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Update

Stadtverordnetenversammlung: Potsdam ruft den Klimanotstand aus

In Potsdam gilt ab sofort der Klimanotstand. Laut Oberbürgermeister Schubert könnte dies die Arbeit des Stadtparlaments völlig verändern. 

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Potsdam hat als erste Brandenburger Kommune den Klimanotstand ausgerufen. Damit wird eine Reihe von Maßnahmen angestoßen, die für weniger CO2-Ausstoß in der Landeshauptstadt sorgen sollen. Einen entsprechenden Antrag beschlossen die Stadtverordneten am Mittwoch mit den Stimmen der Abgeordneten von SPD, Grüne, Linken, Die Andere und des Einzelabgeordneten Alexander Frehse (Die Partei). CDU, FDP, AfD und Bürgerbündnis stimmten nicht zu.

Der Antrag beinhaltet unter anderem den Auftrag an den Oberbürgermeister, ein Verfahren zu entwickeln, damit künftig alle Entscheidungen des Stadtparlaments hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Klima bewertet werden. Auch ist eine Reihe von Prüfaufträgen an die Rathausspitze enthalten. Unter anderem soll untersucht werden, inwiefern auch in Bebauungsplänen oder bei der Energieversorgung von Neubauten der Klimaschutz berücksichtigt werden kann. Zudem soll das Energiemanagement bei städtischen Gebäuden verbessert, das Radverkehrskonzept schneller umgesetzt oder der Baum- und Grünschutz verbessert werden. Auch alternative Finanzierungsmodelle für den öffentlichen Nahverkehr sollen gefunden und Verbesserungen in der Tarifstruktur des VBB geprüft werden – etwa eine Ausweitung des Tarifbereichs C oder das 365-Euro-Jahresticket

Bereits beschlossene Sache ist damit, dass die Vertreter der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ künftig mitreden dürfen. Drei ihrer Vertreter werden künftig zu den Sitzungen des Potsdamer Klimarates eingeladen, außerdem kann jeweils ein jugendlicher Vertreter im Bau- und im Umweltausschuss als „beratendes Mitglied“ teilnehmen.

Die Ausrufung des Klimanotstands war eine der Kernforderungen der Grünen im Potsdamer Kommunalwahlkampf gewesen. Den Erstantrag hatte dann aber die Fraktion Die Andere gestellt. Später wurde er zusammen mit den Grünen „qualifiziert“, dann schlossen sich auch SPD, Linke und Alexander Frehse an. 

"Der Klimawandel wird ernst genommen"

Mit dem Beschluss erkenne die Stadt an, dass Maßnahmen zum Klimaschutz dringend getroffen werden müssten, so der Grüne Stadtverordnete Andreas Walter. Das habe auch symbolische Wirkung. „Es soll zeigen, dass der Klimawandel in der Stadt ernst genommen wird.“ Anja Laabs, Stadtverordnete von Die Andere, sagte,  mit der Anerkennung der Notlage werde der Forderung der Bevölkerung Rechnung getragen. Linke-Stadtverordnete Isabelle Vandre sagte, mit dem Beschluss werde Klimaschutz „stärker auf die Agenda zu setzen“. 

Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte, die Ausrufung des Klimanotstandes sei ein „konstruktiver Weg“. Vor allem aber die geforderte Vorabprüfung auf Klimaauswirkungen würde zu einer „völlig neuen Arbeitsweise der Stadtverordnetenversammlungen“ führen. Er setze mit einem Ergänzungsantrag durch, dass dies nicht ab sofort gilt, sondern die Rathausspitze dafür erst einmal ein Vorgehen erarbeitet, das sie bis März vorlegt. „Das muss nicht schlecht sein, aber wir brauchen dafür ein geordnetes Verfahren“, so Schubert. Als erste deutsche Kommune hatte die Bodenseestadt Konstanz am 2. Mai den Klimanotstand ausgerufen (siehe unten). Dort ist seitdem einiges passiert. So kündigte CDU-Oberbürgermeister Ulrich Burchardt an, künftig auf einen Dienstwagen zu verzichten. Auch fand das populäre – aber feinstaublastige – große Feuerwerk beim Seenachtfest vor einigen Tagen wohl zum letzten Mal statt. Neben höheren Parkgebühren gibt es auch die Idee, dass Bürger, die ihr Auto endgültig abmelden, mit einem kostenlosen Nahverkehrsticket für ein Jahr belohnt werden. Auch über Zuschüsse zu Lastenrädern wird in Konstanz nachgedacht.

CDU warnt vor Überlastung und Stillstand 

In Potsdam zeigte sich die CDU von dem Konzept des Klimanotstandes weniger überzeugt. Noch kurz vor der Abstimmung brachte sie ein  sechsseitiges „Positionspapier“ in Umlauf, in dem sie  ihre Ablehnung des Antrags erklärte. Darin bezeichnete sie das Ausrufen des Klimanotstandes als „Symbolpolitik“, die die Verwaltung lahmlegen und zahlreiche, teils noch nicht absehbare negative Folgen für die Stadt hat. Unter anderem warnte sie davor, dass dann keine größeren Bauvorhaben mehr realisiert und keine neuen Gewerbeflächen mehr ausgewiesen würden. Auch einen konkreten Antrag ließ die Fraktion abstimmen, der allerdings keine Mehrheit fand. Darin wurden eine Einwohnerversammlung und eine Einwohnerbefragung zum Klimanotstand gefordert. 

Auch von der FDP kam Kritik an dem Antrag. Linda Teuteberg, Generalsekretärin der Bundes-FDP aber eben auch Potsdamer Stadtverordnete, sprach von Aktionismus. Hier werde nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ gehandelt, statt überlegt Prioritäten zu setzen und den Mandatsträgern mündige Entscheidungen zuzutrauen. Sie bemängelte auch den Begriff „Notstand“. Dieser stehe für die Einschränkung von Bürgerrechten.

HINTERGRUND: FAST 50 STÄDTE FOLGTEN KONSTANZ

Neben Potsdam haben bereits Dutzende Städte den Klimanotstand ausgerufen – und fast täglich kommen neue hinzu. Den Anfang hatte am 2. Mai 2019 Konstanz gemacht, seither wurden in fast 50 deutschen Städten teils weitreichende Umweltschutzmaßnahmen angeschoben. Dazu zählen der Umbau von Autospuren zu Radwegen, höhere Parkgebühren, klimaneutrale Gebäude sowie mehr Solaranlagen und das Pflanzen zusätzlicher Bäume, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in einigen Städten und Gemeinden zeigt.

In Konstanz werden klimarelevante Maßnahmen mittlerweile von einer Taskforce koordiniert, von der klimaneutralen Energieversorgung von Gebäuden über Mobilität bis zur Entsorgung. Die Anregung zum Ausrufen des Klimanotstandes kam von der lokalen Gruppe der Klimaschutzbewegung Fridays for Future. In dem Beschluss aus Konstanz heißt es ähnlich der Potsdamer Formulierung, der Gemeinderat erkenne die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als „Aufgabe von höchster Priorität“ an. Zudem wird festgestellt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erderwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Erst am Donnerstag hatte der Weltklimarat IPCC in einem Sonderbericht festgestellt, dass der weltweite Temperaturanstieg über den Landflächen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits bei 1,53 Grad liegt. Alle Staaten seien aufgefordert, ihre Wälder besser zu schützen und eine klimafreundlichere Landwirtschaft zu fördern.

Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt Kiel, wo ebenfalls der Klimanotstand ausgerufen wurde, hat etwa die Mittel für Radwege deutlich aufgestockt, wie Stadträtin Doris Grondke sagte. Es sei auch vorgesehen, weitere Autofahrspuren den Radfahrern zu überlassen. In der Stadtverwaltung sollen außerdem E-Fahrzeuge obligatorisch werden. Mehr Car-Sharing und Diensträder gehören ebenfalls zu dem Konzept. Laut Grondke hat das Programm ein Volumen von 100 Millionen Euro.

In Düsseldorf beschloss der Rat im Juli das Ziel, statt 2050 schon im Jahr 2035 klimaneutral zu werden. In Köln wurde der Klimanotstand erst vor einem Monat ausgerufen, konkrete Beschlüsse gibt es noch nicht. Ähnlich ist die Lage in Saarbrücken und Wiesbaden. Festgelegt wurde in Köln aber, dass künftig bei relevanten Entscheidungen geprüft werden soll, inwieweit die Maßnahmen oder Projekte Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit und den Klimaschutz hätten. In Landau will der Gemeinderat als erste Stadt in Rheinland-Pfalz am kommenden Mittwoch den Klimanotstand ausrufen. Konkret geplant sind unter anderem ein Ausbau der Fahrradinfrastruktur und des ÖPNV-Angebots sowie das Pflanzen von 500 Bäumen. Bei Neubauten wie Garagen und Carports soll das Begrünen der Dächer Pflicht werden. 

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