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Stadtführung: Die Mitte von oben

Potsdam aus dem 17. Stock: Im Hotel Mercure wird Potsdam von oben gezeigt. Potsdam Tourismus lädt monatlich zu weiteren Führungen ein.

Potsdam - Den Umbau der Potsdamer Altstadt neben und hinter der Nikolaikirche findet Regina Ziegler – die Namensgleichheit mit der Filmproduzentin ist übrigens rein zufällig – „wunderbar“. Sie ist sehr angetan davon und wartet mit Ehemann Bernd schon gespannt darauf, wie der alte neue Stadtteil einmal aussieht. Die beiden wollten sich schon im Januar bei „Potsdam im Licht“ rund um den alten Markt und in die 17. Etage des Hotels Mercure führen lassen. Doch damals war bereits alles ausgebucht. Bei der Neuauflage der Stadtteilführung durch die PMSG (Potsdam Marketing und Service GmbH) herrscht an diesem Samstag schon wieder Andrang und die Gruppe wird in zweimal 30 Personen aufgeteilt, damit die Fremdenführer auch ohne Mikro gut verständlich bleiben und um das Hotel mit einem Massenansturm nicht zu überfordern.

Auch die jungen Leute Luisa und Timm setzen auf Historie und gehen sogar so weit, am Erhalt der Stadt- und Landes-Bibliothek und des Hotelhochhauses herumzumäkeln. Passt nicht in die Altstadt, finden sie. Dabei sind die Jung-Potsdamer erst 27 und 30 Jahre alt und haben den jüngsten Teilnehmer zur Stadtteilführung mitgebracht. Töchterchen Lilli ist sieben Monate alt und verschläft die interessanten Ausführungen von Wolfgang Eisert völlig. Damit ist sie allerdings die große Ausnahme, denn die Gruppe folgt interessiert ihrem Guide, der die historischen Daten durch allerlei Bonmots und Begebenheiten anreichert.

Potsdamer Geschichte wird lebendig

Doch erst geht es einmal im erzählerischen Gewaltmarsch von der ersten Stadterwähnung 993 und Otto III., der eine „unbedeutende Ansiedlung“ – so Eisert – an seine Tante Mathilde verschenkte und damit Poztupimi zum ersten Mal urkundlich erwähnte bis in die Neuzeit. Die Stadt darf in diesem Jahr ihr 1025. Jubiläum feiern und schickt zusammen mit der PMSG mehrfach Stadtführer los, um Geschichte lebendig werden zu lassen. Am 17. März kann man zum Beispiel hinter die Kulissen des Potsdamer Rathauses schauen und durch die Nauener Vorstadt wandern. Im Mai geht es durch die Berliner, im Juni durch die Brandenbuger Vorstadt, im August wieder durch die Potsdamer Mitte, im September sind die Ulanen und russischen Kolonisten dran, im Oktober die Schiffbauergasse als Kulturstandort im November der Friedhof Bornstedt und im Dezember das Bildungsforum und abermals die Stadtmitte.

Vieles, an dem man achtlos vorbeigeht

Wolfgang Eisert ist inzwischen beim Soldatenkönig und dem Aufschwung Potsdams angekommen und lässt danach Friedrich II. heftig losbauen, damit aus dem unbedeutenden Fischerdorf eine Residenzstadt mit Stadtschloss wird. Dass das wieder steht, finden die Besucher gut und die französische Inschrift „Ce n'est pas un château“ (Das ist kein Schloss) erregt immer noch Erstaunen. „Es gibt eine Menge, an dem man achtlos vorbeigeht“, meint eine Teilnehmerin der Führung.

Man erfahre auch als alter Potsdamer immer wieder Neues. Zum Beispiel über die Palazzi in der Humboldtstraße. Dort spielte die Fassade schon immer eine viel größere Rolle als das, was sich dahinter verbarg, nämlich bürgerliches Leben. König Friedrich wollte sich wie in Italien fühlen, wenn er aus dem Fenster seines Stadtschlosses sah. Und so wurden die Häuser 3 und 4 den Palazzi Pompei und Chiericati nachempfunden, wenn sich dort auch ganz trivial die Gastwirtschaft zum „Roten Adler“, ein Likörfabrikant oder ein Obsthändler als Bewohner befanden. Die Humboldtstraße sei eine sehr lebendige Einkaufszeile gewesen, erzählt Eisert. Und er verweist auf den vielseitigen Figurenschmuck der Häuser und auch den am Alten Rathaus. Trotzdem habe ein Reiseschriftsteller angemerkt, so Eisert, dass „am Alten Markt mehr Leute auf den Dächern stehen als auf den Straßen“. Die Parallele zur Gegenwart verkneift er sich, ist überhaupt sehr versöhnlich gestimmt und streift die Querelen um den Abriss der Fachhochschule nur kurz. Oder meint zur Bittschriftenlinde: „Nichts dran – alles gut.“

Wolfgang Eisert ist übrigens ein Doktor der Geschichte, hat zur Militärhistorie der DDR geforscht, wurde nach der Wende Veranstaltungsmanager im Bürgerhaus am Schlaatz, begann 2000 schon nebenher als Stadtführer und ist seit 2005 Honorarkraft der PotsdamTourismus GmbH. Aber auch die Lizenz für Führungen in den Preußenschlössern hat er. Er tritt als Oberzeremonienmeister Friedrich II. auf und nun will er auch noch für den Filmpark Babelsberg Sachkunde erwerben. Der Geschichtsdoktor verfügt offenbar nicht nur über weitreichende Sachkenntnis, sondern auch über ein erstaunliches Gedächtnis.

Bei der Stadtmitteführung braucht er keinerlei Notizen. „Da muss man sich schon auskennen, damit man locker bleiben kann“, lacht er. Er bittet allerdings die Besucher auch, ihn zu korrigieren, sollte er sich einmal irren. Das geschieht allerdings am Samstag nicht. Als Appetithäppchen gibt es dann noch einen Besuch im 17. Stock des Hotels und da liegt den Besuchern dann das ganze aktuelle Potsdam zu Füßen.

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