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Julia Schultheiss

© Stadtjugendring Potsdam

Stadtjugendring feiert 30-jähriges Jubiläum: „Grenzüberschreitungen sind wichtig"

Julia Schultheiss führt den Stadtjugendring in Potsdam - und spricht im Interview über die Jubiläumsfeier im Lindenpark am heutigen Freitag und die aktuelle Jugendpolitik in Potsdam.

Frau Schultheiss, sind dreißig Jahre Stadtjugendring aktuell tatsächlich ein Grund zum Feiern?
Na klar. Gerade jetzt und immer. Die sogenannte Jugend(verbands)arbeit ist unerlässlich für Kinder und Jugendliche in Potsdam. Wir erkennen Bedarfe, erarbeiten gemeinsam Lösungen mit den Beteiligten. Wir ermöglichen die Beteiligung von jungen Menschen. Die Pandemie sollte eher ein Grund sein, noch mehr dieser Leistungen zu fördern. 

Aktuell steht es schlecht um die Jugendkultur. Im Zuge der Coronakrise wird häufig kritisiert, die Probleme der Jugend würden von der Erwachsenenwelt ignoriert – sei es bei Schule, sei es in der Freizeit. Wie erleben Sie das in Potsdam?
In Potsdam sind die Bemühungen zur Beteiligung da und Wertschätzung und Ernstnehmen oft auch. Dennoch muss sich die strukturelle Beteiligung seitens der Stadtverwaltung weiter verbessern. Die juristischen Grundlagen dafür sind da. Die Praxis muss nachziehen und Kinder und Jugendliche noch mehr mitdenken. 

Warum ist das notwendig?
Junge Menschen organisieren sich im Rahmen von Jugendpolitik oder Jugendkultur. Aus unserer Sicht sind Selbstorganisation und Aneignung von Räumen und deren Umwidmung sehr wichtig für die Sozialisierung von jungen Leuten und muss durch den Stadtjugendring und andere Träger unterstützt bleiben. 

Wie blicken Sie auf die Belastungen von Kinder und Jugendlichen durch die Pandemie?
Derzeit verweisen zahlreiche Sozial- und Erziehungswissenschaftler:innen auf zunehmende psychische Probleme und Entwicklungsstörungen bei jungen Menschen, der letzte Jugendschutzbericht für Potsdam belegt eine sehr deutliche Zunahme von Kinderschutzfällen. 

Vielfach geht es in der Debatte auch um fehlende Freizeitmöglichkeiten, etwa auch in den Parks.

Die Parks in Potsdam sind auch bei Jugendlichen beliebte Treffpunkte. Der Stadtjugendring schlägt vor, die Parks am Abend länger offen zu halten.
Die Parks in Potsdam sind auch bei Jugendlichen beliebte Treffpunkte. Der Stadtjugendring schlägt vor, die Parks am Abend länger offen zu halten.

© Sebastian Gabsch

Was lässt sich aus Sicht Ihres Verbands aber tun, dass solche Treffpunkte nicht wegen so entstehender Müllmassen in die Kritik geraten?
Das Müllproblem in den Parks und der Stadt ist ein Grundsätzliches für alle Bürger:innen der Stadt, da es eben gesamtstädtisch oft viel zu wenig Müllbehältnisse gibt. Oder die falschen – wenn also Krähen die Mülleimer leerräumen können und am Ende sieht es so aus, als hätte eine Horde von Partywütigen einen wilden Exzess gefeiert. Grundsätzlich muss man eben als Stadt anerkennen, dass der Appell “Nimm deinen Müll wieder mit” nicht hundertprozentig funktioniert – und zwar für alle Altersgruppen nicht. 

Es wäre aus unserer Sicht durchaus konstruktiv dann auch andere Mittel und Wege zu probieren und beispielsweise an hochfrequentierten Orten in der Stadt Müllbehältnisse aufzustellen, Solarmülleimer zu nutzen oder häufigere Entleerungstaktungen einzuplanen. Perspektivisch werden Innenstädte, wie in anderen Kommunen zu beobachten, eher Schwierigkeiten haben, belebt zu bleiben. Deshalb muss die Aufenthaltsqualität – dazu gehören Bänke, Mülleimer und kostenlose Toiletten – gesichert werden.

Wie können Sie sich da einbringen?
Der Stadtjugendring arbeitet stetig daran Kommunikation zu schaffen, Austausch zu erreichen. Aber wir vertreten auch die Haltung, dass Grenzüberschreitungen wichtig sind für die jugendliche Sozialisierung. Aneignung von Räumen bedeutet informelles Lernen und Identifikation mit der Heimatstadt. Junge Menschen drücken mit dem Aufenthalt auf öffentlichen Plätze ihren Teilhabeanspruch an der Potsdamer Gesellschaft aus. Es gilt Lösungen zu finden und die durchaus wachsende Gruppe junger Menschen weder zu marginalisieren noch zu verdrängen.

Aufblas-Ente Agathe ist das Maskottchen des Stadtjugendrings.
Aufblas-Ente Agathe ist das Maskottchen des Stadtjugendrings.

© Foto. Manfred Thomas

Die Stadt hat gerade die lange von Ihnen geforderte Skaterhalle um unbestimmte Zeit verschoben, aus finanziellen Gründen angesichts der wegbrechenden Finanzmittel im Zuge der Coronakrise. Haben Sie dafür Verständnis?
Unserer Kenntnis nach sind 500.000 Euro für den Haushalt 2023 für die Skaterhalle eingeplant. Diese Summe reicht aber noch nicht für eine Skaterhalle im Lindenpark. Was wir brauchen wären also weitere 500.000 Euro im Haushalt 2024. Ich verstehe das Argument Corona und weniger Einnahmen und so weiter. 

Aber: Seit 15 Jahren reden wir über dieses Thema. Aktuell ist das Argument Corona und freiwillige Leistungen. Irgendwas war immer wichtiger als diese Investition. Und nun ist 2021 und wir haben immer noch keine Skaterhalle in der Landeshauptstadt. 

Doch so etwas sind freiwillige Leistungen – die Stadtspitze hat aber bereits klar gemacht, dass keine zusätzlichen Aufgaben mehr finanziert werden sollen. Welche Alternativen sind da denkbar und wie kann hier der Stadtjugendring helfen?
Ein kleines Plädoyer für die sogenannten freiwilligen Leistungen. Das hören wir seit 30 Jahren sehr oft. Sehr viele Angebote für Kinder und Jugendliche in Potsdam sind nicht pflichtig. Aber das macht sie nicht weniger wertvoll oder essenziell. Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit in Potsdam leisten unfassbar wichtige Arbeit. Ein großes Danke an dieser Stelle. Ohne diese zahlreichen Angebote würde Potsdam tatsächlich alt aussehen. 

Es gibt aktuell eine SPD-Initiative für sogenannte Stadtterrassen als Treffpunkte. Haben Sie Hoffnung, dass so etwas für Besserung sorgen kann?
Ja. Denn wir brauchen mehr Freiräume für junge Menschen, auch pädagogikfreie Freiräume. Kreative Vorschläge sind immer gut und das Thema zusetzen ist auch wichtig. Stadtterrassen können da vielleicht eine Option sein. Wichtig ist auch, Freiräume in der Stadtentwicklung und -planung mehr zu berücksichtigen.

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Der Stadtjugendring begeht heute sein Jubiläum - was steht auf dem Wunschzettel?
Ein originärer Auftrag des Stadtjugendrings war es schon seit seiner Gründung für Räume in Potsdam zu kämpfen. Seien es Büro-, Lager oder Freiräume. In einer wachsenden Stadt wie Potsdam ist das immer noch ein heißes Thema. Wir wollen Freiräume schaffen und erhalten. Dafür nötig ist: Mehr in der Stadtentwicklung mitdenken und realistisch planen, auch kreativen Zwischennutzungsideen mutig begegnen. 

Es wäre klasse, wenn Eigentümer:innen bei solchen Gelegenheiten auf uns zukommen würden. Und wichtig wäre auch, die außerschulische Jugendarbeit und Jugendbildung zu fördern - das ist jetzt, angesichts der Herausforderungen durch die Pandemie, wichtiger denn je.

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