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Denkmal. Der Potsdamer Künstler Christian Heinze schafft 1988 ein Modell des RAW-Geländes in der Teltower Vorstadt. Ein stolzer Blick auf 150 Jahre Bahnbetrieb.

© Sebastian Gabsch

Stadtleben: Kühe, Kaiser und Kulturhaus

Bevor die Eisenbahn kam: Stadthistoriker Klaus Arlt erzählt von der Geschichte des RAW-Geländes.

Ein Rittergut in der Teltower Vorstadt? Scheppernde Rüstungen und Pferdegetrappel, wo heute Senioren wohnen und die Schlösserstiftung ihre Schätze im hochmodernen Depot lagert? Ja und nein, sagt Klaus Arlt, Potsdams Stadthistoriker und Vorsitzender der Studiengemeinschaft Sanssouci. Rittergut stimmt, Rüstungen sicher nicht, aber auch ohne diese ist die Geschichte interessant. Am heutigen Mittwochabend wird Arlt sie in Gänze erzählen, beim Vortrag „Rittergut – Eisenbahnwerkstatt – Stiftungsdepot: Anmerkungen zu den historischen Wandlungen der Teltower Vorstadt“.

Es ist ein eher weniger beachtetes Areal, sagt Arlt, weil es erst spät zum Stadtgebiet dazukam, die Quellenlage ist dünn. Die alte Stadt Potsdam endete lange Zeit am südlichen Ufer der Langen Brücke, auf der auch das Zollhaus stand. Das Dreieck zwischen Nuthe, Havel und Alter Königsstraße, der heutigen Friedrich-Engels-Straße, war ländliche Fläche und gehörte juristisch zum Landkreis Zauch-Belzig.

Bereits 1682 hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm hier in Stadtnähe eine Meierei eingerichtet. „Davon gab es viele in und um Potsdam, die Milch musste ja frisch und ohne Umwege auf den Markt“, sagt Arlt. Außerdem wurden in der „Stuterei“ Pferde gezüchtet. Auf den Wiesen wuchs Heu für die Kühe und Getreide. „Man brauchte das Stroh für die Ställe.“

Als der preußische Staat 1811 in finanziellen Schwierigkeiten steckt, soll das Areal samt Betrieben versteigert werden. Als Kaufanreiz wird dem Besitzer der Ritterstand zugesichert, obwohl das Gebiet für ein ordentliches Rittergut zu klein ist. Besitzer wird 1813 die Petzower Gutsbesitzerfamilie Kähne. Zusätzlich zum landwirtschaftlichen Betrieb gibt es Ritterprivilegien: Wahlrecht, ein Sitz im Kreistag, Niedere Gerichtsbarkeit, die sich mit Alltagsdelikten, Erbrecht, Grenzstreitigkeiten und Überwachung von Verkäufen beschäftigt. Außerdem obliegt dem Rittergutbesitzer die Polizeihoheit über seinen Gutsbezirk.

Mit der Landwirtschaft und Ritterromantik ist es aber spätestens 1855 vorbei. Es kommt: die Eisenbahn. Der Staat will die Eisenbahn fördern und eine Strecke nach Potsdam bauen. Schon seit 1838 fahren erste Züge. Aber nun soll alles ausgebaut werden. Dafür braucht man das Land, das sich in privater Hand befindet. Der Staat sitzt damals am längeren Hebel und macht Druck. Weil die Familie eine Enteignung fürchtet, verkauft sie lieber – und erhält im Gegenzug Wohnrecht. Arlt: „Man hatte sich dann doch geeinigt.“

Jetzt kommen moderne Zeiten. Gleisanlagen werden gebaut, Hallen, Lokschuppen, Werkstätten. Lokomotiven und technische Ersatzteile werden anfangs aus England importiert, der erste Chef des Bahnunternehmens auch: William Turner.

Die Waggons kommen unter anderem von Wagenbauern aus Berlin. In Potsdam wird die Innenausstattung gefertigt, es gibt Tischler- und Sattlerwerkstätten. Auch der kaiserlichen Hofzug wird hier gewartet, selbstverständlich in einer eigenen Halle. Das Projekt Eisenbahn stößt in der Bevölkerung durchaus auf allgemeines Interesse. „Es herrschte eine gewisse Begeisterung für neue industrielle Anlagen“, sagt der Historiker.

Wo einst Kühe grasten, entsteht ein Großbetrieb, in dem zu Hochzeiten bis zu 2000 Menschen beschäftigt sind. Ständig wird modernisiert und erweitert. Zu sehen sind aus dieser boomenden Zeit nur noch der Wasserturm sowie wie die östlichen Hallen von 1912. Diese Reste einstiger Industriegeschichte werden in den kommenden Jahren zu einem Medien-Innovationszentrum ausgebaut.

Nach der Bombennacht im April 1945 sind zunächst zwei Drittel der Anlagen zerstört. Bis heute werden hier Blindgänger gefunden. Die DDR lässt nach dem Krieg wiederaufbauen. Das Reichsbahnausbesserungswerk wird ein wichtiger Arbeitgeber. Für die Belegschaft wird sogar ein „Kulturhaus der Eisenbahn“ errichtet, etwa dort, wo sich heute ein Bäcker in einem Neubau befindet. Denn als 1999 das RAW geschlossen wird, verkauft die Deutsche Bahn an Investoren, an dieser Stelle entstehen Wohnungen und stilles Gewerbe.

Heute ist alles Geschichte, sogar das Babelsberg Lokomotivenwerk, das sich einst in Folge des Bahnstützpunktes entwickelt hatte. Das Gutshaus aus Ritterzeiten und das Haus des Stallmeisters Tümmel, stattliche Bürgerhäuser aus dem 18. Jahrhundert, wurden 2008 abgerissen. Was es noch gibt, ist der Sportplatz des ESV Lokomotive in der Berliner Straße. Hier steht auch ein Keramikmodell des historischen RAW-Gelände, das der Potsdamer Künstler Christian Heinze 1988 anlässlich „150 Jahre RAW Potsdam“ schuf.

Vortrag zur Teltower Vorstadt am heutigen Mittwochabend um 18 Uhr im HBPG, Neuer Markt, der Eintritt ist frei

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