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Zehn Jahre lang war der Theologe Simon Kuntze Pfarrer der Friedenskirche und Stadtkirchenpfarrer.

© Andreas Klaer

Simon Kuntze verlässt die Friedenskirche: Dauergast im Land der Bibel

Der Stadtkirchenpfarrer wird Nahostbeauftragter der Landeskirche und Geschäftsführer des Jerusalemvereins, der vier Schulen in den palästinensischen Gebieten fördert.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es sahen ihn nicht viele, wenn er morgens vor dem Gottesdienst in der Friedenskirche von Sanssouci einen halbstündigen Spaziergang durch den Marlygarten und die Umgebung unternahm: allein, schweigend, konzentriert und in sich gekehrt. „Ich habe mir den Gottesdienst dabei jedes Mal genau durch den Kopf gehen lassen, auch die Predigt. Das hatte immer etwas sehr Meditatives für mich“, sagte Stadtkirchenpfarrer Simon Kuntze den PNN.

Am Sonntag verabschiedet sich der promovierte Theologe nach zehn Jahren mit einem Gottesdienst von seiner Gemeinde. Ihm steht ein Karrieresprung bevor: Am 1. März tritt der 47-Jährige seinen Dienst als Nahostreferent des Missionswerks der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Landeskirche Anhalts an – ein Traumjob für einen Kirchenmann wie ihn, der arabische Literatur studiert hat, den Koran auf Arabisch lesen kann, und dem seine Kirche zutraut, sich auf dem politisch hochsensiblen Terrain der Krisenregion klug bewegen zu können. „Ich werde viel unterwegs und Dauergast im Land der Bibel sein“, sagt der Pfarrer.

„Wir wollen auf jeden Fall in Potsdam bleiben“

Kuntze ist gerade dabei, die neben der Kirche gelegene, 145 Quadratmeter große Dienstwohnung mit seiner Frau, den beiden erwachsenen Kindern und drei Katzen zu verlassen. Die Kuntzes haben in Potsdam ein neues Zuhause gefunden. Des Pfarrers künftiges Büro liegt in Berlin, seine Frau ist Leitende Oberärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Bergmann-Klinikum. „Wir wollen auf jeden Fall in Potsdam bleiben“, sagt Kuntze, „uns ist die Stadt sehr ans Herz gewachsen.“ Der Zeitpunkt des Neuanfangs ist auch für die Familie gut gewählt. Der 21-jährige Sohn studiert in Würzburg Mathematik, die 18 Jahre alte Tochter leistet ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer tschechischen Schule für Behinderte.

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Es ist erstaunlich, welchen Weg Simon Kuntzes Leben genommen hat. Seine Eltern – Vater Robert war Direktor der Berliner Landeszentralbank – erzogen ihre vier Kinder nicht besonders christlich, „nicht einmal zu Weihnachten gingen wir immer in die Kirche“. Geprägt hat ihn, dass er sich nach dem Abitur für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschied und für die Aktion Sühnezeichen nach Israel ging. 1995 bis 1997 war das: drei Monate Jerusalem, dann 15 Monate Dienst in einem Seniorenheim und einem jüdisch-arabischen Kindergarten in Haifa – in einer Zeit, in der sich in Israel die palästinensische Autonomiebewegung etablierte. Es wuchs sein großes Interesse am Glauben und am interreligiösen Dialog.

Kuntze engagierte sich für den Arbeitskreis Islam

Danach schrieb sich Kuntze an der Berliner Freien Universität für Theologie und arabische Literaturwissenschaften ein. Er wollte nun interreligiös arbeiten – dafür war der Pastorenberuf eine gute Plattform. Der Berliner war überrascht, als sein gerade in den Ruhestand getretener Vater Ähnliches tat: Der Banker nahm ein Religionsstudium an der Humboldt-Uni auf. Fortan tauschten sich Vater und Sohn über ihre Seminare aus. „Es war schön, meinen Vater auf diese Weise neu kennenzulernen“, sagt Kuntze, „wir hatten eine sehr enge Verbindung.“

Nach dem Vikariat in Reinickendorf arbeitete er bei der Landeskirche, engagierte sich für den Arbeitskreis Islam und beim Ökumenischen Gedenkzentrum Plötzensee. Dann wurde der Theologe Stadtkirchenpfarrer in Potsdam.

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Kuntze half mit, die Geschichte der Bekennenden Kirche während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Er freut sich, dass der couragierten Christin Anni von Gottberg an ihrem einstigen Wohnhaus an der Weinbergstraße 35, ehemals Augustastraße, nun mit einer Gedenkplakette gedacht wird. Daneben war er Mitglied im Interreligiösen Forum Potsdam und Vorsitzender der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen.

In Kuntzes Zeit fällt auch die große Spendenkampagne für die Sanierung der Friedenskirche, allein der Glockenturm, der Campanile, wird rund vier Millionen Euro verschlingen. Der Turm ist eingerüstet, bald ist Baubeginn.

In West-Berlin debattierte man über Politik - nicht viel über Glaubensfragen

Interessant war es für den Stadtkirchenpfarrer, die Unterschiede im Leben der Christen während der DDR-Zeit und in Westdeutschland zu erfahren. Etwa bei Jugendlichen: In West-Berlin erlebte er eine offene Jugendarbeit mit, man debattierte nicht viel über Glaubensfragen, sondern über Politik, und hörte im Gemeindekeller „Noteingang“ Punkmusik. 

In Potsdam sei der Protestantismus dagegen auch in der Jugend „klassisch christlich geprägt“. Die „Junge Gemeinde“ treffe sich regelmäßig, christliche Jugendliche aus Potsdam brächen regelmäßig zu Wallfahrten ins französische Taizé auf, wo ein internationaler ökumenischer Orden residiert und sich vor allem junge Gläubige austauschen können. Insgesamt sei die brandenburgische Jugend nach seiner Beobachtung bei Besuchen von Schulklassen zweigeteilt: „Manche haben ein großes Interesse an der Gemeindearbeit, andere halten die Kirche für einen merkwürdigen Verein, der irgendwelche magischen Theorien vertritt.“

Im vergangen Sommer kehrte die Figur des „Segnenden Christus“ zur Friedenskirche zurück.
Im vergangen Sommer kehrte die Figur des „Segnenden Christus“ zur Friedenskirche zurück.

© Sebastian Gabsch PNN

Freude hatte der Pfarrer auch an den Treffen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, zu denen sich Potsdamer Baptisten, Protestanten, Katholiken und Alt-Lutheraner alle zwei, drei Monate gesellen. Diskutiert wird etwa die Frage, ob Christus beim Abendmahl präsent sei. Kuntze erzählt: „Nicht körperlich, sagen die Reformierten, nur sein Geist. Die Lutheraner sagen: Man sieht ihn nicht, aber er ist präsent. Die Katholiken stellen sich vor, dass er durch die Wandlung der Substanz im Brot präsent sei. Ich selbst kann dieses Geheimnis nicht fassen.“ Und darüber unterhält man sich zwei Stunden lang? „Mir macht es Spaß, über Kontroversen des 16. Jahrhunderts zu streiten“, sagt Kuntze, „aber mittlerweile spielen zum Beispiel Fragen der Sexualität eine große Rolle, auch Fragen über das Verhältnis zwischen Politik und Religion. Da ist mehr Pfeffer drin.“

Mit seiner Tochter trainierte er Kung Fu

Bescheiden reflektiert Kuntze sein Leben. Ohne jede Koketterie sagt er, er habe „für vieles kein großes Talent“. Aber nie hielt ihn diese Erkenntnis ab, Neues zu versuchen: Als er in Potsdam anfing, wollte er die chinesische Bewegungskunst Tai Chi lernen. Das tat er, „aber es war nicht das Richtige für mich“. Näher kam er der chinesischen Kampfkunst Kung Fu, er trainierte mit seiner Tochter in einem Potsdamer Kung Fu-Zentrum. Er sei nicht besonders musikalisch, erzählt er, aber sein Vorhaben, Gitarre besser zu spielen, verwirklichte er. 

Er wollte sein Arabisch verbessern – und spricht nun in Zoom-Videokonferenzen mit einem Ägypter, der in der Hafenstadt Alexandria wohnt und einem syrischen Christen, der bei Hamburg lebt; beide fand er über eine Hamburger Volkshochschule. Dann das Ziel, noch zu promovieren. Zehn Jahre befasste er sich mit seinem Thema, der „Mündlichkeit der Schrift“. 2018 wurde er promoviert.

„Es wird nicht leicht, nicht in Fettnäpfchen zu treten“

Mit seinem neuen Amt verbunden ist die Geschäftsführung des 1853 gegründeten Jerusalemvereins, der die vier evangelischen Schulen in den palästinensischen Gebieten fördert und sich für einen gerechten Frieden im Nahen Osten einsetzt – für Kuntze angesichts der Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern eine heikle Aufgabe mehr. „Ich bin gespannt zu erfahren, wie die Palästinenser ihren christlichen Glauben angesichts des Drucks leben, unter dem sie stehen und der Gewalt, die sie erleben“, sagt Kuntze. Er weiß, dass der Jerusalemverein wegen seiner nahen Kontakte zu Palästinensern schon als antisemitisch gescholten wurde, er weiß auch, dass die streitenden Parteien in Nahost mit solchen Keulenschlägen schnell zur Hand sind. „Es wird nicht leicht, nicht in Fettnäpfchen zu treten“, sagt Kuntze.

Eine seiner Hauptaufgaben wird im Schulverwaltungsrat der deutschen Schule Talitha Kumi in Beit Jala nahe Bethlehem liegen, die vom Berliner Missionswerk der Landeskirche Berlin-Brandenburg getragen wird. Fast 900 Schülerinnen und Schüler können dort, in den besetzten Gebieten, von der Kita bis zum deutschen und arabischen Abitur gemeinsam lernen. Rund 65 Prozent sind muslimisch, 35 Prozent christlich.

Die Bibel wird zu seinem Reisegepäck gehören. Noch immer liest er sie täglich. Ist er nach so vielen Jahren nicht endlich mal durch mit der Lektüre? „Nein“, sagt Kuntze lächelnd, „sie ist für mich ein Buch, mit dem ich lebe. Ich lese gerade jeden Morgen eine Viertelstunde die Psalmen, auf Hebräisch und auf Deutsch. Was für eine tolle Poesie!“

Gottesdienst am 13. Februar, 14 Uhr, Friedenskirche, Anmeldung per E-Mail an anmeldung.frieden@evkirchepotsdam.de

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