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Streik im Nahverkehr: Es hängt am Extrabonus

Spätestens am Donnerstag sollen auch in Potsdam und Umgebung die Busse und Bahnen stillstehen. Wie es so weit kommen konnte.

Die Ansage ist klar. „Wenn die Arbeitgeber bis Samstag10 Uhr kein deutlich verbessertes Angebot vorlegen, werden wir am Montag mit Streiks beginnen“, sagt der Verhandlungsführer der Gewerkschaft Verdi, Marco Pavlik. Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen sind unbefristete Streiks der Bus- und Straßenbahnfahrer in ganz Brandenburg sehr wahrscheinlich. Es wäre der erste Arbeitskampf dieser Art seit 1989 – auch für die Verkehrsbetriebe in Potsdam und Potsdam-Mittelmark. Allein in der Potsdamer Region wären mehr als 100 000 Fahrgäste betroffen. Die PNN beantworten die wichtigsten Fragen.

Ab wann wird Potsdam bestreikt?

Sollten die Arbeitgeber bis zum Ablauf des Verdi-Ultimatums kein neues Angebot mehr vorlegen, wird die Gewerkschaft laut Pavlik am Samstag mitteilen, in welchen Regionen der Mark die Streiks beginnen. Nach PNN-Informationen müssen sich Potsdam und sein Umland ab spätestens Donnerstag darauf einstellen, dass keine Busse und Straßenbahnen mehr fahren. Betroffen wären der Verkehrsbetrieb Potsdam (ViP) und die Beelitzer Verkehrs- und Servicegesellschaft (BVSG), die unter anderem Stahnsdorf und Werder bedient – in der Blütenstadt beginnt morgen das Baumblütenfest mit 200 000 Besuchern (siehe Kasten). Auch der Schulbusverkehr in den ländlichen Regionen soll bestreikt werden. Nicht tarifgebunden in der Region ist einzig die Verkehrsgesellschaft Belzig.

Die Streiks der Bus- und Straßenbahnfahrer könnten sich tagelang und ohne Pause fortsetzen, wie Pavlik am Donnerstag gegenüber den PNN klarmachte. „Die Arbeitgeber müssen erst ein substanziell neues Angebot unterbreiten“, so Pavlik. Er hoffe, dass spätestens zwei Wochen nach Streikbeginn so ein neues Angebot vorgelegt werde. Vor Journalisten stellte Pavlik am Donnerstag auch die Ergebnisse einer Urabstimmung bei den Nahverkehrsunternehmen der Mark vor, nach dem sich 93 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik ausgesprochen hätten.

Warum ist der Konflikt so eskaliert?

Die Fronten im Tarifstreit sind völlig verhärtet. Verdi rechnet in einer jetzt veröffentlichten Fahrgastinformation vor: „Die Arbeitgeber bieten ein Jahresvolumen von 540 Euro brutto für 2015 und weitere 540 Euro für das ganze Jahr 2016 an. Wir fordern nur für 2015 1440 Euro (12 mal 120 Euro). Wir sind also 900 Euro auseinander.“ Verdi argumentiert, Fahrer in Brandenburg erhielten pro Monat nur bis zu 2300 Euro brutto, befänden sich damit im Vergleich zu ihren Kollegen bundesweit im unteren Lohndrittel – und dies trotz Nacht- und Feiertagsdiensten sowie unbezahlten Zwangspausen wegen Wartezeiten zwischen geteilten Schichten. Pavlik sagte, die Angebote der Arbeitgeber seien bisher „unverschämt niedrig“.

Für den Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) sind die unterschiedlichen Lohnvorstellungen aber nicht der Hauptgrund für das Scheitern der Verhandlungen. „Bei uns ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht“, sagte KAV-Chef Klaus Klapproth den PNN. Nicht verhandelbar sei allerdings der von Verdi geforderte Extrabonus für organisierte Gewerkschaftsmitglieder. „Das ist für uns eine grundsätzliche Frage“, sagte Klapproth. So seien Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder schon nach den Statuten der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände nicht zulässig, also auch nicht verhandelbar. „Das ist der Hauptkonflikt, alles andere ist lösbar. Verdi muss sich bewegen“, forderte Klapproth.

Verdi-Mann Pavlik hielt dagegen: „So läuft das Spiel nicht – auch wir sind an Beschlüsse gebunden.“ Verdi habe sich bereits bewegt. Ursprünglich hatte die Gewerkschaft für ihre Mitglieder eine Urlaubsbeihilfe in Höhe von 400 Euro gefordert, zuzüglich von 50 Euro pro Kind. Inzwischen könne man sich auch weniger vorstellen, so Pavlik – etwa zwei Urlaubstage extra für die Verdi-Kollegen. Solche Regelungen habe zuletzt erst wieder das Bundesarbeitsgericht bestätigt: Das Gericht hatte in Zusammenhang mit einem Fall bei der IG Metall hohe Sonderzahlungen für Gewerkschaftsmitglieder als zulässig erklärt. Ohne Gewerkschaftsmitglieder würde es keine Tarifverträge geben, begründete Pavlik die Forderung. Doch ohne Extrakonditionen würde auch der Anreiz kleiner, bei der Gewerkschaft zu bleiben – und mit weniger Mitgliedern sinke das Drohpotenzial bei Tarifverhandlungen. Der KAV verurteilte den Versuch, „neue Gewerkschaftsmitglieder auf dem Rücken der Fahrgäste zu gewinnen“.

Legt der Streik Potsdam lahm?

Beim ViP hat man laut Sprecher Stefan Klotz keine Erfahrungen mit einem Streik dieser Art: „Die Auswirkungen werden aber voraussichtlich deutlicher spürbar werden als beim Streik der Lokführer in dieser Woche und bei den beiden Warnstreiks bei uns im Februar und März.“ Man betrachte die Entwicklung mit Sorge. Zusammen mit dem KAV bereite man mögliche Maßnahmen vor, Details nannte Klotz nicht. Vom KAV hieß es, gerade weil es Verdi um den Sonderbonus für Gewerkschafter gehe, würden sich hoffentlich nicht alle Fahrer am Streik beteiligen. Auch Benjamin Karl vom Deutschen Bahnkunden-Verband (DBV) in Potsdam kritisierte die Verdi-Extraforderung für ihre Mitglieder. Die Leidtragenden des Konflikts seien letztlich die Fahrgäste. Zugleich kritisierte Karl, der auch Chef des ViP-Kundenbeirats ist, dass auch das Land bisher nicht erkennen lasse, die Zuschüsse für den Nahverkehr weiter zu erhöhen. Denn jede Tariferhöhung würde letztlich zu höheren Ticketkosten für den öffentlichen Nahverkehr führen.

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