kleinere Gruppen, weniger Burn-out“, viele Plakatslogans sind eindrücklich. Die Erzieher fordern die Einstufung in höhere Tarifgruppen – das entspräche einer Lohnerhöhung um etwa zehn Prozent – und eine Verringerung der Kinderbelastung pro Erzieher, des Betreuungsschlüssels. Die Stimmung der Demonstranten ist eindeutig: Die Politik soll mehr Geld zur Verfügung stellen. Potsdamer Kitas sind wegen freien Trägerschaften nicht vom Streik betroffen, die Demonstranten setzen sich aber solidarisch auch für sie ein. „Immerhin kriegen Erzieher bei freien Trägern manchmal bis zu 400 Euro weniger“, sagt zum Beispiel Gabriele Lange, Erzieherin aus Kleinmachnow. Sie arbeite 35 Stunden in einem kommunalen Hort – für einen freien Träger zu arbeiten, das komme für sie nicht infrage.

"Erzieher sind heute wie Dienstleister"

Streiken will sie am liebsten nur für einen Tag. Einer sei noch gut zu verschmerzen, Verdi zahle 50 Prozent Ausgleich zu den Arbeitgeberabzügen für den Fehltag, sagt sie und trägt sich in die Anwesenheitsliste ein. Ohne Unterschrift gibt es auch kein Geld. Bei zwei Wochen Streik würde es teuer werden. Vor allem für die vielen, die nicht in einer Gewerkschaft sind. Sie mussten schon Montag für einen Tag Urlaub nehmen, wie zwei Demonstrantinnen aus Ludwigsfelde: Sie möchten sich äußern, aber anonym bleiben. „Erzieher sind heute wie Dienstleister. Was fehlt, ist die Anerkennung für unseren Beruf in der Gesellschaft – wie etwa in Schweden.“ Das sei früher anders gewesen. Außerdem sei aufgrund von Urlaub, Weiterbildung und hohem Krankenstand der Personalschlüssel in der Realität viel zu klein. „Oft haben wir 24 Kinder, statt wie gesetzlich vorgesehen zwölf.“ Der Betreuungsschlüssel in Brandenburg gehört bundesweit zu den Schlusslichtern. Viele Eltern wüssten um die schwierige Lage und reagierten solidarisch, so die Erzieherinnen.

In Potsdam gibt es mehr als 110 Kitas und Horte mit mehr als 15 000 Plätzen. Obgleich nicht direkt vom Streik betroffen, verfolgen deren freie Träger den Arbeitskampf in den Medien – zum Beispiel Tibor Hegewisch, Sprecher der Fröbel-Gruppe mit sechs Kitas in Potsdam. „Es wird spannend, was als Ergebnis der Verhandlungen folgt. Wir sind als Träger dazu angehalten, gemeinsam mit der Erziehungsgewerkschaft GEW in Nachverhandlung mit den Kommunen zu gehen.“ Dazu käme es allerdings erst im Frühjahr 2016, frühestens dann könne man für die eigenen Mitarbeiter die Löhne erhöhen.

In Potsdam gibt es überhaupt keine kommunalen Kitas mehr

Verpflichtet sind die freien Träger dazu nicht. Doch wenn es in einer Kita oder einem Hort ein paar Meter weiter mehr Geld gäbe, sei das vor allem für jüngere Erzieher reizvoll, so Hegewisch. Ältere Mitarbeiter seien da schon eher in den Einrichtungen verwurzelt. Die Gefahr einer hohen Fluktuation allein wegen des Lohngefälles werde aber als gering eingeschätzt, so der Sprecher. Potsdam ist eine der wenigen Städte bundesweit, die überhaupt keine kommunalen Kindergärten mehr hat, die mit besseren Löhnen als freie Träger aufwarten könnten. Mit einem Lohnausgleich würden die hiesigen Träger unterschiedlich umgehen, vermutet etwa die Kita-Expertin beim Paritätischen Landesverband, Bettina Stobbe.

Auch inwieweit die Stadt höhere Löhne unterstützen würde, ist offen – allein in diesem Jahr investiert die Landeshauptstadt 54 Millionen Euro aus eigenen Haushaltsmitteln für die Betreuung der Kinder, wie ein Stadtsprecher sagte. Jeder Prozentpunkt Zugeständnis kostet Geld. Im Nachbarlandkreis Potsdam-Mittelmark hat man es durchgerechnet. Werden die Tarifforderungen durchgesetzt, würden für den Kreishaushalt „happige Beträge“ zusammenkommen, sagte die Sprecherin des Landratsamtes, Andrea Metzler, gegenüber den PNN. „Eine Steigerung von drei Prozent haben wir bereits mit 1,5 Millionen Euro eingeplant.“ Die aktuellen Forderungen würden mindestens eine Verdreifachung dieses Betrages bedeuten. „Da ist der geforderte neue Personalschlüssel noch nicht einmal drin“, so Andrea Metzler. Dennoch gebe es in der Kreisverwaltung auch Verständnis für die Erzieherinnen. Ältere Kollegen würden noch Bestandsschutz genießen. Junge Kollegen bekämen in niedrigeren Tarifgruppe deutlich weniger Geld – ohne die Chance, einmal höher eingruppiert zu werden.

Komplexes Modell der Kita-Finanzierung

Solche Details gibt es viele im komplexen Modell der Kita-Finanzierung. Bettina Stobbe erklärt dazu: „Normalerweise gibt das Land pauschal Geld an die Landkreise weiter, die dafür sorgen, dass es für die Erziehungspersonalkosten an die Träger weitergereicht wird.“ Die Pauschale errechne sich aus dem aktuellen Gehaltsniveau vor Ort und der Zahl der jeweils geborenen Kinder. „2014 stellte das Land Brandenburg laut Kita-Gesetz 174 Millionen Euro zur Verfügung“, so Stobbe. Der Betrag ändert sich mittelfristig alle zwei Jahre, Tarifanpassungen sind berücksichtigt. Die Kommunen sind finanziell wiederum für die Kita-Immobilien und andere Kosten zuständig. Dazu kommen unterschiedliche Elternbeiträge. Wegen der Komplexität der Kita-Finanzierung gab und gibt es bei den Geldgebern Unstimmigkeiten darüber, wer welche Posten übernimmt. Stobbe: „Die Finanzierungsverantwortung wird jeweils dem anderen zugeschoben.“

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