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Stadtentwicklung: Immer dieselbe Platte?

Ein neues Buch befeuert die Diskussion über Erhalt oder Abriss des DDR-Bauerbes in Potsdam

Von Peer Straube

Alles muss weg. Muss es? Sind Abrissbirne und -bagger in jedem Fall alternativlos, wenn es um das bauliche Erbe der DDR geht? Lange, sehr lange ist das rückhaltlose Schleifen vermeintlicher sozialistischer Bausünden in Potsdam nicht infrage gestellt worden. Doch spätestens seit letztem Jahr ist die Debatte über die DDR-Bauten voll entbrannt – und wie meistens in Potsdam ist sie das mit voller Härte, oft von Polemik begleitet.

Anheizen könnte die Diskussion nun ein neues Buch, das eine Potsdamer Initiative von „Künstlern, Architekten und anderen an der Stadtentwicklung Interessierten“ herausgegeben hat, die sich Metroplar nennt. „Und der Zukunft zugewandt – Potsdam und der gebaute Sozialismus“ heißt das 159 Seiten starke Werk, die Autoren wollen darin einen „neuen, unverkrampften Blick auf die sozialistische Baukultur in der Landeshauptstadt“ werfen. Tatsächlich halten sich die Verfasser mit Wertungen der Architektur auffällig zurück. In erster Linie ist das Buch daher eine akribische Dokumentation des Potsdamer Baugeschehens zwischen 1945 und 1989. Ausführlich und detailliert werden die wichtigsten stadtbildprägenden Gebäude, die Zeit ihrer Erbauung und ihre Architekten aufgelistet – und der Zeitraum des Abrisses, sofern die Gebäude nicht mehr existieren.

Und geschleift wurde bereits einiges. Wer erinnert sich beispielsweise noch an das Schuhhaus und die angrenzende Kaufhalle „Basar“? Mitte der 90er Jahre wurde das zwischen 1969 und 1974 enstandene Ensemble an der Nordseite des Platzes der Einheit abgerissen und stattdessen die Wilhelmgalerie errichtet. Die von vielen Experten hochgelobte Stahlkonstruktion des Busbahnhofs auf dem Bassinplatz gibt es seit elf Jahren nicht mehr, das Fernmeldeamt der Post ereilte vor sechs Jahren sein Schicksal, seitdem liegt das Grundstück brach.

Weitaus mehr Kapitel beschäftigen sich indes mit dem noch erhaltenen DDR-Erbe, darunter unbestrittene Kleinode wie das Café „Seerose“ in der Breiten Straße oder der zwischen 1957 und 1959 entstandene frühere Hauptbahnhof, der heutige Bahnhof Pirschheide; Skurriles wie die aus der Materialnot heraus geborene Einfamilienhaussiedlung in der Paetowstraße, deren Häuser aus industriell hergestellten Betonplatten bestehen; letztlich aber auch Umstrittenes wie die Fachhochschule, das „Minsk“, die Brauhausberg-Schwimmhalle oder der Wohnkomplex am Staudenhof.

Letzterem, eigentlich schon der Abrissbirne geweiht, wird in dem Buch besondere Aufmerksamkeit zuteil. Die Fotografin Kathrin Ollrogge porträtierte eine Reihe von Bewohnern des 1971 errichteten Plattenbaus und lichtete auch ihre Wohnungen ab – zu wem welche Wohnung gehört, bleibt indes offen. Jeder Betrachter soll sich sein eigenes Bild machen. PNN-Mitarbeiterin Astrid Priebs- Tröger ergänzte die Fotos mit Interviews von Hausbewohnern. Deren Meinung bildet das gesamte Spektrum der Debatte ab: „Wenn sie das hier abreißen, müssen sie mich mit abreißen“, sagt eine 91-Jährige, nur halb im Scherz. Eine andere Frau fände dagegen einen Abriss „ in Ordnung“. Städtebaulich sei das „in dieser Größe völlig deplatziert“.

Überhaupt empfiehlt eine der Buchautorinnen, Christiane Droste, bei der Debatte um das DDR-Bauerbe die Einbeziehung der Protagonisten, zum einen der Bewohner, zum anderen der damaligen Planer und Architekten. In Frankreich werde das bereits seit einigen Jahren erfolgreich praktiziert, schreibt Droste, die in Berlin ein Büro leitet, das sich mit Stadtentwicklung befasst.

Es gehe darum, mahnt Michael Braum, Chef der Bundesstiftung Baukultur, die Nachkriegsmoderne zu „verändern, ohne ihre Qualitäten zu zerstören“. Anders ausgedrückt: Nicht alles muss weg.

Und der Zukunft zugewandt – Potsdam und der gebaute Sozialismus.

159 Seiten, Herausgeber: Metropolar Potsdam. Das Buch ist zum Preis von 16,95 Euro im Potsdamer Buchhandel erhältlich.

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