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Vorbild Bremen. Die Hansestadt hat 2017 eine Kampagne gegen sexistische Werbung gestartet. Dort gibt es seit rund einem Jahr auch eine Meldestelle für Beschwerden.

© Carmen Jaspersen/dpa

Sexismusdebatte in Potsdam: Gegen öffentlichen Sexismus

Werbung transportiert Werte und Verhaltensweisen – und prägt damit gesellschaftliche Rollenbilder. Deswegen wollen Potsdams weibliche Stadtverordnete gegen sexistische Werbung vorgehen. Erste Vorbilder gibt es bereits.

Potsdam - Sexistische Klischees und sexistische Bilder auf Werbeplakaten sollen in Potsdam der Vergangenheit angehören. Die weiblichen Stadtverordneten machen jetzt dagegen mobil. Mit einem fraktionsübergreifenden Antrag von 19 Kommunalpolitikerinnen aus fast allen Fraktionen – nur die AfD ist nicht dabei, ebenso die nur aus Männern bestehende CDU-Fraktion – soll Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) beauftragt werden, bis September ein Konzept gegen sexistische und diskriminierende Werbung zu erarbeiten.

Es gehe darum, herabwürdigende Werbung auf öffentlichen Flächen der Landeshauptstadt Potsdam künftig zu vermeiden. Zudem soll im Rathaus eine Kontaktstelle eingerichtet werden, die Beschwerden über sexistische Werbung entgegennimmt, wie es in dem Antrag heißt, den neben der Grünen-Politikerin Ingeborg Naundorf auch die alternative Fraktion Die Andere initiiert hat. Am 6. Juni steht er im Stadtparlament zur Abstimmung.

Menschen nicht auf Sexualität reduzieren

Sexismus bedeutet die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder Geschlechtszuweisung, heißt es in der Begründung zum Antrag. Das umfasse Vorurteile und Verhaltensweisen, die Frauen und Menschen im Allgemeinen „abwerten, verächtlich machen oder auf ihre bloße Sexualität reduzieren“. Werbung transportiere Werte und Verhaltensweisen – und präge damit gesellschaftliche Rollenbilder. Daher habe der Vorstoß auch nichts „mit Lustfeindlichkeit, Prüderie oder Humorlosigkeit zu tun und ist auch keine bloße ,Geschmacksfrage’“. Es gehe vielmehr darum, Rollenzuschreibungen zu überwinden und öffentliche Herabwürdigungen nicht zu tolerieren. Wer sich über eine sexistische oder diskriminierende Werbung auf einer öffentlichen Fläche ärgere, solle auch in Potsdam eine Kontaktmöglichkeit für eine Beschwerde erhalten, damit die Stadtverwaltung dem nachgehen könne.

Dabei soll sich das Rathaus an den Grundsätzen des Deutschen Werberates orientieren, empfehlen die Antragstellerinnen. Dieser hat als freiwillige Schiedsstelle der Werbewirtschaft Regeln aufgestellt, wonach Werbung zwar den grundrechtlichen Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung genieße. „Diese Freiheit kann jedoch nicht schrankenlos sein.“ So gelten laut dem Rat die Prinzipien des Schutzes der Menschenwürde und der Nicht-Diskriminierung sowie des Kinder- und Jugendschutzes. Unter anderem soll Werbung Menschen nicht auf ihre Sexualität reduzieren. Auch dürfe eine Werbung nicht den Eindruck erwecken, Männer oder Frauen seien käuflich zu erwerben. Als Beispiel wird im Internetauftritt des Werberates das Plakat eines Immobilienunternehmens aufgeführt, auf dem ein Dirndl-Dekolleté zu sehen ist, dazu der Text: „Noch schönere Aussicht gefällig? Schöne Balkone finden Sie bei uns.“

Meldestelle eingerichtet

Vorbild für den Potsdamer Vorstoß könnte der Beschluss des Bremer Senats zu diesem Thema sein, so die Antragsteller. Dort gibt es laut örtlichen Medienberichten seit rund einem Jahr eine Meldestelle, bei der Bürger ihre Kritik loswerden können. Dies sei bis April mehr als 30 Mal genutzt worden. Allerdings kann die Stelle, die sich an den Vorgaben des Werberates orientiert, nicht gegen Motive auf Privatflächen vorgehen. Erst in der vergangenen Woche hatte der Stadtrat in Leipzig ein ähnliches Verbot auf Grundlage der Vorgaben vom Werberat beschlossen.

Auch im benachbarten Berlin läuft die Debatte. Anfang 2014 untersagte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg sexistische Werbung auf 28 vermieteten Reklameflächen. Weitere Bezirke haben nachgezogen, zuletzt im März Berlin-Mitte. Dort wird bei Bürgerbeschwerden eine Jury einberufen, die die Werbung überprüft.

321 Beschwerden gegen Werbung

Den Deutschen Werberat haben 2017 vor allem Beschwerden zu Geschlechterdiskriminierung und Sexismus beschäftigt. Deutschlandweit gingen 1389 Beschwerden zu 787 Fällen ein, hatte die Organisation im März mitgeteilt. Das war ein Plus von zwölf Prozent im Vergleich zu 2016. Mit einem Plus von 18 Prozent überdurchschnittlich zugenommen haben Beschwerden über geschlechterdiskriminierende Werbung, hier gab es 321 Fälle. In rund einem Drittel der Fälle schloss sich der Werberat der Kritik an. Einen besonders deutlichen Zuwachs von 27 auf 73 Beschwerdefälle gab es bei der Kritik an der stereotypen Darstellung von Frauen. Ein Grund für diesen Trend ist nach Einschätzung des Werberats sei nicht zuletzt die intensive gesellschaftliche Debatte über Sexismus und Geschlechterrollen in Deutschland – die nun auch im Potsdamer Stadtparlament geführt wird. Neben den 19 Antragstellerinnen sitzen dort 37 Männer und eine AfD-Abgeordnete, die nun überzeugt werden sollen. (mit TSP)

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