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Im Winter an den Rohren der Fernwärmeleitung, im Sommer unter der Brücke: Heiko Mahler hat viele Jahre imFreien geschlafen, bevor er im Obdachlosenwohnheim unterkam.

© Andreas Klaer

Serie "Potsdam Schenkt": Nach 20 Jahren die erste eigene Wohnung

Fast zwei Jahrzehnte war Heiko Mahler ohne Obdach, jetzt lebt der Potsdamer wieder in einer eigenen Wohnung. Die ist allerdings noch recht leer. Er hat einen großen Wunsch.

Geben bringt Segen: Zur Weihnachtszeit den Nächsten helfen - das wollen wir, die Potsdamer Neuesten Nachrichten, gemeinsam mit Ihnen, unseren Lesern. Wir stellen ihnen an dieser Stelle Menschen vor, die es nicht leicht haben im Leben - sei es, weil sie aus problematischen Familienverhältnissen kommen, weil sie krank sind oder weil sie aus ihrer Heimat fliehen mussten, um Krieg und Gewalt zu entkommen. Wir haben diese Menschen getroffen und sie gefragt, was ihnen eine Freude machen würde - und bitten Sie, liebe Leser, um Mithilfe bei der Erfüllung dieser Weihnachtswünsche.

Seit 20 Jahren wieder ein Zuhause

Es sieht noch karg aus im Wohnzimmer: Die Wände sind weiß. Ein Sofa, zwei Sessel, einen Tisch und ein kleines Schränkchen hat er sich besorgt. Der Fernseher, geliehen von einem Kumpel, steht auf einem mit Stoffbahnen behangenen Tapeziertisch. Der Blick aus dem Fenster im achten Stock reicht weit: über die Plattenbauten am Stern bis in die Parforceheide. Seit Oktober wohnt Heiko Mahler in der Zweieinhalbzimmerwohnung. Es ist das erste Mal seit fast 20 Jahren, dass der 48-Jährige ein richtiges Zuhause hat.

Für ihn ist das noch ein ungewohntes Gefühl. „Langweilig ist’s, so alleine“, sagt Mahler. Da, wo er vorher gewohnt hat, im Obdachlosenheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO) am Lerchensteig, habe er immer jemandem zum reden gehabt, erzählt er: „Ich brauchte nur die Tür aufmachen.“ Viereinhalb Jahre lebte er im Heim. Und davor noch viel länger auf der Straße. 15 Jahre könnten es gewesen sein, ganz sicher ist sich Mahler mit den Daten nicht. „Ich hatte Mietschulden, konnte nicht zahlen“, sagt der gebürtige Potsdamer. Damals habe er am Schlaatz gelebt. Um die Jahrtausendwende kam die Kündigung.

Malern, mauern, tapezieren

Die Schwierigkeiten begannen für Mahler nach dem Mauerfall. In den 1980er Jahren hatte er eine Ausbildung zum Montageschlosser gemacht und abgeschlossen. „W50, L60“, sagt er – zwei Lkw-Typen, die damals für den Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) in Ludwigsfelde gebaut wurden. 1990 stieg Mercedes ein. Er hätte umschulen können, erzählt Heiko Mahler. Aber das hätte mehrere Jahre gedauert: „Das wollte ich nicht.“

Fortan hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, vermittelt über Zeitarbeitsfirmen: Er malerte, mauerte, tapezierte, war in der Reinigung tätig oder auf dem Friedhof. „Das ging immer bloß ein paar Monate“, sagt Mahler. Mal heißt es, er könnte übernommen werden – aber dann wird doch nichts daraus.

Schlafplatz an den Rohren

Dann kam die Obdachlosigkeit. Wie lebt man fast 15 Jahre in Potsdam ohne Wohnung? „Man nimmt sich ’nen Rucksack und schläft an den Rohren“, sagt Mahler und nickt mit dem Kopf in Richtung der Fernwärmeleitungen. „Und wenn es warm ist, schläft man unter der Brücke.“

Rucksack, Decke, ein einfaches Handy – das war lange Zeit alles, was Heiko Mahler besaß. Mit den Jobs habe er auch in den Jahren auf der Straße weitergemacht. „Und wenn ich mehr Geld gebraucht habe, habe ich eben geschnorrt.“ Zum Duschen, Essen und Wäsche waschen habe er zu seiner Mutter gehen können, die in Potsdam lebt. Ein Kumpel habe ihm schließlich das Obdachlosenheim empfohlen. Viereinhalb Jahre später klappte es nun mit der Mietwohnung.

Die Einrichtung im Wohnzimmer sowie Bett, Küchentisch und den Kühlschrank habe er sich mit einem Darlehen vom Arbeitsamt besorgt, erzählt er: 1400 Euro, die er jetzt in Monatsraten zurückzahle. Es geht voran mit seinem neuen Leben. „Eins nach dem anderen, Stück für Stück“, sagt Heiko Mahler. Zu Weihnachten wünscht er sich eine Schrankwand, in die der Fernseher passt.

Ein Broiler zu Weihnachten

Der 48-Jährige kann geduldig sein. In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit Holzsägearbeiten. Ein Schränkchen für die Küche ist sein neuestes Werk. Aber er habe auch einen Ferrari, vielleicht 40 Zentimeter lang, gesägt, geleimt und mit Lackfarbe besprüht, erzählt er – drei Monate dauerte das. Das Holzauto habe er dem Obdachlosenheim vermacht.

Dort muss Mahler noch bis Anfang nächsten Jahres Sozialstunden leisten – eine Konsequenz aus einem Gerichtsverfahren wegen Schwarzfahrens. Er erledigt Reinigungs- und Hausmeisterarbeiten: „Alles, was anfällt.“ Danach will er sich eine Arbeit suchen.

Und Weihnachten? Das will Heiko Mahler in seiner Wohnung feiern, das erste Mal seit 20 Jahren: „Ich mach mir ’nen Broiler mit Rotkohl und dann ist gut.“

Nachtrag: Heiko Mahler hat sich eine Wohnzimmerschrankwand gewünscht. Dank mehrerer Gutscheine von PNN-Lesern für ein günstiges Möbelgeschäft konnte dieser Wunsch erfüllt werden. Herr Mahler und die Redaktion bedanken sich bei allen Helfern!

Die anderen Folgen von "Potsdam schenkt": 

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Im Iran fühlte sie sich nicht frei

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