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In immer mehr Familien hat die Pandemie nicht nur durch Homeoffice zu mehr Belastungen geführt.

© Julian Stratenschulte/dpa

Update

Sparen bei Hilfsangeboten: Finanzdeckel für Familienberatung

Nach Jahren steigender Zuschüsse begrenzt die Stadt nun die Kosten – Sozialträger halten das für falsch. Auch aus der Stadtpolitik kommt Kritik

Potsdam - Stress im Homeschooling, Lagerkoller, Überlastung, Zukunftsängste: Durch den Dauerlockdown in der Corona-Pandemie sind bekanntermaßen gerade Familien hart getroffen worden. Insofern ist auch der Beratungsbedarf gestiegen. Doch in dieser Lage hat die Stadt Potsdam nun die Arbeit von vier extern betriebenen Beratungsstellen für Familien finanziell gedeckelt – mit dem Verweis auf die angespannte Haushaltslage, aber auch auf frühere Zuschusssteigerung in dem Bereich. Das zeigen PNN-Recherchen.

Berater nehmen Belastungen in Pandemie wahr

Betroffen sind besonders Einrichtungen des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF). So erklärte EJF-Sprecherin Katrin Wilcken den PNN auf Anfrage, man nehme in den zwei Potsdamer Beratungsstellen die zunehmenden Belastungen der Familien in der Pandemiezeit deutlich wahr. „Zugleich werden nun aber in Potsdam – entgegen der Praxis der vergangenen Jahre – Hilfen nicht mehr finanziert, die über die mit der Stadt vereinbarten Stundenkontingente hinausgehen.“ 

Warteliste, auf der rund 60 Familien stehen

Man sei also in den Beratungsstellen gezwungen, die vereinbarten Stundenkontingente einzuhalten, „während der Bedarf steigt“. So sei man gefordert, nach der Dringlichkeit des Beratungsanliegens „sorgfältig zu priorisieren“. Das führe dazu, dass ein Großteil der Ressourcen „für akute Kinderschutz- und Krisensituationen“ eingesetzt werden muss, so dass man aktuell nun Wartelisten für rund 60 Familien mit Beratungsbedarf habe anlegen müssen. 

„Diese Situation ist weder mit unserem fachlichen Anspruch und unseren Arbeitsstandards noch mit der aktuell besonderen Druck- und Notsituation der Familien vereinbar“, sagte EJF-Sprecherin Wilcken. Man hoffe auf möglichst schnelle lösungsorientierte Gespräche. Das könnte beispielsweise eine, „durchaus auch befristete“, signifikante Erhöhung der Stundenkontingente der zwei Beratungsstellen sein. Diese befinden sich in der Behlert- und Lindenstraße.

Caritas-Beratung noch ohne Wartezeiten 

Doch noch nicht jeder Träger ist an seine Kapazitätsgrenzen gekommen. So erklärte ein Sprecher der katholischen Caritas, in dessen Beratungsstelle neben dem St.-Josefs-Krankenhaus gebe es zwar auch steigende Beratungszahlen, doch aktuell noch keine Warteliste. „Wir sind noch in der Lage, den Bedarfe, die an uns herangetragen werden, zu entsprechen.“ Insgesamt geht es laut Stadt um vier Beratungsstellen von drei Trägern.  Der dritte Träger, der Stibb e.V., äußerte sich auf PNN-Anfrage zunächst nicht – auch mit Verweis auf die aktuell hohe Arbeitsbelastung im Zuge der Pandemie.

Stadtsprecherin bestätigt „Zielkonflikt“

Die Stadtverwaltung bestätigte jedenfalls auf PNN-Anfrage die Deckelung bei diesen Leistungen. Sprecherin Juliane Güldner sagte, es gebe einen „grundsätzlichen Zielkonflikt“. Diese bestehe einmal in der Steuerung von Bedarfen in den Beratungsstellen, also wie viel Personal wann und wo benötigt wird. Zugleich benötige die Stadt eine verlässliche Haushaltsplanung und -durchführung. 

So habe das Jugendamt in dem Bereich schon in den vergangenen Jahren massiv nachgesteuert: Das Haushaltsvolumen stieg laut Rathaus von 2017 und 2018 mit je 530.000 Euro auf 660.000 Euro im Jahr 2019 und 780.000 Euro im vergangenen ersten Corona-Jahr. Auch bei den EJF-Stellen sei das Volumen auf zuletzt 473.000 Euro gestiegen – ein Plus von 104.000 Euro im Vergleich zu 2018. 

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Den Trägern wurde nach PNN-Informationen auch mitgeteilt, wegen der durch Corona verschlechterten Haushaltslage gebe es eben erhebliche Probleme nun überplanmäßige Aufwendungen zu decken. Zugleich hoffe man auf noch nicht näher konkretisierte Fördermittel des Bundes für Familien im Coronastress, so die Rathaushoffnung.

Für 2022 höheren Finanzbedarf angemeldet

Doch wie nun den akuten Streit lösen? Das Dezernat der Jugendbeigeordneten Noosha Aubel (parteilos) erklärte dazu, für die Haushaltsplanung ab 2022 habe man weiteren, also einen höheren Bedarf zur Deckung von Beratungsleistungen angemeldet. Ab einem bestimmten Leistungsumfang seien aber auch mehrere Dinge zu beachten, sagte Rathaussprecherin Güldner: Einmal gebe es ab einer bestimmten Auftragshöhe grundsätzliche Ausschreibungspflichten zu beachten, hieß es. 

Zugleich müsse man auch „bezüglich der konzeptionellen und qualitativen Ausrichtung und der notwendigen Personalkapazitäten“ in den Beratungsstellen mit den Trägern „die beste Lösung“ suchen, so Güldner. Mit so einer Deckelung arbeite die Stadtverwaltung derzeit auch zum Beispiel bei ambulanten Gruppenangeboten für Jugendliche.

Noosha Aubel, Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport.
Noosha Aubel, Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport.

© Ottmar Winter PNN

Die Sparmaßnahmen betreffen ausgerechnet den sensiblen Bereich Kinderschutz. So hatte das Jugendamt im vergangenen Corona-Jahr deutlich mehr Kindeswohlgefährdungen registriert, von fast einer Verdopplung der Fälle war die Rede, gerade in den Bereichen Vernachlässigung und seelische Gewalt. Für mehr Kinderschutz hatte die Stadt ein Maßnahmenpaket angekündigt. 

Unter anderem sei die Einführung einer Rufbereitschaft im Jugendamt samt einer Hotline Kinderschutz geplant, hieß es erst im April im Jugendhilfeausschuss. Von der Deckelung war damals allerdings nicht die Rede.

Kritik der Linken

Inzwischen gibt es erste Reaktionen aus der Stadtpolitik - von den Linken. "Die Beratungsstellen in der Landeshauptstadt müssen gerade jetzt in der Lage sein, hilfesuchende Familien bedarfsgerecht unterstützen zu können und zwar ohne Wartelisten und abstrakte Stundenkontingente. Dafür sind wir gemeinsam in der Pflicht“, sagte Linken-Fraktionschefin Sigrid Müller. Ihr Co-Chef Stefan Wollenberg ergänzte: "Die Folgekosten des Unterlassens rechtzeitiger Unterstützung sind immer um ein Vielfaches höher. Eine Deckelung der Mittel für die Familienberatungsstellen ist das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt." Auch von den Grünen kam Protest. Man dürfe Familien nicht im Stich lassen, sagte der Grünen-Mann im Jugendhilfeausschuss, Frank Otto: "Kinderschutz darf nicht in ein Sommerloch verschoben werden. Diese pflichtige Leistung verlangt ohne Rücksicht auf die Haushaltslage sofortiges Handeln."

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