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Lutz Hannemann hat Jahrzehnte auf dem Telegrafenberg gearbeitet. Heute fotografiert er Potsdam meist aus der Luft.

© Sebastian Gabsch

Serie | 70 Jahre PNN - 70 Jahre Stadtgeschichte: "Potsdam war eine große Baustelle"

Sieben Zeitzeugen schildern ihre Erlebnisse in 70 Jahren Stadtgeschichte zum Jubiläum der PNN. Fotograf Lutz Hannemann hat in den 70ern unter anderem Sigmund Jähn beraten.

Für den Potsdamer Fotografen Lutz Hannemann begannen die 1970er-Jahre mit einem freudigen Ereignis: „Am 17. Mai 1970 bekam meine Frau ihr erstes Kind“, sagt Hannemann. Er war damals 25 Jahre alt und seit einem Jahr verheiratet. Auch beruflich stimmte alles: Ein Jahr zuvor hatte Hannemann seinen Meisterbrief gemacht, seit 1964 war er als Fotograf beim Geodätischen Institut, dem heutigen Geoforschungszentrum, tätig. Dort war er für viele fotografische Dokumentationen zuständig und beriet Wissenschaftler, welche Kameras und Fotomaterialien auf Expeditionen mitgenommen werden sollten – „zum Beispiel für Antarktisforscher und später auch für Kosmonauten“, sagt Hannemann. „Wir waren dort sehr privilegiert und sind an viel Technik herangekommen, die man sonst kaum bekam.“

Mit seiner Familie wohnte er damals am südlichen Ende der Luckenwalder Straße, der heutigen Albert-EinsteinStraße, und damit nur einen Katzensprung von seinem Arbeitsplatz auf dem Telegrafenberg entfernt. Die Atmosphäre im Wissenschaftspark war damals noch um einiges förmlicher als heute: „Alle sind täglich mit Schlips und Kragen erschienen, nicht nur die Wissenschaftler, auch wir Techniker“, erinnert sich Hannemann. „Wenn ein Wissenschaftler in mein Arbeitszimmer gekommen ist, bin ich aufgestanden und habe ihm einen Platz angeboten.“ 

Männer trugen längere Haare, man sah Schlaghosen

Gleichzeitig machte sich die Mode der Siebziger auch in Potsdam bemerkbar: Männer trugen immer längere Haare und Bärte, Schlaghosen waren im Stadtbild plötzlich ebenso vertreten wie Miniröcke. Im Radio liefen – dank der Nähe West-Berlins – Abba, Queen und die Rolling Stones.

Auch in Potsdams Architektur hielt die Moderne Einzug: Am Schlaatz, in der Waldstadt und auf dem Kiewitt entstanden große Plattenbausiedlungen, das Potsdamer Plattenwerk nahe des Bahnhofs Rehbrücke lieferte die Bauteile, auch die Breite Straße entstand in ihrer heutigen Form. „Potsdam war eine große Baustelle“, so Hannemann, der viele Bauarbeiten fotografisch dokumentiert hat, unter anderem in Zentrum Ost.

Viele Potsdamer:innen zogen gerne in die Neubauten ein, denn die Bausubstanz in der Innenstadt war vielerorts „miserabel“, sagt Hannemann: „In einigen Häusern gab es keine Wasser- oder Gasanschlüsse.“ Die SED-Regierung tat sich schwer mit den barocken Altbauten, auch weil deren Sanierung aufwendig und teuer war. „Bei vielen historischen Gebäuden wurde der Abriss diskutiert, zum Beispiel beim Marstall, dem heutigen Filmmuseum. 1973 entschied man sich dann für den Erhalt“, so Hannemann. Direkt daneben wurde ein Jahr später das Institut für Lehrerbildung eröffnet, die spätere Fachhochschule am Alten Markt.


Gegen Ende der 70er-Jahre war Hannemann an den Vorbereitungen für die Weltraum-Mission des sowjetischen Raumschiffes Sojus 31 beteiligt, das den ersten deutschen Kosmonauten Sigmund Jähn zusammen mit dem Sowjet-Kosmonauten Waleri Bykowski zur Raumstation Saljut 6 bringen sollte. Hannemann war unter anderem dafür zuständig, geeignete Kameras für den Raumflug auszuwählen und sie Belastungstests zu unterziehen: Mit einem Rütteltisch wurde zum Beispiel geprüft, ob die Geräte den Erschütterungen eines Raketenstarts standhielten. „Es war alles streng geheim, ich durfte nicht mal meiner Frau davon erzählen“, so Hannemann. 

Schon vorher hatte er erste Bekanntschaft mit einem Kosmonauten machen dürfen: „1978 bin ich im Auftrag des Zentralinstituts für Physik der Erde mit Wladimir Aksjonow nach Caputh gefahren, um ihm das Einstein-Haus zu zeigen.“ Sigmund Jähn hingegen lernte er erst nach dessen Raumflug kennen, von dem der Kosmonaut 14 belichtete Filme mitbrachte. Auch an deren Auswertung war Hannemann beteiligt. 

Hannemann fertigte den Doktorhut für Jähn

Über viele Jahre blieben er und Jähn in persönlichem Kontakt. Später verband sie noch etwas anderes: Hannemann fertigte den Doktorhut für Jähn an, denn dieser hatte 1983 am Zentralinstitut für Physik der Erde promoviert. „Ich habe immer die Doktorhüte am Institut für alle Doktoranden gebaut, also auch für Jähn“, sagt Hannemann. 

Gut erinnern kann sich der Fotograf auch noch an den 26. September 1978, als Sigmund Jähn nach seiner Rückkehr auf die Erde einen großen Festzug durch Potsdam machte: „Vorher war er mit einer Delegation auf dem Telegrafenberg, hat den Einsteinturm besucht und eine Gedenktafel für Albert Einstein enthüllt“, sagt Hannemann. Kurz zuvor seien überall im Zentralinstitut „Hausmeister“ aufgetaucht – Sicherheitsmitarbeiter in zivil, die über den ordnungsgemäßen Ablauf des Ganzen wachten. Anschließend fuhr Jähn von zehntausenden Menschen bejubelt durch die Innenstadt und den Park Sanssouci, danach folgte ein großes Festessen im Muschelsaal des Neuen Palais. 

Insgesamt war Hannemann fast 30 Jahre lang beim Geodätischen Institut und dem späteren Zentralinstitut für Physik der Erde auf dem Telegrafenberg tätig, rund 200 Fotografen habe er im Laufe der Zeit ausgebildet. Eine Zeit, an die er gerne zurückdenkt: „Durch diese vielseitige Arbeit wurde ich im Institut zum gefragten Foto-Spezialisten.“  

Neben den beruflichen Erfolgen entwickelte sich auch das Familienleben weiter: Für Hannemann gingen die Siebziger Jahre, die am 17. Mai 1970 so positiv begonnen hatten, mit einem weiteren freudigen Ereignis zu Ende: Am 28. Februar des Jahres 1979 wurde seine zweite Tochter geboren.

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