zum Hauptinhalt
Geschichtskenntnisse. Historiker Thomas Wernicke (M.) hat am Freitag für die Friedrich-Naumann-Stiftung eine Stadtführung auf den Spuren der Migration in Potsdam gegeben.

© Andreas Klaer

Stadtführung zu Migration in Potsdam: Verfolgt und umworben

Mit Historiker Thomas Wernicke gehen in Potsdam 20 Interessierte auf Spurensuche nach der Migration der vergangenen Jahrhunderte. Migration war für Preußen ein wichtiges Thema – es herrschte freundliche Willkommenskultur.

Potsdam - Fast zum Schluss seiner Stadtführung hat Thomas Wernicke noch eine Anekdote parat: „Können die auch Deutsch?“, sei er in den 1990er-Jahren einmal gefragt worden, als er Touristen von den letzten drei Familien berichtete, die zu dieser Zeit noch als Nachfahren der russischen Siedler in der Kolonie Alexandrowka lebten. Die Frage nach den Deutschkenntnissen der Siedlungsbewohner – vielleicht war sie nur ein Scherz – habe er natürlich bejaht, sagt Wernicke. Und zugleich erinnert der Historiker an die vielen russischen Soldaten, die bis in die 1990er- Jahre hinein etwas weiter nördlich der Alexandrowka in den Kasernen lebten – und vermutlich nur selten Deutsch konnten.

Wernicke führt an diesem Freitagnachmittag eine Gruppe von etwa 20 Interessierten durch Potsdam. Auf den Spuren früherer Migranten wandeln die Teilnehmer durch die einstige preußische Residenz. Die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit hatte in Kooperation mit der Karl-Hamann-Stiftung zu diesem Stadtspaziergang eingeladen. Zuerst gibt es einen Blick auf das Stadtmodell im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Hier kann jeder sehen: Die barocke Innenstadt sieht aus der Vogelperspektive so ziemlich wie auf dem Reißbrett entworfen aus. Gleichförmig. Abgezirkelt. Und ja, die Stadt ist in ihrem Zentrum bekanntlich nicht allmählich gewachsen, sondern Schlag auf Schlag: Erste barocke Stadterweiterung 1722, die zweite gleich 1733 und ein paar Jahre später folgte das Holländische Viertel. Zuvor hatte sich das Stadtgebiet nur südlich und östlich des Stadtkanals erstreckt. Friedrich Wilhelm I. brauchte Platz für seine Soldaten. So mussten Bürger, die in den neuen Stadtquartieren wohnten, Armeeangehörige bei sich beherbergen. Auch wenn die Häuser keine Kasernen späterer Jahrhunderte waren – von Freiheit für die Soldaten konnte hier nicht die Rede sein. „Sie waren dann in dieser Stadt geradezu gefangen, weil sie die Stadt nicht verlassen konnten“, erzählt Wernicke am Modell. Aus ganz Europa seien die Soldaten quasi als Söldner nach Potsdam geholt worden. Im 18. Jahrhundert hätten sie die größte Gruppe von Fremden in Potsdam gebildet.

Geschichte, das sei wohl oft nur was für Ältere

Nun geht es vom Modell raus in die Realität. Wernicke schlendert mit der Gruppe über den Neuen Markt. Einer der Teilnehmer merkt das recht hohe Durchschnittsalter der Schar Interessierter an. Geschichte, das sei wohl oft nur etwas für Ältere. Vielleicht liegt es auch an der Tageszeit, vermutet eine Frau: Freitagnachmittag – eventuell nicht der günstigste Zeitpunkt für einen Bildungsstadtbummel.

Wie dem auch sei – die Spuren der Einwanderer aus früheren Jahrhunderten sollen auf dieser Wanderung entdeckt werden. Die Migration sei für ganz Preußen „ein sehr wichtiges Thema“ gewesen, sagt einer der Teilnehmer, der Potsdamer Heinz Buschatz, während die Gruppe zum Alten Markt hin wandert. Dabei erinnert er an die Salzburger Exilanten, die im 18. Jahrhundert ihre Heimat wegen ihres protestantischen Glaubens verlassen mussten. In Potsdam hatte man viele von ihnen damals freundlich empfangen – Willkommenskultur würde man das wohl heute nennen. In Ostpreußen wurden sie später zu einem großen Teil heimisch.

Am Alten Markt geht es um die Hugenotten

Auf dem Alten Markt angekommen, erzählt Wernicke von den Hugenotten, jener großen Gruppe Protestanten, die in Frankreich – ebenfalls ihres Glaubens wegen – verfolgt wurden. 1685 hatte der Große Kurfürst das Edikt von Potsdam erlassen und damit den Hugenotten die Möglichkeit eröffnet, sich in Preußen anzusiedeln. Wernicke nennt den auch heute noch bekannten Erlass des Großen Kurfürsten ein Einwanderungs- und Einladungsedikt. Die französischen Flüchtlinge erhielten jede Menge Privilegien. So hatten sie ihre eigene Gerichtsbarkeit, und mussten weniger Steuern als ihre angestammten Mitbürger zahlen. Sogar ihre eigene Schule durften sie betreiben – „deswegen auch das lange Überleben der französischen Sprache“, erzählt Wernicke.

Dabei ist das mit der französischen Sprache und den Potsdamern ja so eine Sache: Als Wernicke neben der katholischen Kirche steht und von dem Platz berichtet, auf dem das Gotteshaus steht, spricht er den Bassinplatz wohlklingend französisch aus. Und fügt sogleich hinzu: „Potsdamsch ausgesprochen: Basseng.“ Über die den Hugenotten damals gewährten Vorteile sagt er: „Man stelle sich das heute vor: Eine Einwanderergruppe bekommt solche Privilegien.“

Mit dem Holländerviertel wollte der preußische König Handwerker anlocken

Und warum hat das protestantische Potsdam an zentraler Stelle eigentlich eine so große katholische Kirche wie auf dem Basseng – pardon – Bassinplatz? Im Zuge der Reichseinigung 1871 seien aus den katholischen Reichsgebieten auch viele Soldaten in die Stadt an die Havel gekommen, erzählt Wernicke. Und die hätten nun einmal eine angemessene Kirche benötigt.

Klar, auch das Holländische Viertel erwähnt Wernicke auf seiner Stadtführung. Bekanntlich waren es hier keine Glaubensflüchtlinge, für die Friedrich Wilhelm I. das Viertel durch Johan Bouman planen ließ. Holländische Handwerker wollte der König auf diese Weise anlocken. Das mit den Fachkräften aus dem Ausland muss auch schon damals ein Problem gewesen sein. So richtig zahlreich wollten die, denen man hier glaubte ein schönes Nest bereitet zu haben, dann doch nicht kommen. Die Häuser füllten sich aber schließlich auch mit anderen Leuten. Zumindest Soldaten hatte man in Potsdam freilich immer zu versorgen.

Fachkräfte aus dem Ausland anwerben? „Potsdam ist da ein tolles Vorbild“, findet Axel Graf Bülow, Brandenburger Landesvorsitzender der FDP und an diesem Freitagnachmittag mit in die Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung eingebunden. Wenn heute Forscher nach Amerika gehen, da sage er sich: „Das müssen wir hier auch schaffen.“ Und was sagt Bülow dazu, bei einer Stadtführung durch Potsdam mitzulaufen – der Stadt, in der er eigenem Bekunden nach bereits seit elf Jahren wohnt? „Man kennt weiß Gott nicht alles.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false