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„Haaase mit langem A“. Die Aussprache trainiert Simone Kabst (2.v.l.) mit den Willkommensschülern ganz nebenbei.

© Andreas Klaer

Sprachtraining in einer Willkommensklasse in Potsdam: Der Mops hopst

In der Willkommensklasse der Da-Vinci-Gesamtschule gibt die Schauspielerin Simone Kabst den Flüchtlingskindern Sprachtraining. Ein Besuch.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - „Ottos Mops trotzt.“ Jian muss kichern. „Das ist ein komisches Gedicht“, findet die 18-Jährige. Trotzdem liest sie weiter – hochkonzentriert. „Otto: fort Mops, fort! Ottos Mops hopst fort. Otto: so so.“ Das Mädchen mit den langen dunklen Haaren, das vor einigen Monaten mit ihrer Familie aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, sitzt in einem Klassenraum der Da-Vinci-Gesamtschule in Potsdam-West. Die Tische sind beiseitegeräumt, nur Stühle für Jian und ihr Publikum stehen in dem Zimmer. Ihr Publikum, das sind sieben ihrer Mitschüler, Lehrerin Kerstin Richter – und Simone Kabst.

Schon seit Montag ist die 43-jährige Theater- und Fernsehschauspielerin jeden Vormittag bei Jian und den anderen „Willis“, also den Schülern der Willkommensklasse, die an einigen Potsdamer Schulen eigens für Flüchtlingskinder eingerichtet wurden. Noch bis Freitag übt sie mit ihnen Gedichte, kleine Bühnenszenen oder die Aussprache deutscher Worte. „Sprache (Er)Leben“ heißt der Workshop – und das viel bemühte „Erleben“ trifft es hier ausnahmsweise wirklich sehr gut.

Aus einer Aneinanderreihung von Worten wird nach und nach eine lustige Szene

„Denk’ dir ,Ottos Mops’ als eine Einheit, wie zum Beispiel ,Jians Tasche’“, sagt Kabst und formt mit ihren Händen einen Kreis. Und wie sieht ein Mops aus, der trotzt? Genau, die Augenbrauen nach unten, die Lippen nach vorn. Und wie könnte Autor Ernst Jandl das „so so“ gemeint haben? Jian probiert es, legt erst Verwunderung in ihre Stimme, dann auch Bewunderung für diesen Mops, der nun förmlich von ihrem Schoß zu hopsen scheint. „Und jetzt noch mal die ganze erste Strophe!“, sagt Kabst, und wirklich: Jetzt versteht der Zuhörer, was da zwischen Otto und dem Mops passiert – aus einer Aneinanderreihung von vielen Konsonanten und nur einem einzigen Vokal ist eine lustige Szene geworden.

Ein paar der „Willis“ kennen Simone Kabst schon, sie haben mit ihr im vergangenen Herbst „Nathan der Weise“ geprobt und aufgeführt. Dass sie nun zu einem intensiven Sprachtraining gekommen ist, ist einer privaten Spende zu verdanken, wie Lehrerin Richter erzählt. Eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung hatte sich zum 60. Geburtstag statt Geschenken Geld für ein solches Projekt gewünscht. Ein paar Hundert Euro kamen zusammen, sie wurden jetzt für den Workshop eingesetzt.

"Die Bereitschaft, sich einzubringen, ist riesig"

Mit Schülern gearbeitet hat Simone Kabst schon oft, mit Schauspielschülern, aber auch „mit ganz normalen pubertierenden Jugendlichen“, wie sie mit einem Augenzwinkern sagt. Kinder, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, unterrichtet sie hier zum ersten Mal. Das besondere an den „Willis“ sei ihre große Motivation. „Die Bereitschaft, sich einzubringen, ist riesig. Manche muss man sogar bremsen.“

Einer von denen, die es sichtlich genießen, vor den anderen zu performen, ist der 13-jährige Naser, Jians Bruder. Ihm hat Kabst Christian Morgensterns „Drei Hasen – Eine Groteske Ballade“ gegeben. Das Gelächter ist groß, als Naser mit den Händen hinter dem Kopf Hasenohren formt und die Vorderzähne zeigt. Und ganz nebenbei lernt er, dass man Hase „mit laaangem A“ ausspricht, und dass es „Löööwe“ und nicht „Lowa“ heißt.

Die Sprache mit dem Körperlichen verbinden – das ist Kabsts Konzept. Auch Lehrerin Richter weiß, dass die Jugendlichen am besten in Bewegung lernen. „Wenn wir Verben konjugieren, marschieren wir auch schon mal durchs Klassenzimmer“, erzählt sie. 19 Kinder sind zurzeit in ihrer Willkommensklasse, doch an dem Workshop nehmen nur die „Superwillis“ teil – also die, die schon am besten Deutsch können. „Die anderen genießen es in dieser Woche auch, mal aus dem Schatten der Fortgeschrittenen heraustreten zu können“, sagt sie. Und weil die „Babywillis“ so neugierig seien, was die anderen mit der Schauspielerin so treiben, planen sie für Freitag wahrscheinlich eine kleine Aufführung.

Loai kann den Text schon nach einem Tag auswendig

Auf die Klassenzimmerbühne könnte dann zum Beispiel die Szene kommen, die Kabst jetzt mit einem Teil der Gruppe übt. Drei Jugendliche treffen aufeinander, einer von ihnen jammert über den Sportunterricht. „Ich hasse einfach so Mannschaftssachen!“, ruft der 15-jährige Perwer, ein syrischer Kurde, seinem Klassenkameraden zu. Simone Kabst macht es noch einmal vor, schleudert den Satz nur so in den Raum. Perwer wiederholt, jetzt viel kraftvoller. Sein Gegenpart Loai kann seinen Text schon so sicher, dass er gar keinen Zettel mehr braucht.

Am Ende dieses Workshoptages ist der Syrer auch der erste, der die Hand hebt, als Simone Kabst den Schülern einen Vorschlag macht, der bei deutschen Mittelschülern wohl kaum auf Begeisterung stoßen würde: „Wer möchte, kann noch ein Gedicht mitnehmen und morgen vortragen.“ Nicht nur Loai stimmt zu, auch alle anderen wollen einen Zettel mitnehmen. Und morgen wieder einen Jandl oder Morgenstern üben. Freiwillig. 

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