zum Hauptinhalt
Exklusiv

Stadt reagiert nach Kita-Urteil: Rückzahlung von Kita-Beiträgen kostet wohl 45 Millionen

Ein aktuelles Urteil zugunsten von Eltern sorgt dafür, dass das Rathaus beim Kompromiss  zur Rückzahlung nachlegen will.  Ausschlag hatte eine ungenaue Formulierung gegeben.

Potsdam - Eigentlich schien bei der Rückzahlung zu hoch angesetzter Kitabeiträge alles in trockenen Tüchern, nachdem auch das Stadtparlament einen mindestens 20 Millionen Euro teuren Kompromiss für die Erstattung des Geldes an tausende Potsdamer Eltern gebilligt hatte. Doch nun sorgt ein neues Urteil des Potsdamer Amtsgerichts für Aufsehen - und das Rathaus steuert nach.   

Denn das Gericht urteilte zu einem Aspekt, der bei der Kompromissfindung bisher außen vor geblieben war – aber für viele Eltern mit zwei und mehr Kindern erneut mehr Geld bedeuten dürfte. Die Rede ist von der sogenannten Geschwisterkindregelung, die die Stadt Potsdam in der alten Kitasatzung so missverständlich formuliert hat, dass sie als Rabatt ausgelegt werden kann, selbst wenn nur ein Kind in eine Kita geht, wie das Gericht jetzt feststellte. Damit würden mehr Eltern profitieren. Dieses Urteil soll nun bei der Rückzahlung zusätzlich berücksichtigt werden, kündigte Familiendezernentin Noosha Aubel (parteilos) nach PNN-Informationen im nicht-öffentlichen Teil des Hauptausschusses an. Das genaue Modell ist noch unklar. Zusammen mit den Verwaltungskosten für das komplexe Rückzahlungsprocedere sollen sich die Gesamtkosten für die Operation nun auf bis zu 45 Millionen Euro belaufen, hieß es aus Rathauskreisen weiter.

Eine ungenaue Formulierung mit Folgen

Geklagt hatte laut dem den PNN vorliegenden Urteil eine Potsdamer Familie gegen ihren Träger, den Landessportbund-Service, wo eines ihrer vier Kinder ab Mitte 2016 untergebracht war. Der Familie stieß vor allem folgender Satz in der Kita-Satzung auf: „Haben Zahlungsverpflichtete mehrere unterhaltsberechtigte Kinder, verringert sich der Elternbeitrag für Eltern mit einem Kind um jeweils 20 Prozent pro Kind.“ Der Träger legte das so aus, dass den Eltern 60 Prozent Rabatt für ihr Kita-Kind zusteht – schließlich gelte die Rabattregel erst ab Kind Nummer zwei. Die Eltern jedoch wollten 80 Prozent – ab dem ersten der vier Kinder müsse also jeweils ein 20-Prozent-Rabatt gelten. Daher hätten sie allein dadurch rund 1200 Euro zu viel gezahlt, stellte der Jurist der Eltern fest.

Das Gericht teilte diese Auffassung, legte die Formulierung zuungunsten des Rathauses aus – und spricht laut dem Urteil von einer „ungerechtfertigten Bereicherung“. Die Satzung sei nur so zu lesen, dass für jedes Kind 20 Prozent des Grundbetrags abzuziehen seien. Den klagenden Eltern stünden neben der zu viel gezahlten Summe auch noch fünf Prozent Zinsen zu, so der zuständige Amtsrichter. Die Träger-Anwältin des Landessportbunds, Annette Krause, ließ auf PNN-Anfrage offen, ob sie Rechtsmittel einlegen werde – dazu sei man in Gesprächen mit der Stadt.

Alte Fehler aus dem Weg räumen

Für den Kita-Elternbeirat, dessen Vertreter vor eineinhalb Jahren die zu hoch angesetzten Kitabeiträge aufgedeckt hatten, ist das Urteil ein Anlass für neue Forderungen – zumal es schon ein ähnliches Urteil in Bezug auf die Arbeiterwohlfahrt (Awo) gegeben habe, wie Sprecher Robert Witzsche bereits am Mittwochmittag auf Nachfrage sagte. Ob für die notwendige Korrektur die anstehende Rückzahlung an die Eltern genutzt oder ein anderer Weg gefunden werde, sei dabei erst einmal nicht relevant. „Wichtig ist, dass auch hier alte Fehler aus dem Weg geräumt werden.“ Im Zuge des besagten Kompromisses hätte man dieses Thema angesprochen und wie andere Streitpunkte gern geklärt, sagte Witzsche – allerdings konnte sich der Beirat damit nicht durchsetzen. „Da aber nun dieses Urteil unsere Sichtweise bestätigt, ist es unausweichlich, dass die Stadt sich damit noch einmal ausführlich beschäftigt“, forderte der Beirat.

Allerdings zeigten sich wichtige Stadtpolitiker am Mittwochnachmittag noch skeptisch, etwa David Kolesnyk, SPD-Chef und Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses, der den eigentlich geltenden Kompromiss zur freiwilligen Rückzahlung bisher mitgetragen hat. Zum Zeitpunkt der Mediation sei das erste Urteil zur Geschwisterregelung bereits bekannt gewesen, sagte er auf Nachfrage. Doch gehe es auch bei dem neuen Urteil eben nur um die formale Auslegung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. In dieser Formulierungsfrage sei dann von den Richtern die für die Eltern günstigere Variante gewählt worden. Im Mediationsergebnis sei daher auch festgehalten, die vor Gericht nun erneut gekippte Regelung der Satzung sei „nicht zu beanstanden“ – es wurde an diesem Punkt laut Kolesnyk „eben von niemandem mehr verlangt, als es nach Kitagesetz zulässig ist“. Zentral sei für ihn, dass alle Eltern auf Basis des erzielten Mediationsergebnisses gleichbehandelt würden. Im Rathaus sagte Sprecher Jan Brunzlow zunächst, man prüfe das Urteil.

Allerdings ist in der Verwaltungsspitze eine Sorge groß: So könnte das Urteil neue Dynamik schaffen, weil möglicherweise mehr Eltern den offenbar auch sicheren und zugleich für die Unterlegenen teureren Klageweg wählen, zumal bisher niemand Anträge zur Rückzahlung stellen kann. Die entsprechenden Formulare sollen bis Mitte März zur Verfügung stehen, um im Juni mit der Auszahlung zu beginnen, sagte Stadtsprecher Brunzlow. Mit den Anträgen sollen die Eltern wie berichtet erklären, dass sie auf weitere Ansprüche verzichten. Das hieße in dieser Lesart zunächst: Wenn Eltern von der mutmaßlich profitableren Mediation den vollen Anteil wollen, können sie nicht extra noch den Klageweg zur Geschwisterregelung beschreiten. Oder sie müssen gegen alle Ungereimtheiten der früheren Beitragsordnung juristisch zu Felde ziehen. Das würde sich aber als Option erübrigen, würde die Stadt das Urteil mit in die Kompromisslösung einbeziehen und mehr an die Eltern auszahlen, wie nun geplant.

Auch der hohe Verwaltungsaufwand steigert die Kosten

Dass sich die gesamte Summe aber nun auf 45 Millionen Euro addiert, liegt nicht nur an dem neuen Urteil, sondern auch an dem hohen Verwaltungsaufwand.  Wie berichtet soll dafür noch vor der Kommunalwahl im Mai ein Nachtragshaushalt beschlossen werden, damit im Juni mit der Rückzahlung begonnen werden kann. Die neuen Extrakosten müssten die Stadtverordneten dann mit dem Haushalt absegnen. Das Kalkül im Rathaus: Vor der Kommunalwahl könnte jede Fraktion, die gegen die Rückzahlung ist, mit Stimmenverlusten rechnen. Offizielle Reaktionen aus der Stadtpolitik zu der Riesensumme sind bisher noch nicht bekannt.

In den 45 Millionen Euro stecken aber auch Forderungen, die noch wegen der misslichen Geschwisterformulierung auf die Stadt zukommen. So sagte Awo-Chefin Angela Schweers auf Anfrage, die durch das besagte erste Geschwisterurteil entstandenen Kosten für ihren Träger würden in die Betriebskostenabrechnung gegenüber der Stadt einbezogen. Schon 2016 hatte die Awo vor der Klage gegen die missverständliche Regel öffentlich gewarnt. Leidtragende der Entwicklungen seien laut Sportbund-Anwältin Krause jedenfalls die Kitaträger – die mit der derzeit wachsenden Zahl der Klagen von Eltern einen erheblichen Mehraufwand hätten.

Zur Startseite