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Idealer Platz. Blick vom Neuen Lustgarten zum Hotel „Mercure“. Das frühere Interhotel soll der von Hasso Plattner geplanten Kunsthalle weichen.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dapd

STADTENTWICKLUNG: Von höchster Faszination

Die Errichtung einer Kunsthalle an der Stelle des Hotels „Mercure“ ist eine einmalige Chance für Potsdam.

Ein Traum von Potsdam als schönste deutsche Stadt zwischen Havel, Seen, Wäldern und Schlössern war mir in meiner gesamten Kindheit präsent. Genauso dachte meine Mutter, die seit den 1930er Jahren in Potsdam lebte, und immer wieder sprach sie auch von einer traumatischen Erinnerung: die nicht vergehende Angst beim britischen Fliegerangriff am 14. April 1945, der wesentliche Teile der barocken Altstadt in Schutt und Asche legte. Eine Hoffnung, dass die alte Pracht wieder entstehen könnte, gab es für uns nicht. Zu groß waren die Zerstörungen und zu brutal waren die realsozialistischen Pläne zur Neugestaltung der Potsdamer Innenstadt. Dem Willen der SED fielen die aufbaufähige Ruine des Stadtschlosses, der Stadtkanal, der schwer beschädigte Turm der Heiliggeistkirche und schließlich die schon wieder im Aufbau befindliche ausgebrannte Garnisonkirche zum Opfer.

Besonders die Zerstörung der Garnisonkirche im Rahmen einer „Städtebaulichen Konzeption für den beschleunigten Aufbau des Stadtzentrums von Potsdam“ im Mai und Juni 1968 empörte viele alte Potsdamer und Menschen weit über die Stadt hinaus. Wir protestierten als Mitglieder der evangelischen Jungen Gemeinde gegen diese Kulturbarbarei, was mich in eine kurze Haft ins Präsidium der Volkspolizei in der Bauhofstraße brachte. Unsere Sorge und Empörung vergrößerte sich, als wir als Schüler der Erweiterten Humboldt-Oberschule das Modell des geplanten Stadtzentrums besichtigen mussten: Die Innenstadt prägten hier seelenlose Plattenbauten und als „Stadtkrone“ ein Devisenhotel. Diese Planungen konnten dann nur teilweise umgesetzt werden, an der Havel entstand jedoch auf dem Platz des ehemaligen Lustgartens das „Interhotel“. Dieser Bau prägte für Jahrzehnte den Blick auf Potsdam, ja ruinierte ihn. Dies schien für alle Ewigkeit unveränderlich.

Die Situation änderte sich erst nach der - durch eine friedliche Revolution erzwungenen – Abdankung der realsozialistischen Diktatoren. Potsdam lebte als brandenburgische Landeshauptstadt allmählich in alter Schönheit wieder auf. Damit verbunden ist auch ein neuer Bürgerstolz, der sich auch an symbolischen Orten orientiert. Herausragend ist hier natürlich das wiedererrichtete Stadtschloss, von ähnlichem Rang wird die Garnisonkirche – auch als Ort der Mahnung an deutsche Verbrechen – in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft sein.

In der jetzt wieder Gestalt gewinnenden Mitte unserer Stadt gibt es jedoch ein störendes Element. Es ist das ehemalige „Interhotel“, heute Jüngeren wohl nur noch unter dem neuen Namen „Mercure“ bekannt. Um die Schönheit Potsdams noch stärker als bisher zurückzugewinnen, ist sein Rückbau dringend geboten. Durch das Angebot Hasso Plattners, der sich aus bürgerschaftlichem Mäzenatentum auch bisher um die Stadt verdient gemacht hat, das Hotel durch eine Kunsthalle zu ersetzen, gibt es dafür jetzt eine einmalige Chance. Potsdam wird von einem städtebaulichen Relikt der vergangenen Diktatur erlöst und es erhält eine einmalige Möglichkeit für die Gestaltung von Neuem.

Dass dieses neue Gebäude eine Kunsthalle werden wird, ist eine fast perfekte Lösung. Die Halle wird die Sicht auf Potsdam etwa vom Brauhausberg nicht verstellen und muss auch architektonisch in einer Beziehung, aber auch in einem Spannungsverhältnis zum Stadtschloss, zum Marstall und hoffentlich auch einmal zur Garnisonkirche stehen. Hier entsteht Zukunft auf dem Weg zur Gestaltung einer der schönsten deutschen Städte.

Aber es geht nicht nur um die städtebauliche Form. Wenn an die Stelle des „Mercure“ ein neues Gebäude rücken soll, muss es allemal auch um Inhalte gehen. Und hier ist die Idee einer Kunsthalle von höchster Faszination. Potsdam besitzt bisher keine Sammlung moderner Kunst von Rang und auch keine für ihre Präsentation notwendige ständige Ausstellungshalle. Aber es geht nicht um eine Kunstsammlung mit allgemeinem Charakter, sondern um etwas Spezielles – das Thema ist die DDR-Kunst. Dabei wird nicht die offizielle SED-Kunst aus ihren Depots, etwa dem in der Burg Beeskow, geholt werden. Zu sehen sein werden dagegen Werke mit bleibender Bedeutung und zeitloser Wirkung. Denn auch solche Arbeiten gab es unter der Herrschaft der SED. Eines der bedeutendsten Beispiele dafür ist Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“ von 1985 mit seiner zumindest für uns Heutige so offensichtlichen Kritik an totalitären Herrschaftsformen in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Es ging Mattheuer darum, das Spannungsfeld zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus zu zeigen. Das ist ihm bleibend gelungen und noch heute erstaunt es, dass seine Arbeit bereits auf der letzten DDR-Kunstausstellung in Dresden präsentiert werden konnte.

So gehört der „Jahrhundertschritt“ auch vor die Potsdamer Kunsthalle, aber es geht hier nicht vorrangig um Mattheuers Plastik, sondern um zahlreiche weitere Gemälde, Graphiken und Skulpturen anderer bedeutender ostdeutscher Künstler. Könnten diese mit der Plattner-Sammlung dauerhaft gezeigt werden, wäre es ein bleibender Gewinn. Noch größer wäre jedoch der Effekt, wenn auch Werke der vielfältigen und anregenden ostdeutschen Gegenkultur gezeigt werden würden. Hier gewänne ein neuer Ort kultureller Selbstverständigung Gestalt.

Davon würde die Diskussion über deutsch-deutsche Kunstgeschichte profitieren, aber auch der zeithistorische Diskurs bekäme neue Impulse. Den Gewinn daraus würde zwar nicht nur Potsdam ziehen, aber die Stadt hätte eine besondere Chance: Im Zusammenklang ihrer unterschiedlichen Schlösser und Parks, Forschungs- und Lehrstätten, Museen und Gedenkstätten mit der neuen Kunsthalle würde ein öffentliches Forum geistiger Auseinandersetzung entstehen, wie wir es in Deutschland nicht allzu häufig haben.

So geht es beim Bau der Kunsthalle an der Stelle, wo heute noch das „Mercure“ steht, zum einen um die sühnende Wiederherstellung des Stadtzentrums, zum anderen um die Gestaltung von Zukunft. Diese Chance mit so hohem symbolischen Wert nicht nur für Potsdam, sondern für das gesamte wiedervereinigte Deutschland, wird nicht wiederkehren. Welche Wirkung von einer solchen Kombination von Architektur und Kunst ausgehen kann, zeigt etwa das neu entstehende Zentrum von Dresden. Die Potsdamer Bürger und ihre politischen Vertreter können sich diesen „Jahrhundertschritt“ ganz einfach nicht entgehen lassen.

Prof. Dr. Rainer Eckert ist Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig. Er wurde 1950 in Potsdam geboren, 1968 machte er hier das Abitur. Nach einem einjährigen Archivpraktikum studiert er 1969 bis 1972 Archivwissenschaft und Geschichte an der Humboldt-Universität. 1972 wurde er als Folge politischer Verfolgung der Universität verwiesen und mit Hausverbot belegt. Eckert war in Potsdam an den Vorbereitungen zur Gründung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte und der Gedenkstätte Leistikowstraße beteiligt und war Gutachter für das neue Konzept für die Gedenkstätte Lindenstraße.

Prof. Rainer Eckert

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