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Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) im Interview: „Kinder wollen nicht gleich, sondern gerecht leben“

3700 Kinder in Potsdam sind arm. Ein Fachtag soll sich mit den Ursachen der Kinderarmut beschäftigen - und laut Sozialdezernent Mike Schubert Lösungen erarbeiten.

Herr Schubert, wie groß ist die Kinderarmut in Potsdam?

Das kommt auch darauf an, wie man Kinderarmut definiert. Legen wir die Zahlen der Kinder zugrunde, deren Eltern Sozialleistungen beziehen, weil sie nicht ausreichend Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen, ist sie größer als manch einer vermutet. Es handelt sich um eine Gruppe von rund 3700 Kindern, das sind gut 12 Prozent der Unter-18-jährigen.

Das Problem ist schon lange bekannt. Bereits seit dem ersten aufrüttelnden Bericht aus dem Jahr 2004 über Kinderarmut verspricht die Politik wirksame Maßnahmen. Warum geht es nur so zäh voran?

Der Anspruch, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so viel verdienen, dass sie nicht mehr auf die Unterstützung des Staates angewiesen sind, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht allein für einzelne Akteure vor Ort. Es gibt viele gute Ansätze in der Stadt, auch durch Initiativen wie Kidskultür, die Arche oder die Spirellibande. Wir haben uns 2017 auf dem Weg gemacht, einen konkreten Maßnahmenplan mit allen Partnern zu erarbeiten um Kinderarmut zu bekämpfen. Er soll konkret und anrechenbar sein.

Der für heutige Fachkongress will die „Chancengerechtigkeit“ herstellen – wie?

Die Konferenz ist Teil der Erarbeitung des Maßnahmenplanes und wird an sich Chancengerechtigkeit nicht herstellen, das wird ein längerer Prozess. Wir haben 2017 in der Stadt mit einer Bestandsaufnahme begonnen, indem wir Praktiker und Jugendliche befragt haben. Auf dieser Grundlage werden wir auf dem Fachkongress mit unseren Kooperationspartnern überlegen, wie wir vorgehen. Dazu gibt es Beispiele aus anderen Städte, wie Braunschweig. Nach der Entwicklung des Maßnahmenplanes sollen die Stadtverordneten abstimmen. Dessen Abarbeitung durch die Verwaltung soll jeder nachvollziehen können.

Die Braunschweiger haben in ihren Leitlinien geschrieben: „Jede Bürgerin und jeder Bürger ist für die Kinder und Jugendlichen in Braunschweig mitverantwortlich. Alle Kinder brauchen neben den Eltern UnterstützerInnen, um sich optimal entwickeln zu können.“ Ein Vorbild für Potsdam?

Wir haben immer Kollegen aus der Praxis, aus Vereinen und Verbänden mit dazu genommen. Kinderarmut ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das kriegt man nur gesamtgesellschaftlich gelöst. Worum es mir dabei geht ist, dass wir auch wegkommen vom Begriff der Chancengleichheit: Es geht um die Frage der Gerechtigkeit. Kinder wollen nicht gleich, sondern gerecht leben. Wir wollen die unterschiedlichen Ausgangssituationen der Kinder so weit wie möglich minimieren – in allen Lebensbereichen.

Was ist geplant?

Ich möchte den Ergebnissen der Fachtagung nicht vorgreifen, aber einiges haben wir ja schon begonnen mit dem Aktionsplan Kinder- und Jugendfreundliche Kommune, als die wir schon von Unicef testiert worden sind. Gerechtigkeit heißt auch, Freizeitmöglichkeiten unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu haben. Ein einfaches Beispiel dafür ist, dass man Schulen und Sporthallen in den Ferien besser nutzbar machen kann, um Sport für alle zu ermöglichen. Wir haben Möglichkeiten im Bildungs- und Teilhabepaket, teilweise auch im Unterhaltsvorschussgesetz, das in Potsdam rund 1900 junge Menschen beanspruchen. Wir unterstützen auch die Kitas bei der Eingewöhnung von Flüchtlingskindern mit einem höheren Satz als andere Städte, mit etwa 240 Euro pro Monat. Wir haben beispielsweise 2017 in die Kitas 1,5 Millionen Euro zusätzlich reingegeben, um Bildungsarbeit zu verbessern. Wir haben städtische Angebote zur kostenlosen Frühstücksversorgung in den Schulen. Wir versuchen jetzt, daraus ein grundsätzliches Angebot in der Landeshauptstadt zu machen.

Können Sie das finanzieren?

Wir müssen es können. Aber genau hier ist konkret die Aufgabe: Maßnahmenplan aufstellen, Verbindlichkeit herstellen und dahinterschreiben, was es kostet, damit wir sicherstellen können, was wir in welchen Schritten umsetzen können. Das zu beziffern ist zum jetzigen Zeitpunkt aber noch schwer.

Braunschweig hat eine Koordinierungsstelle Kinderarmut, um die verschiedenen Behörden zu vernetzen.

Für den Aktionsplan Kinder- und Jugendfreundliche Kommune haben wir eine Koordinierungsstelle eingerichtet und werden schauen, wie wir die Chancengerechtigkeit darin zusammenfassen. Ab dem Sommer soll es eine fachbereichsübergreifende Koordinierung geben. Wir müssen in den Kommunen verinnerlichen, dass Chancengerechtigkeit kein Thema des Jugendamtes allein ist, sondern angefangen von den baulichen Fragen, von der Schule bis hin zum Gesundheitsbereich, alle Bereiche der Verwaltung durchdringt.

Haben Sie sich ein Ziel gesetzt?

Wenn ich eine Vision habe, dann ist es die: Dass Kinder von Eltern, die es nicht ganz so leicht haben, die Chance bekommen, einen anderen Weg zu gehen. Dass wir diesen Kindern Wege öffnen und uns kümmern. Dazu müssen wir auch den Eltern helfen. Aber das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das kann eine Kommune nicht allein schaffen.

Die Fragen stellte Stefanie Schuster

Mike Schubert (45) ist seit 2016 Beigeordneter für Soziales, Jugend, Gesundheit und Ordnung in Potsdam. In diesem Jahr geht er für die SPD ins Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters.

Stefanie Schuster

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