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Zurzeit sind die Zimmer alle aufgrund der Coronakrise alle leer. Zwischen Ostern und Pfingsten kamen sonst um die 140 Gäste.

© Andreas Klaer

Stille in 45 Zimmern: "Corona hat uns das Frühjahr verdorben“

Die Potsdamer Jugendherberge öffnet erst am 29. Mai wieder. Bereits jetzt gibt es sehr hohe Umsatzeinbußen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Wenn Konstantin Wägner in diesen Tagen Besucher durch die Jugendherberge in Babelsberg führt, ist die Atmosphäre fast gespenstisch: Alles blitzsauber an der Schulstraße, aber ohne eine Spur von Leben. Wo Eltern sich sonst mit ihren Kindern am Frühstücksbuffet bedienen und Schüler scharenweise durchs Gebäude toben, ist außer Wägners Schritten nichts zu hören. Im großen Familienzimmer das leere Doppelbett für Eltern, darüber das hölzerne Hochbett, zu dem Kinder hinaufklettern können. Die 16 Doppelzimmer, die 26 Vierbetträume und die drei großen für jeweils sechs Besucher – alle leer. „Wir hätten jetzt, zwischen Ostern und Pfingsten, sicher 130 bis 140 Gäste“, sagt der Herbergsvater, „aber Corona hat uns das Frühjahr verdorben.“

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Im Leerlauf. Herbergsleiter Konstantin Wägner wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem wieder Gäste aufgenommen werden können. Die „Filmlounge“ ist der Fernseh- und Aufenthaltsraum der Potsdamer Jugendherberge, als Reminiszenz an den nahegelegenen Filmpark Babelsberg.
Im Leerlauf. Herbergsleiter Konstantin Wägner wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem wieder Gäste aufgenommen werden können. Die „Filmlounge“ ist der Fernseh- und Aufenthaltsraum der Potsdamer Jugendherberge, als Reminiszenz an den nahegelegenen Filmpark Babelsberg.

© Andreas Klaer

In allen 45 Zimmern herrscht Stille, seit das große Haus der Jugend am 18. März wie alle 450 deutschen Jugendherbergen wegen der Coronapandemie schließen musste. Von einem Tag zum andern keine Einnahmen mehr, Kurzarbeit für alle 17 Voll-und Teilzeitmitarbeiter und ein abrupter Sturz ins Minus.

Optimale Lage, aber zurzeit keine Gäste

Die Krise traf die Potsdamer hart. Sie waren mit 32.400 Übernachtungen auch im vergangenen Jahr eine Art Goldesel im Verband, sie erwirtschafteten einen Nettoüberschuss von rund 50.000 Euro – und weil die Herbergen nach dem Solidarprinzip geführt werden, floss auch 2019 Geld aus der liquiden Potsdamer Kasse zu den Kollegen der nicht so umsatzstarken Herberge in Burg im Spreewald, als dort das Dach neu gedeckt werden musste.

Wie in den vergangenen Jahren hätte auch in dieser Saison fast alles von selbst kommen können: Die vielen Schulklassen und die Familien, die über 90 Prozent der Gäste ausmachen, die rund 500 Alleinreisenden, die im Jugendherbergsjargon Einzelwanderer genannt werden, und dann die ausländischen Reisenden. 2019 kamen 678 Franzosen in die Herberge, 434 Briten, 375 Österreicher, 348 Schweizer und 338 Dänen. Die Potsdamer Jugendherberge ist bei in- und ausländischen Gästen aus vielen Gründen sehr beliebt. Die Verkehrsanbindung ist exzellent, in fünf Minuten ist der S-Bahnhof Babelsberg zu Fuß erreicht, kaum eine Viertelstunden muss laufen, wer im Sommer im Babelsberger Park in der Havel schwimmen möchte. Wer in der kalten Jahreszeit ein Hallenbad bevorzugt, kann das „Blu“ am Hauptbahnhof in wenigen Minuten mit der Bahn erreichen. „Ja“, sagt Herbergsleiter Wägner, „unsere Lage ist nicht nur wegen der Nähe zu den Schlössern und Museen optimal.“

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Irgendwie muss es weitergehen

Viel hat die 2004 gegründete Jugendherberge aus eigener Kraft geschafft. Seit 2018 investierte sie rund 100.000 Euro allein in den Brandschutz, es blieb sogar noch Geld übrig für eine neue Küche, einen großen Speiseraum, ein Spiele- und ein Fernsehzimmer sowie einen Filmraum. „Wir hatten immer eine solide Finanzplanung“, resümiert Wägner, „aber seit der Schließung haben wir einen Umsatzverlust von etwa 500.000 Euro.“ Marcus Hirschberg, Medienreferent des Landesverbands der Jugendherbergen, hat sich dazugesetzt, er beziffert die Einnahmeverluste auf Landesebene auf sechs Millionen Euro. Und das große Fest, mit dem im Sommer das 111-jährige Bestehen der Herbergen gefeiert werden sollte? „Gestrichen“, sagt Hirschberg.

Beliebte Adresse. 16 Doppelzimmer, 26 Vierbetträume und drei große Räume für jeweils sechs Besucher bietet Potsdams Jugendherberge.
Beliebte Adresse. 16 Doppelzimmer, 26 Vierbetträume und drei große Räume für jeweils sechs Besucher bietet Potsdams Jugendherberge.

© Andreas Klaer

Irgendwie muss es weitergehen. 140 von 450 Jugendherbergen wollen ihre Türen schon in dieser Woche wieder öffnen, Potsdam ist noch nicht dabei. Akribisch feilt die Verwaltung jetzt an einem Hygiene-Konzept. „Die Essensausgabe ist ein großes Problem“, so Heimleiter Wägner, „Buffets sind ja verboten, nun müssen wir mit erheblichem Personalaufwand am Platz servieren.“ Immerhin sei der Speiseraum groß, „Probleme mit den Abstandsregeln werden wir nicht haben“. Ein großer Vorteil für die Umsetzung der Hygienevorschriften in den Sanitäranlagen sei, dass jedes der Zimmer Dusche und WC hat.

Ein Minusgeschäft wahrscheinlich

Die Potsdamer Jugendherberge soll vor Pfingsten, am 25. Mai, für zunächst drei Tage wiedereröffnet werden. „Dann sehen wir weiter“, sagt Wägner. Weil die Klassenreisen bis zum Sommer nicht mehr stattfinden werden, sei absehbar, „dass wir ohne unseren Hauptumsatzfaktor ein Minusgeschäft machen werden“. Der Verband hofft, dass ihn ein Rettungsschirm der Landesregierung vor dem finanziellen Kollaps schützt. „Es geht nicht ohne“, sagt Burkhard Helle, Vorstandschef des Landesverbandes. Eine Stütze sind in der schweren Zeit die 130.000 Mitglieder. Pro Familie wird der Jahresbeitrag von 22,50 Euro nur für eine Person fällig, doch 53.000 zahlende Mitglieder spülen immerhin etwas Geld in die Kasse. Medienreferent Hirschberg hat nicht allen Optimismus verloren: „Wir bekommen ein blaues Auge, aber wir werden durchkommen.“

Probleme aber gab es auch vor der Coronazeit. Vorstandschef Helle legte in der Potsdamer Herberge offen, dass die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, Anfang des Jahres einen Aufnahmeantrag gestellt habe. Das habe er durch den Verfassungsschutz überprüfen lassen, doch keine Handhabe dafür erhalten, den Nachwuchs der Rechtspopulisten abzuweisen. Der Landesverband habe, so Helle, die Junge Alternative „ungern aufgenommen, allerdings auch nur vorläufig“. Auf der Jahreshauptversammlung am 2. September würden die Mitglieder wie immer, wenn Körperschaften beitreten wollen, darüber abstimmen. Da sei, sagt Helle, „das letzte Wort noch nicht gesprochen“.

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