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Letzte Töne. Die Band „Melody Brewery“ bei der Probe. In der Alten Brauerei gab es am Samstag Musik und mehr. Zum Monatsende soll damit Schluss sein.

©  Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Staunen vor dem Schluss

Die Alte Brauerei am Brauhausberg lud am Samstag zum ersten Tag der offenen Tür. Es ist auch der letzte

„Warst du schon einmal hier?“ „Nein.“ „Ich auch nicht.“ Ein Dialog, der immer wieder zu hören war und die Problematik des Verschwindens auf den Kopf trifft: Die Alte Brauerei in der Albert-Einstein-Straße hat nie einen Hype um sich gemacht, es gab nie einen Tag der offenen Tür. Das kreative Gehirn der Landeshauptstadt hat einfach nur funktioniert, ohne sich in den Mittelpunkt zu stellen und im kulturellen Bewusstsein der Bewohner aufzutauchen. Aber das war einmal: Es ist vorbei, ein Baugerüst ist bereits aufgestellt, zum Ende des Monats müssen alle die Liegenschaft verlassen haben. Wenn erst einmal Wohnungen in dem Komplex sind, herrscht Ruhe.

Am Samstag gab es den ersten und letzten Tag der offenen Tür, der auch ein wenig Festivalcharakter hatte: ein großes Staunen, dass alle gleichsam befiel, Jung und Alt, Gitarristen, Familien mit Kinderwagen, Nachbarn. Und diese Ausgelassenheit täuschte zuverlässig darüber hinweg, dass man einem Sterben beiwohnte, das dringend verhindert werden muss. „Wir brauchen nicht viel“, sagte Vico Grottschreiber, der Schlagzeug bei Stadtruhe spielt. „Trockene Räume, fließend Wasser, Strom. Ich glaube, dass sich die Stadt das viel zu kompliziert macht.“ Die Band Stadtruhe spielte in ihrem Proberaum, während die Sonnenstrahlen des Frühlingstages durch die Fenster des Vorraumes fielen. „Ab Mai auf der Straße“, steht auf einem Zettel an der Eingangstür des Proberaumes, eine zynische Ankündigung. „Ich befinde mich im Sturm der Zeit“, singt die Sängerin, und das könnte auch positiv gemeint sein. „Schade drum“, seufzt eine ältere Frau, die an der Eingangstür steht und der Band zusieht.

Michél Berlin von der Linken, in dessen Wahlkreis die Alte Brauerei liegt, schüttelt den Kopf. „Der Verlust des Komplexes ist symptomatisch, wie in der Stadt mit freien Kulturschaffenden umgegangen wird“, sagt er.

Draußen auf dem Hof stehen Steinblöcke, die von einem Klebeband zusammengehalten werden, auf dem „Kulturhauptstadt Potsdam 2010“ steht. Auf einem dieser Blöcke sitzt Gordon Burrmann, der bei der Metalband Step Into The Hellgarden singt, neben ihm sein Hund, ein Labrador. Auf die Frage, ob er traurig sei, oder eine positive Aufbruchstimmung verspüre, antwortet er: „Ich bin einfach nur leer.“ Die Vorstellung, dass dort, wo es jetzt laut und bunt ist, einmal schweigende Wohnungen sein werden, fällt schwer.

Auf dem Hof gibt es Bratwurst und Bier, Seifenblasen fliegen durch die Luft, eine Tischtennisplatte ist aufgebaut, am Abend spielt die Liedermachercombo Ernstgemeint. Darüber, in dem Gebäude aus roten Backsteinen, spielen Red Cardinal, in den Proberaum passt kaum noch jemand rein, weshalb die Leute auf dem Flur stehen. Gegenüber gibt es sibirischen Kehlkopfgesang, der von einer Pferdekopfgeige begleitet wird, auch das ist Potsdam. Und im hofseitigen Proberaum spielt eine Metalband, sie nehmen die Probe ernst, eine Besucherin verlässt den Proberaum: „Wenn die das so intensiv proben, ist das ein intimer Moment. Da will ich nichts stören.“

Ganz oben ist der Radiosender der Uni untergebracht, Campusradio funkUP, das UP steht für Universität Potsdam. Die Menschen hinter dem Sender sind schon viel unterwegs gewesen, haben von überall gesendet, einmal auch aus dem eigenen Wohnzimmer. Noch haben sie keine Kündigung bekommen, sie rechnen aber damit, auch wenn sie keinen Alternativplan haben: „Scheiß auf Plan B, der lenkt nur von Plan A ab“, wird in dem Raum gelacht. Auch René Borowski, der im unteren Teil des Gebäudes mit seinem Unternehmen „Lux est“ alte Industrielampen aufpoliert und verkauft, hat keinen Plan B. „Ich habe gehofft, dass die Radeberger-Gruppe dieses Gebäude nie loswird, so wie in den letzten 20 Jahren“, sagt er und erläutert Sandstrahlen und Vernickeln, als ob es nichts Wichtigeres gebe. Man hätte für das Objekt eine kulturelle Bindung in den Flächennutzungsplan schreiben könne, auch wenn es kein kommunales Objekt ist. Dabei ist die Stadt nicht untätig, fieberhaft wird nach einer Lösung gesucht: Der Art-Speicher in der Zeppelinstraße wäre eine Ausweichmöglichkeit, aber der wird frühestens in zwei Jahren bezugsfertig sein, heißt es.

Auf dem Hof läuft Musik, Deichkind singen „Leider Geil“ und niemand stört sich daran, im Gegenteil: „Will jemand tanzen?“, ruft einer. Aber nein, tanzen will niemand.

Oliver Dietrich

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