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Weltraumpionier Sigmund Jähn: Vom All auf den Telegrafenberg

Sigmund Jähn war der erste Deutsche im Weltall. Seine Mission hat den Raumfahrtpionier, der jetzt im Alter von 82 Jahren gestorben ist, auch mehrfach nach Potsdam geführt. Eine Spurensuche auf dem Telegrafenberg.

Hinweis: Der Text ist zuerst am 11. Februar 2017 in den PNN erschienen. Aus Anlass des Todes von Sigmund Jähn am 21. September 2019 veröffentlichen wir ihn erneut.

Potsdam - Wer sind diese beiden Männer? Seite an Seite blicken sie heroisch in die Ferne. Wer genau hinschaut, wird über den Schultern geöffnete Ringe bemerken – ein Hinweis auf Raumfahrer-Anzüge. „Gemeinsam auf der Erde und im All“ ist auf dem Sockel der Doppelbüste zu lesen. Fast jeder, der auf dem Telegrafenberg zum Einsteinturm will, kommt an der Skulptur vorbei. Sie steht auf einer hügeligen Lichtung vor dem Helmert-Turm. Der Text auf der unweit davon montierten Informationstafel hilft nicht wirklich weiter. Er beleuchtet die Geschichte des Helmert-Turmes und der Landvermessung. Ohne deren Erkenntnisse, heißt es abschließend, „wäre auch die Raumfahrt heute unmöglich“. Und: „Daran soll die Stele mit den Kosmonauten Jähn und Bykowski erinnern.“

Spätestens bei diesen Namen hätte früher jeder Potsdamer Bescheid gewusst. Sigmund Jähn war der erste Deutsche im All – und „ein Bürger unseres Landes, der DDR“, wie die Brandenburgischen Neuesten Nachrichten, der Vorgänger der PNN, am 27. August 1978 stolz titelten.

Sigmund Jähn mit Fotos von der Aufstellung der Doppelbüste für ihn und Bykowski in Potsdam im Jahr 1988.
Sigmund Jähn mit Fotos von der Aufstellung der Doppelbüste für ihn und Bykowski in Potsdam im Jahr 1988.

© L. Hannemann

Es war der Tag nach dem Start des sowjetischen Raumschiffes Sojus 31, das Jähn gemeinsam mit dem Sowjet-Kosmonauten Waleri Bykowski in die Erdumlaufbahn und zur Raumstation Salut 6 bringen sollte. Dass ein wichtiger Teil der Vorbereitungen für den Flug auf dem Potsdamer Telegrafenberg stattfand und Jähn am dortigen Zentralinstitut für Physik der Erde, dem Vorgänger des Geoforschungszentrums, später seine Doktorarbeit vorlegen sollte, wissen nur noch wenige.

Streng geheim: Hannemann durfte nicht einmal seiner Frau  von der Mission erzählen

Lutz Hannemann ist einer davon. Der 71-Jährige war seinerzeit Fotograf am Zentralinstitut, hatte sein Labor im Souterrain des Hauses 17, einem der altehrwürdigen Backsteinbauten im Wissenschaftspark auf dem Telegrafenberg – oder „dem Berg“, wie Hannemann schlicht sagt. Er sollte damals vor dem Abflug die fotografischen Aufgaben im All vorbereiten.

Die Mission war geheim, erinnert sich der Potsdamer Fotograf. Nicht einmal seiner Frau durfte er davon erzählen. „Hannemann, Sie müssen sofort mitkommen.“ So oder so ähnlich habe ihn Karl-Heinz Marek, der Leiter des Bereiches Fernerkundung am Zentralinstitut, zu dem Projekt geholt. Jähn selbst sollte er erst nach seiner Rückkehr auf die Erde persönlich kennenlernen.

Die Kameras wurden geschüttelt, um einen Raketenstart zu simulieren

Vor dem Flug sei es auf dem Telegrafenberg unter anderem darum gegangen, die geeigneten Kameras auszusuchen – und diese dann entsprechend vorzubereiten, erzählt Lutz Hannemann. „Wir mussten zum Beispiel das Leder runterreißen – Brandschutz!“, erklärt er. Auch einen speziellen Test auf einem Rütteltisch führte Hannemann mit Viktor Kroitzsch, dem damaligen Chef der Fotoabteilung, durch: „Die Kameras wurden geschüttelt, um eine Simulation vom Raketenstart hinzukriegen.“

Mit an Bord kam schließlich eine neue Multispektralkamera: Die MKF 6 aus dem Hause Carl Zeiss, eine Kamera, die mit sechs verschiedenen Objektiven und Spezialfiltern sechs Aufnahmen gleichzeitig machte. Aber auch die Pentacon Six und die Kleinbildkamera Praktica EE-2. „Biosphäre“ und „Reporter“ waren die Namen von zwei Experimenten an Bord, die in Potsdam vorbereitet und ausgewertet wurden. Es ging dabei unter anderem darum, inwiefern sich die Kamera- und Filmtechnik für Aufnahmen aus dem All überhaupt eignete.

Ein Festessen für Jähn im Muschelsaal des Neuen Palais

14 belichtete Filme brachte Jähn nach seinem siebentägigen Flug zurück auf den Telegrafenberg. Bevor Lutz Hannemann sie sichten und geeignete Bilder für die Dokumentation und Veröffentlichungen auswählen konnte, gingen die Negative durch die sogenannte Luftbildfreigabestelle. „Die Stellen, die zum Beispiel Militärobjekte zeigen, wurden auf den Negativen weggeschabt“, erklärt er. Für Hannemann war es kein außergewöhnlicher Auftrag, wie er sich erinnert. Er hatte vorher schon mit Satellitenbildern aus dem All zu tun gehabt.

Einen bleibenden Eindruck hinterließ aber die Begegnung mit dem Kosmonauten selbst, aus der eine Freundschaft entstehen sollte. Jähn habe von Anfang an einen sympathischen Eindruck gemacht, erzählt Hannemann. Trotz des Oberstleutnant-Dienstgrads sei er „nicht abgehoben“ gewesen, sachlich und freundlich im Umgang. Die freundschaftlichen Verbindungen zwischen dem Potsdamer Fotografen und dem Weltraumpionier aus Morgenröthe-Rautenkranz im sächsischen Vogtland währen bis heute.

Der Weltraumflug hatte auch in Potsdam noch mehrere Nachspiele. Das mit Abstand größte am 26. September 1978, nur einige Wochen nach der Rückkehr: An diesem Tag wurden Jähn und Bykowski bei einem Festessen im Muschelsaal des Neuen Palais gefeiert – und vorher durch die Stadt gefahren, im Park Sanssouci sogar ganz traditionell in der Kutsche. „Die Straßen waren voll“, erzählt Lutz Hannemann. Auch auf dem Telegrafenberg herrschte Ausnahmezustand, Hannemann erinnert sich an ein ganzes Heer plötzlich aufgetauchter „Hausmeister“, die – offenbar zur Sicherheit – auf den Dächern Obacht hielten. Die Kosmonauten, wie man im Sozialismus die Astronauten nannte, enthüllten damals eine Gedenktafel für Albert Einstein – sie hängt heute am Michelsonhaus, in dem das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) seinen Sitz hat. In der Innenstadt jubelten die Potsdamer zu Zehntausenden den Raumfahrern zu, wie später auf der BNN-Titelseite zu lesen war: „Potsdam bereitete Kosmoshelden ein überaus herzliches Willkommen.“

Titelseite der BNN vom 27. August 1978.
Titelseite der BNN vom 27. August 1978.

© Jana Haase

Vergleichsweise klein war dagegen der Kreis, der 1983 die Promotion von Jähn auf dem Telegrafenberg feierte. Jähn war regelmäßig für Fachvorträge am Institut und hatte schließlich gemeinsam mit Fernerkundungschef Karl-Heinz Marek eine etwa 500-seitige Arbeit vorgelegt. Sie dreht sich unter anderem um die Frage, wie die DDR die Fernerkundung aus dem All aufbauen könnte, aber auch um technische Details zum Einsatz der Kameratechnik, sagt Sibylle Itzerott, die heute am Geoforschungszentrum Departmentsreferentin in der Abteilung Fernerkundung ist. „Dieses Wissenschaftsfeld steckte damals noch in den Babyschuhen“, sagt sie. Rund 40 Mitarbeiter sind heute im Bereich Fernerkundung am Geoforschungszentrum beschäftigt. Sie werten Satellitendaten aus – und können daraus etwa Rückschlüsse auf Vegetation oder geologische Strukturen ziehen. Von den Erkenntnissen können zum Beispiel die Landwirtschaft, der Bergbau oder die Regionalplanung profitieren.

Jähn promovierte nach seiner Weltraumreise in Potsdam

Der Ausflug ins All ist für die Forschung auf dem Telegrafenberg mehr als nur eine Episode, sagt der Wissenschaftshistoriker Johannes Leicht. Anlässlich des 25. Jubiläums des Geoforschungszentrums bereitet er momentan eine Ausstellung zur Geschichte des Standortes vor, die im März im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) eröffnen soll. „Von der Vermessung unserer Welt“ heißt die Schau. Und bei der Vermessung, wie sie Friedrich Robert Helmert als einer der Pioniere auf dem Telegrafenberg am damaligen Geodätischen Institut mit entwickelte, ist Satellitentechnik, sind Aufnahmen aus dem All, heute nicht mehr wegzudenken. „Das hat der Geodäsie einen ganz neuen Schwung und immer neue Präzision gegeben“, sagt Leicht: „Und bei dieser Entwicklung nimmt die Raumfahrt mit Sigmund Jähn als erstem Deutschen im All eine wichtige Stelle ein.“ In der Ausstellung wird der Doktorhut von Jähn in Form eines Kosmonautenhelmes zu sehen sein.

BNN vom 27. September 1978.
BNN vom 27. September 1978.

© Jana Haase

Jähn war auch zum zehnjährigen Jubiläum seines Weltraumfluges wieder auf dem Telegrafenberg – mit Bykowski. Damals, im Oktober 1988, wurde die eingangs erwähnte Doppelbüste enthüllt. Und wieder hatte Lutz Hannemann seine Hände mit im Spiel. Von ihm stammen nicht nur die Porträtfotos, nach denen die Köpfe modelliert wurden – Jähn vom Bildhauer Horst Misch aus Caputh, Bykowski vom ukrainischen Künstler Misko. Hannemann suchte auch den passenden Standort aus, weil er als langjähriger Fotograf vor Ort das Gelände am besten kannte. Die Ehrung mit einer Skulptur – noch zu Lebzeiten – sei Jähn damals fast ein bisschen peinlich gewesen, erinnert sich Hannemann.

„Er ist einfach ein sympathischer Kerl“

Dabei war der bescheidene Weltraumpionier noch lange ein gefragter Mann, wurde weltweit zu Gastreisen eingeladen. Nach der Wende wurde er Berater des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA. Die teils skurrilen Geschenke, die er im Laufe der Jahrzehnte erhielt, füllen in seinem Haus in Strausberg mittlerweile ein Zimmer – Vasen mit seinem Konterfei, Raumschiff-Modelle oder Matrjoschkas. Wenn Lutz Hannemann Jähn besucht, dann können die beiden Männer dort gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. „Er ist einfach ein sympathischer Kerl“, sagt Hannemann.

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