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Die Zahl der Kunden der Potsdamer Tafel ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

© Andreas Klaer

Steigende Armut in Potsdam: Kinder und Rentner am stärksten von Geldnot betroffen

Immer mehr Menschen sind auf das Angebot der Potsdamer Tafel angewiesen. Die Vorsitzende spricht von erschreckenden Zahlen.

Von Birte Förster

Potsdam - Immer mehr Menschen sind in Potsdam von Armut betroffen und nehmen das Angebot der Tafel in Anspruch. Etwa 1200 Menschen beziehen dort jede Woche Lebensmittel, angemeldet sind etwa 3000. Verglichen mit dem Vorjahr ist die Zahl der Tafelkunden um etwa zehn Prozent gestiegen. Das sagte Imke Eisenblätter, Vorsitzende der Potsdamer Tafel und SPD-Fraktionschefin, am Montag auf PNN-Anfrage. 

Kunden der Tafel sind demnach vor allem Rentner und Kinder. 40 Prozent derjenigen, die Lebensmittel über die Potsdamer Tafel beziehen, seien Kinder, so Eisenblätter. Die Zahlen übersteigen in der Landeshauptstadt somit den bundesweiten Durchschnitt von 30 Prozent Kindern. „Das ist erschreckend“, sagte die Tafel-Vorsitzende. Die Stadt Potsdam verzeichnete laut Bericht des Bereiches Statistik im Juni dieses Jahres insgesamt 3596 Kinder unter 15 Jahren, die in Familien leben, die Hartz IV beziehen. 

„Überforderung im Alltag“ spielt eine Rolle

Über die Gründe für die hohe Zahl an bedürftigen Familien kann Eisenblätter derzeit nur spekulieren. Eine mögliche Erklärung seien Flüchtlingsfamilien mit Kindern, deren Eltern noch nicht erfolgreich in ein Beschäftigungsverhältnis vermittelt werden konnten. Nicht nur bei Geflüchteten, sondern auch bei anderen, spiele auch die „Überforderung im Alltag“ eine Rolle, so Eisenblätter. Etwa wenn sich Eltern oder Alleinerziehende um die Kinder kümmern müssten und daher keiner Beschäftigung nachgehen könnten. Dass die Zahlen auch in den Vorjahren über dem Bundesdurchschnitt lagen, könne aber auch mit dem guten Ruf der Potsdamer Tafel zusammenhängen, sagte Eisenblätter. Die Menschen würden sich hier weniger scheuen, die Angebote in Anspruch zu nehmen.

Besonders im Dezember seien die Zahlen der Bedürftigen, die die Tafel aufsuchen, noch einmal gestiegen. Ein Grund dafür sei, dass die Betroffenen Geld für Weihnachtsgeschenke sparen möchten, vermutet Eisenblätter. Um bedürftigen Familien besonders in der Weihnachtszeit eine Freude zu bereiten, übergab Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) am Montagabend im Rahmen der Aktion HelpToSmile 750 Geschenke an die Potsdamer Tafel. Die Aktion ist eine Initiative des Vereins Neues Potsdamer Toleranzedikt. Insgesamt 2000 Geschenke sollen in der Vorweihnachtszeit an bedürftige Kinder in ganz Brandenburg verteilt werden.

Eisenblätter fordert gesondertes Kindergeld 

Wenn Kinder von Armut betroffen sind, ist die Situation besonders heikel. Wer Kinder hat, habe eine ganz andere Verantwortung, so Eisenblätter. „Der Druck ist da nochmal deutlich höher.“ Als Mittel gegen die Kinderarmut sieht Eisenblätter eine „auskömmliche finanzielle Absicherung“ über ein gesondertes Kindergeld. Das sei wichtig, damit Kinder am Alltag, wie zum Beispiel an Ausflügen und Geburtstagsfeiern, teilnehmen könnten.

Einen Anstieg verzeichnet die Tafel vor allem unter den Rentnern. Etwa 200 bis 250 ältere Menschen, zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor, nahmen laut Eisenblätter 2019 die Angebote der Potsdamer Tafel in Anspruch. „Grundsätzlich tun sich ältere Menschen schwerer damit, Hilfe anzunehmen“, so die Erfahrung der Vorsitzenden. Dennoch: Da die Kosten für den Lebensunterhalt immer weiter steigen, ohne dass die Renten ausreichend angehoben würden, gebe es für viele keine andere Möglichkeit. Vor allem ältere Menschen in Ostdeutschland seien davon betroffen, da es dort mehr „gebrochene Erwerbsbiografien“ gebe, erklärte Eisenblätter. Manche Betroffene seien nach der Wende einige Zeit arbeitslos gewesen oder hätten zu wenig verdient, um später eine gute Rente zu bekommen. 

Steigende Wohnkosten ein Grund für Armut 

Auch Angela Schweers, Vorsitzende des Bezirksverbands der Arbeiterwohlfahrt in Potsdam (AWO), bezeichnet eine länger anhaltende Armut als Grund dafür, dass Rentner irgendwann Hilfe in Anspruch nehmen. Einen der Hauptgründe für steigende Armut sieht Schweers in den steigenden Wohnkosten. „Umso mehr der Wohnraum kostet, umso weniger bleibt für anderes übrig“, sagt sie. Oft müsse dann am Essen gespart werden. Für die Senioren geht das auch mit einem Verzicht auf Restaurant- oder Cafébesuche, Ausflüge und kulturelle Veranstaltungen einher. Letztlich würden diese Menschen immer mehr zu Hause bleiben und hätten immer weniger soziale Kontakte, sagt Schweers. „Armut macht einsam“, sagt auch Tafel-Vorsitzende Eisenblätter. 

Das geht auch aus dem Paritätischen Armutsbericht 2018 hervor. Demnach entbehren armutsbetroffene Menschen „relevante Sicherheiten und können weniger am soziokulturellen Leben teilhaben“. Mehr als die Hälfte der Armen, 57,1 Prozent, nimmt laut dem Bericht aus finanziellen Gründen nicht an Veranstaltungen wie Kino- oder Konzertbesuchen teil. 67 Prozent der Armen laden Freunde demnach außerdem nicht zum Essen ein. Viele hätten zudem nicht die Möglichkeit, finanzielle Rücklagen für Notfälle oder zum Beispiel Energiekostennachzahlungen zu bilden. 

Staat muss mehr finanzielle Hilfe leisten

Einrichtungen wie die Tafel dienten lediglich als Mittel, um „die Armut zu überbrücken“, meint Eisenblätter. Und: „Damit die Gesellschaft immer wieder darauf hingewiesen wird.“ Um Armut aber ganz abzuschaffen, müsse der Staat mehr direkte finanzielle Hilfe leisten und Menschen dabei unterstützen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Beantragung von zusätzlichen Hilfen sei aber oft bürokratisch und für HartzIV-Empfänger schwierig. „Wir nennen uns Sozialstaat, aber wir behandeln die Menschen eher wie Bittsteller“, so Eisenblätter.

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