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Landeshauptstadt: Skate-Lines statt Sichtachsen

Potsdam hat eine lebendige Skateboard-Szene, trotz Kopfsteinpflaster und maroder Plätze

Mit Beginn des Frühlings werden nicht nur Fahrräder und Motorräder wieder aus dem Keller geholt, sondern auch die Skateboards: Sobald die Sonne scheint und die Temperaturen steigen, wird eifrig gerollt, egal ob auf dem Bassinplatz, im Lindenpark oder auf den anderen der ein Dutzend Skate-Plätze, die über die ganze Stadt verteilt sind (siehe Kasten).

In Potsdams größtem Skate-Park ist an diesem Tag noch nicht viel los: Der bedeckte Himmel und leichter Nieselregen haben nur wenige Skater in den Lindenpark gelockt. Drei Jugendliche rollen mit ihren Skateboards über den nassen Asphalt, fahren über Rampen, machen Tricks und kleine Sprünge. Es werden noch mehr, weiß Tinko Jäckel: „Hier sind fast jeden Tag bis zu 25 Leute, auch bei schlechtem Wetter.“ Der 47-jährige Sozialpädagoge ist seit 20 Jahren im Lindenpark für alles zuständig, was mit Skateboard- und BMX-Sport zu tun hat.

Skaten gehört in Potsdam seit langem zum Stadtbild: Seit Beginn der Neunziger Jahre habe es durchgehend eine stabile Szene von rund 50 Aktiven gegeben, immer mit einem kleinen Aufwärtstrend, so Jäckel. Auch Jugendliche aus Werder (Havel) und anderen umliegenden Orten kommen regelmäßig nach Potsdam, um hier zu skaten. „Die Szene in Potsdam ist klein, aber dafür fein“, findet Paul Schwarz. Der 16-jährige Potsdamer sitzt an einer Rampe im Lindenpark und macht gerade eine Pause. „Die meisten Leute sind mega nett, und Skater tun sich auch untereinander nichts.“ Er und ein paar andere sind heute hergekommen, weil der Lindenpark die einzige überdachte Rampe in Potsdam hat. „Normalerweise skaten wir im Buga-Park“, sagt der 16-jährige Nils Radloff. „Aber jetzt bei Regen kann man auf den Rampen da nicht mehr fahren.“

Der Lindenpark füllt sich, immer mehr Jugendliche rollen und springen über die zahlreichen Rampen und Relings. Auch Jäckel fährt ein bisschen, immerhin ist der Skatepark nicht zuletzt durch seine Initiative im Laufe der Jahre so groß geworden. Obwohl Jäckel erst seit 1998 selber skatet, hat ihn das Thema schon lange vorher fasziniert: Als Kind habe er in Ostberlin zum ersten Mal Skater gesehen, später während seines Studiums in Potsdam traf er sie vor allem am Alten Markt. „Da, wo jetzt das Stadtschloss steht, war damals ein alter Brunnen – da hat sich Anfang der Neunziger Jahre Potsdams erste Skater-Szene getroffen.“

Seitdem hat sich einiges getan: Was früher der Alte Markt war, ist heute die Aktionsfläche auf dem Bassin-Platz. Wenn es warm und trocken ist, wird die kleine Beton-Pyramide auf der Asphalt-Fläche gegenüber der Peter und Paul-Kirche regelmäßig von Dutzenden Jugendlichen in Beschlag genommen. Kurios, denn viele Skater schimpfen über den Bassin-Platz: „Es ist eigentlich ein schlechter Platz, es gibt kaum Rampen oder andere Elemente, mit denen man was machen kann“, sagt Paul Schwarz. Kein Wunder, sagt Jäckel: „Das war nie als reiner Skate-Park geplant, sondern in erster Linie als Veranstaltungsort. Aber es liegt halt sehr zentral und Skater wollen ungern erst ins Gewerbegebiet fahren.“

Es ist ohnehin normal, dass sich Skater am liebsten Orte suchen, die nicht für sie gedacht waren: Stichwort Street-Skaten. Gut zu sehen etwa an der Freifläche gegenüber dem Filmmuseum auf der anderen Seite der Breiten Straße: Der Boden ist gut zum Rollen und an den Metallrohren, die als Begrenzung für Autos gedacht sind, lassen sich hervorragend Tricks machen. „Architekten bauen etwas, was eigentlich gar nicht zum Skaten gedacht ist, sich aber ideal dafür eignet - auf so was fahren Skater besonders ab“, weiß Jäkel. Schließlich gehe es beim Skaten auch darum, die Umgebung zu erkunden und neue Orte oder sogenannte „Lines“ zu entdecken, also zum Beispiel Geländer oder Mauerkanten, an denen man mit dem Board „sliden“, sprich drüber rutschen kann. „Das ist natürlich spannender, als immer auf den 20 Jahre alten Skate-Plätze zu fahren“, sagt Jäckel.

Doch Street-Skaten führt immer wieder zu Konflikten: „In Bornstedt hat uns letztens jemand hinterher gerufen: ‚Verschwindet, ich will meine Ruhe haben!'“, sagt Nils Radloff. „Irgendeiner hat immer was dagegen“, so Jäckel. So sei es schon in den Neunzigern gewesen: Immer wieder wurden Skater von öffentlichen Plätzen verbannt. Generell sei Potsdam eine eher Skateboard-unfreundliche Stadt: „Mit seinem Anspruch, möglichst historisch zu wirken, hat Potsdam keine besonders guten Bedingungen, da die vielen Kopfsteinpflasterstraßen natürlich schlecht für Skater sind, aber auch für Rad- und Rollstuhlfahrer“, sagt Jäckel.

Jäckel sieht sich selbst als Aktivisten für den Rollsport und wünscht sich von der Stadt mehr Unterstützung bei der Verbesserung vieler maroder Plätze, die an den Bedürfnissen der Skater vorbei geplant wurden. Daran wird man auf Dauer nicht vorbeikommen, ist sich Jäckel sicher: „Spätestens ab 2020 werden die Diskussionen kommen, dann wird Skateboarden nämlich erstmals eine olympische Disziplin, so wie schon BMX und Snowboarden.“ Er fordere natürlich keinen Olympiastützpunkt Skateboard, aber zumindest die Anerkennung, dass es in Potsdam definitiv einen Bedarf an guten, modernen Skate-Plätzen gebe. „Skateboarden hat mittlerweile das Recht, nicht mehr ‚Trendsportart' genannt zu werden“, sagt Jäckel.

Alle, die sich fürs Skaten interessieren, sollten sich übrigens den 20. Mai im Kalender ankreuzen: Dann findet im Lindenpark nämlich der 20. „Summer Slam“-Skate-Contest statt.

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