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Sport in der DDR: Die Einzelkämpfer

Die Regisseurin Sandra Kaudelka und Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer sprachen über den DDR-Sport.

Es sollte ein Film über ihre Vergangenheit werden – „in einem Land, das es nicht mehr gibt“, wie Sandra Kaudelka es in ihrer Dokumentation selbst formuliert. In diesem Land – der DDR – war sie als Kind Wasserspringerin, ohne je die Liebe zu diesem Sport gefunden zu haben. Doch sie hatte wie so viele ihre Idole und schon damals den Wunsch, mit den erfolgreichen Sportlern des Landes zu reden. Sie habe sich immer gefragt, wie die Spitzenathleten ihre Leistungsgrenze überwinden konnten und wie sie das DDR-Sportsystem erlebt haben.

23 Lebensjahre und vier Jahre Recherche später präsentiert Kaudelka ihre Antworten. In der Dokumentation „Einzelkämpfer“ porträtiert die 36-Jährige mit der Turmspringerin Brita Baldus, der 400-Meter-Läuferin Marita Koch, Sprinterin Ines Geipel und der Potsdamer Kugelstoß-Legende Udo Beyer vier sportliche Größen der ehemaligen DDR.

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist ein Großteil der Geschichte des DDR-Sports auf Doping und Stasi-Filz reduziert worden. Und dieser Reflex funktionierte vortrefflich, als Kaudelkas Film vor einigen Monaten als Beitrag auf der diesjährigen Berlinale lief. Angeführt von der Boulevard-Presse pickten sich die Medien das vermeintliche Dopinggeständnis von Olympiasieger Udo Beyer heraus. Er wusste, dass er leistungsfördernde Mittel genommen habe und kann für sich ausschließen, dass ihm „heimlich etwas in den Tee gemischt wurde“, erklärt Beyer in dem Film.

Wirklich neu war das nicht, bereits kurz nach der Wende hatte Beyer in einem Interview Doping zugegeben. Dass seine Zitate aus dem „Einzelkämpfer“-Film mehr zu trächtigen Schlagzeilen führte als vor einigen Wochen die schmale und schnell beendete Debatte über Doping in der ehemaligen BRD, empfindet Beyer als Bestätigung seines Vorwurfs der Ungleichbehandlung. Er könne nur den Kopf schütteln, wenn noch immer so getan werde, als sei die BRD der einzige weiße Fleck auf der Doping-Weltkarte gewesen, sagte er am Dienstagabend im Babelsberger Thalia, wo der Film nach dem offiziellen Kinostart seine Potsdamer Premiere feierte. Dennoch fühle er sich nach der Veröffentlichung der Beweise über Doping im Westen bestätigt in seiner voller Überzeugung gemachten Aussage im Film-Interview, dass er 1976 in Montreal völlig zu Recht Olympiasieger geworden ist.

„Mich langweilt das Dopingthema inzwischen“, gestand Regisseurin Kaudelka am Dienstag. Zumal sie den einseitigen Umgang mehr und mehr als „verlogen“ betrachtet. Ohnehin sollte ihr Film mehr sein als eine weitere Doping-Geschichte des DDR-Sport. Er ist auch viel mehr geworden. Er zeichnet eindrucksvoll und emotional die Lebenswege der vier Protagonisten nach, die so unterschiedlich sind wie ihre Erfahrungen mit dem DDR-Sportsystem. Er dokumentiert Opfer, aber auch Gewinner des Systems – und lässt den Zuschauer sowohl die erlittene Tragik als auch das gewonnene Glück spüren und nachempfinden.

Da ist auf der einen Seite Udo Beyer, in dessen Familie der Sport zu Hause ist und der all sein Liebe zum Sport und seinen Bewegungsdrang in eine über sieben Kilogramm schwere Eisenkugel packt und diese so weit wuchtet wie kein anderer auf der Welt. Der bis heute dankbar ist für das was der Sport mit und aus ihm gemacht hat: einen Kämpfer.

Und auf der anderen Seite – der schattigen – Ines Geipel: die einstige Sprinterin aus Jena, die aus Langeweile an einer Sprachschule im tiefsten Thüringer Wald zu laufen begann, „weil irgendetwas in mir war, was ich nicht losgeworden bin. Ein Druck oder ein Knoten“, wie sie reflektiert. Jahre später beschreibt sie in dem Film ihre Rolle als Sportlerin, wie sie sie gefühlt hat – als „Verstörte, Suchende, Einsame“ und schließlich, was zum Filmtitel führte, als „Einzelkämpfer“.

Dass sie für die Ideologie und Politik des Staates benutzt und auch missbraucht worden, ist den Protagonisten bewusst. Doch während Beyer nur seinen Sport lebte und sich „blauäugig“ und gedankenlos zum Idol erheben ließ, blieb Geipel die ständig Fragende und Hinterfragende. Bis sie schließlich in Mexiko – ausgerechnet, wo DDR-Spitzensportler das Privileg des Reisens erfuhren – an die Grenzen des Systems stieß: Geipel verliebte sich in einen mexikanischen Geher und plante die Flucht aus der DDR während der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles.

Die Stasi beendete nicht nur Geipels Sportkarriere, sondern vernichtete auch einen Teil ihres Lebens danach: Während einer harmlosen Blinddarm-Operation wurde ihr einmal quer durch den Bauch geschnitten; Kinder zu bekommen, war unmöglich. Lange Zeit litt Geipel unter Koliken, eher 20 Jahre später bei einem medizinischem Eingriff dieser „strategische Operation“ der Stasi entdeckt wurde.

Für Regisseurin Kaudelka sei die Begegnung mit Udo Beyer während der Dreharbeiten eine wichtige Erfahrung gewesen. Durch seine einfache und unkomplizierte Art, wie er bis heute die Liebe zum Sport am Limit verkörpert, „hat mir eine ganz neue Sichtweisen geschenkt“, sagt sie. Doch auch Beyer, der den Film am Dienstag zum ersten Mal in ganzer Länge sah, gewann einen für ihn bis dahin unbekannten Blick auf die Geschichte. Geipels Schicksal war ihm nicht bekannt. „Das macht mich betroffen“, sagte Beyer.

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