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Landeshauptstadt: „Sie hat mich gefunden“ Ein Verein hilft Fälle von Zwangsadoption unter dem SED-Regime aufzuklären – auch in Potsdam

Die Geschichte wühlt den Mann auf: Nach zunächst kinderloser Ehe strebten er und seine Frau seit 1962 eine Adoption an. Dafür musste das Potsdamer Paar betriebliche Beurteilungen und polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen, auch die Nachbarn wurden befragt.

Die Geschichte wühlt den Mann auf: Nach zunächst kinderloser Ehe strebten er und seine Frau seit 1962 eine Adoption an. Dafür musste das Potsdamer Paar betriebliche Beurteilungen und polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen, auch die Nachbarn wurden befragt. Da der in einem Großbetrieb tätige Arbeiter und die Kindergärtnerin nicht der SED angehörten, standen ihre Chancen zunächst schlecht. Dann, im Jahr 1970, bestellte der Kaderleiter des Betriebes das Ehepaar ins Krankenhaus, wo ihnen ein vernachlässigter und wund gelegener dreimonatiger Säugling vorgestellt wurde, den man offensichtlich der Mutter entzogen hatte. Nachdem das Mädchen in der Kinderklinik aufgepäppelt worden war, übernahm das Ehepaar die Pflege und durfte das Kind nach einer Probezeit adoptieren. Inzwischen ist das Kind selbst Mutter und 40 Jahre alt.

Voller Emotionen erzählte ihr Adoptiv-Vater diese Geschichte – auf der Veranstaltung „Zwangsadoptionen in der DDR“. Dazu hatte am Mittwochabend die Potsdamer Stadtbibliothek auch Katrin Behr eingeladen. Die Thüringerin hat 2007 den Verein „OvZ-DDR“ gegründet – Opfer von Zwangsadoptionen. Katrin Behr ist so ein Opfer. Im Beisein der damals Fünfjährigen war ihre Mutter, die keiner Arbeit nachging und Fluchtgedanken geäußert hatte, 1972 verhaftet und für „asoziales Verhalten“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Dabei wurde sie – so durch mehrfachen dreiwöchigen Einzelarrest – unter Druck gesetzt, ihre Kinder zur Adoption freizugeben. Als sie dies verweigerte, wurde die Zwangsadoption angeordnet. Sie sei nicht in der Lage, ihre Kinder „im sozialistischem Sinne zu erziehen“, hieß es zur Begründung. Auch versuchte Republikflucht, „staatsfeindliche Hetze“ und Ausreiseanträge wurden unterstellt.

Katrin Behr durchlief drei Pflegefamilien, ehe sie von der letzten adoptiert wurde. Der Adoptiv-Vater war Industriemeister, die Mutter Russischlehrerin und SED-Parteisekretärin an einer Oberschule. Sie sei ordentlich erzogen und ausgebildet worden, betont die heutige Krankenschwester. Keineswegs ginge es dem „OvZ“-Verein darum, 20 Jahre nach der politischen Wende eine Hexenjagd auf die Adoptiveltern zu eröffnen, unter denen Volkspolizei- und Stasioffiziere als Väter und Lehrerinnen als Mütter überproportional vertreten seien. Vielmehr strebe man die Aufklärung persönlicher Schicksale an.

Behr ist dies bereits gelungen. Nach 1989 machte sie sich auf die Suche und fand nach 19 Jahren Trennung ihre leibliche Mutter wieder, die körperlich stark verfallen in einem Dorf wohnt. „Seht Ihr“, sagte sie zu ihren Mitbewohnern, „meine Katrin hat mich wieder gefunden.“ Der leibliche Vater dagegen lehnte jeglichen Kontakt ab. Ihr Bruder, der Jahre im Heim leben musste, ist depressiv und wenig ansprechbar.

Auch solche Einzelschicksale würden deutlich machen, dass die von ihrem Verein betriebene Aufklärung der Zwangsadoptionen unumgänglich sei, sagte Katrin Behr. Inzwischen seien 197 Fälle eindeutig erwiesen, 254 noch offen. Auf der Internetseite des Vereins gibt es zurzeit 651 Suchanzeigen. In 105 Fällen konnten die leiblichen Eltern oder die Kinder bereits aufgefunden werden. „Darunter befanden sich auch zwei Kinder, die von den DDR-Behörden als tot gemeldet wurden“, so Behr. Eine Anerkennung als Opfer des DDR-Regimes und damit eine Entschädigung gibt es bisher nur wegen Heimeinweisungen, für Zwangsadoptierte nicht. Katrin Behr riet, dass an der Aufklärung ihrer Herkunft interessierte Zwangsadoptierte die Hilfe des Vereins in Anspruch nehmen – gerade bei Fragen der Akteneinsicht. Erhart Hohenstein

Im Internet:

www.zwangsadoptierte-kinder.de

Erhart Hohenstein

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