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Auch Kleidung kann ein Symbol für Kinderarmut sein. In Potsdam gibt es nun neue Initiativen gegen das Phänomen.

© picture alliance / Christian Hag

Soziale Spaltung in Potsdam: Stadt und Arbeiterwohlfahrt wollen Armutskarrieren durchbrechen

Jedes siebte Potsdamer Kind lebt in finanziell engen Verhältnissen. Das Rathaus hat einen Plan gegen Kinderarmut fast fertig, die Arbeiterwohlfahrt hilft über ein Aktionsbüro in den Stadtteilen.

In Potsdam gibt es neue Initiativen gegen Kinderarmut. Die Stadtverwaltung hat den Entwurf für einen Maßnahmenplan gegen Kinderarmut vorbereitet – und der weitvernetzte Bezirksverband der Arbeiterwohlfahrt (Awo) erweitert die Aufgaben seines in diesem Jahr gegründeten Aktionsbüros Kindermut, das betroffenen Eltern und Kindern helfen soll.

Der Beschluss für den Plan ist schon fünf Jahre alt

Was im neuen Maßnahmenplan steht, ist zwar noch nicht bekannt – aber dass es ihn überhaupt geben wird, ist eine gute Nachricht. Rathaussprecher Jan Brunzlow bestätigte den PNN am Donnerstag, dass das Papier bis Ende des Jahres dem Stadtparlament vorgestellt werden soll – nach langer Wartezeit. Potsdams neu gewählter Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte als Sozialdezernent bereits im März 2017 angekündigt, dass Potsdam einen solchen Plan doch erarbeiten wird – was unter seiner Vorgängerin Elona Müller-Preinesberger (parteilos) ins Stocken geraten war. Beschlossen hatten die Stadtverordneten die Erarbeitung bereits 2013. Schubert hatte angekündigt, der Plan werde mit vielen Partnern erstellt.

Das Büro Kindermut

Dazu gehört auch das im August ins Leben gerufene Awo-Projekt gegen Kinderarmut, das mittlerweile unter dem positiver besetzten Namen Büro Kindermut auftritt. Büroleiterin Franziska Löffler erklärte auf PNN-Anfrage, dass man nun nach einer ersten Aufbauphase die Aufgabenpalette erweitere. Unter anderem ist geplant, Schulmaterial wie Füller, Ranzen oder Federmappen zu sammeln und kostenlos an Kinder aus finanzschwachen Familien abzugeben. Auch kostenfreie Schwimmkurse wolle man ermöglichen, sagte Löffler. „Gerade Kinder aus finanziell benachteiligten Familien können oftmals nicht schwimmen“, heißt es dazu im Konzept des Büros.

Mehr als 4500 Kinder unter 18 Jahren betroffen

Konkrete Zahlen zur Kinderarmut in Potsdam gibt es nicht – aber Richtwerte, die die Dimension erahnen lassen. So leben laut der Arbeitsagentur aktuell 4508 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren in Familien, die Hartz IV beziehen. Vor fünf Jahren betraf dies noch 4225 Kinder und Jugendliche – das waren damals knapp 17 Prozent aller Potsdamer Kinder. Etwa 1800 Kinder davon sind jünger als sechs Jahre, diese Zahl ist über die Jahre hinweg etwa gleich geblieben. Zum Vergleich: Es gibt aktuell mehr als 30 500 Kinder und Jugendliche in Potsdam. Der Anteil der Kinder aus ärmeren Familien liegt damit bei 15 Prozent, zwei Prozentpunkte weniger als noch vor fünf Jahren – und dennoch ist fast jedes siebte Kind betroffen.

Awo-Referentin Franziska Löffler
Awo-Referentin Franziska Löffler

© Andreas Klaer

Doch laut Löffler sind in solchen Statistiken zum Beispiel nicht jene Kinder verzeichnet, deren Eltern mehrere Jobs stemmen müssen, um über die Runden zu kommen. Die steigenden Mieten in Potsdam würden die Probleme verschärfen, bis in die Mittelschicht hinein. „Und es geht uns auch nicht nur um finanzielle, sondern auch um kulturelle und Bildungsarmut“, so Löffler. Deutschlandweit waren laut dem Statistischen Bundesamt im vergangenen Jahr 16 Prozent aller Mädchen und Jungen von Armut bedroht, in Ostdeutschland sind die Zahlen teils deutlich höher.

Eine Selbsthilfegruppe für Alleinerziehende

Gegen die Armut in Potsdam will die Awo auch kostenlose Stadtteilfrühstücktreffs für Familien starten, zum Beispiel an Orten wie dem Oskar-Begegnungszentrum in Drewitz oder der Awo-Kita Abenteuerland in der Waldstadt. Dort sollen sich Familien auch beraten lassen können, etwa zu Fördermöglichkeiten und den Anträgen dafür. Ferner ist eine Selbsthilfegruppe für alleinerziehende Mütter und Väter geplant, die es in Potsdam so noch nicht gibt. Es gehe auch darum, dass Menschen sich nicht allein gelassen fühlen, sie aus „ihrer Frustrationskette“ herausfinden, wie es Löffler beschreibt.

Es gibt schon viele Unterstützer

Für diese Arbeit habe man eine auf zunächst drei Jahre befristete Grundförderung der Aktion Mensch für Miet- und Personalkosten erhalten, so Löffler: „Dennoch suchen wir weitere Spender und Unterstützer – umso besser können wir helfen.“ Zu den Helfern gehört bereits der Chef der SPD-Fraktion im Stadtparlament, Pete Heuer. Es gehe ihm darum, Armut nicht nur zu mildern, sondern Kinder zu befähigen, sich auch selbst zu helfen, sagte er. Dafür wolle er sich auch politisch einsetzen. Nikolaikirchenkantor Björn O. Wiede will hingegen Kinder mit Orgelmusik vertraut machen, hieß es. Auch Sportvereine hätten Unterstützung angekündigt. Löffler sagte, man wolle sogenannte Armutskarrieren durchbrechen – also die Tatsache, dass finanzielle Not von Generation zu Generation vererbt wird. „Ohne Hilfe droht eine immer größere Spaltung der Gesellschaft.“ Mitte des Jahres hatte wie berichtet eine Studie für Aufsehen gesorgt, wonach die soziale Durchmischung in Potsdam abnimmt – sich also Sozialleistungsempfänger stark auf bestimmte Stadtviertel konzentrieren.

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