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Sekretärin wirft Abteilungsleiter sexuellen Missbrauch vor: Ärzte-Vereinigung nach Sex-Vorwürfen in Erklärungsnot

Eine KVBB-Sekretärin will 75 000 Euro Schmerzensgeld von ihrem Arbeitgeber: Ihr früherer Abteilungsleiter soll sie im Büro sexuell missbraucht haben. Doch der bestreitet die Vorwürfe.

Wegen angeblicher sexueller Übergriffe bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) will eine dort angestellte Sekretärin 75000 Euro Schmerzensgeld einklagen. Den Betrag solle die KVBB zahlen, bestätigte KVBB-Vizevorstand Holger Rostek am Dienstag bei einem aus einer PNN-Anfrage resultierenden Pressegespräch. Der Fall wird derzeit am Arbeitsgericht verhandelt. Rostek sagte, die Vorwürfe seien für die KVBB jedoch nicht nachvollziehbar: „Wir sehen kein schadensersatzpflichtiges Fehlverhalten.“

Die Vorwürfe beschäftigen die KVBB mit ihrem repräsentativen Sitz in der Pappelallee nach PNN-Recherchen schon seit knapp einem Jahr. Demnach wirft die Sekretärin Marie P.* ihrem früheren vorgesetzten Abteilungsleiter Heiko F.* vor, sie Ende Januar 2017 in dessen Büro sexuell missbraucht zu haben – was dieser bestreitet. Offiziell äußerte sich auf PNN-Anfrage keiner der beiden.

Widerwillen gegen die sexuellen Handlungen nicht ausreichend zum Ausdruck gebracht?

Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht geht es nun um den aus Sicht der Sekretärin unangemessenen Umgang der KVBB mit den Vorwürfen. Die Angestellte wirft ihrem Arbeitgeber vor, sich einseitig auf die Seite des Mannes gestellt zu haben, auch von Mobbing ist die Rede. So hatte sich Marie P., nachdem sie die Vorwürfe erhoben hatte, arbeitsunfähig gemeldet. Sie habe wegen der psychischen Belastung nicht mehr mit ihrem Chef in den gleichen Räumen arbeiten können. Im März habe die KVBB allerdings ihr Büro räumen lassen, im Mai sei sie im Auftrag der KVBB wegen Zweifeln an ihrer Arbeitsunfähigkeit begutachtet worden. Der beschuldigte Vorgesetzte, der die Vorwürfe bestreitet, blieb zugleich im Dienst. Warum der Mann mittleren Alters nicht bis zu Klärung der Vorwürfe freigestellt wurde, könne man „mit äußeren Umständen“ erklären und wolle das im Prozess am Arbeitsgericht auch tun, sagte Rostek.

Ein Grund: Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in dem Fall liefen ins Leere. Erst im Mai 2017 gingen dort die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung ein, die Ende September mangels hinreichendem Tatverdacht eingestellt wurden. Die Begründung der Ermittler lautete nach PNN-Informationen, es könne nach der Schilderung der Vorwürfe nicht festgestellt werden, dass die Sekretärin ihren Widerwillen gegen die sexuellen Handlungen ausreichend zum Ausdruck gebracht habe. Sie hatte angegeben, in eine „Schockstarre“ verfallen zu sein. Ob gegen die Wertung der Staatsanwaltschaft Widerspruch eingelegt wird, ist offen. Vor den angeblichen Vorgängen soll es zwischen der Sekretärin und ihrem Chef eine knapp dreijährige Affäre bis Oktober 2016 gegeben haben.

„Wir konnten diese Zweier-Beziehung nicht bewerten“ 

Jedenfalls bekam der KVBB-Vorstand, der erst seit März im Amt ist, die Vorwürfe auf den Tisch und musste reagieren. Man habe den Vorgesetzten der Mitarbeiterin nicht vorverurteilen und den Vorgang objektiv einschätzen wollen, sagte KVBB-Chef Peter Noack: „Wir konnten diese Zweier-Beziehung nicht bewerten.“ Man habe in der Folge auch versucht, mit der Mitarbeiterin eine einvernehmliche Lösung zu finden, betonte er. Die kritisierte Begutachtung bei einer längerfristigen Erkrankung sei ein Standardvorgang.

Jedenfalls habe man im Oktober – also nach der Einstellung der Ermittlungen – eine sogenannte Vertrauenskommission ins Leben gerufen, so die KVBB-Spitze. Das Gremium sollte unabhängig vom Vorstand in der Mitarbeiterschaft prüfen, ob es weitere Vorwürfe gebe. Besetzt war das Gremium mit der früheren rbb-Intendantin Dagmar Reim, dem Berliner Arbeitsrechtler Tobias Grambow und der Medizinerin Gisela Polzin, die von 1995 bis 2001 auch im Vorstand der KVBB saß. Diese Kommission habe mit Dutzenden Angestellten vertraulich gesprochen und mittlerweile einen nicht-öffentlichen Abschlussbericht vorgelegt, hieß es. Demnach hätten sich die Vorwürfe über sexuelle Belästigung und Fehlverhalten nicht bestätigt, so Noack, der diese Einschätzung so auch in der aktuellen Mitarbeiterzeitschrift der KVBB trifft.

Heiko F. soll KVBB nun wegen „innerbetrieblicher Umstände“ verlassen

Gleichwohl hätten sich andere Defizite ergeben, etwa bei der Mitarbeiterführung. Ex-Intendantin Reim erklärte, unter anderem müssten Organisationsstrukturen überdacht und die innerbetriebliche Kommunikation verbessert werden. Das wolle man mit Hilfe externer Berater angehen, so Noack. Seit Dezember 2017 gelte eine Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Regelverstößen. Demnach sollen Mitarbeiter ethisch und rechtlich einwandfrei handeln und sich bei Entscheidungen etwa fragen: „Ist es für mich und für die KVBB unproblematisch, über meine Handlung am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen?“

Der beschuldigte Vorgesetzte F. muss sich diese Frage nicht mehr stellen. Man habe sich am 24. November 2017 wegen weiterer „innerbetrieblicher Umstände“ mit Heiko F. über das Ende seiner Arbeit zum 31. März 2018 geeinigt, so die KVBB-Lesart. Bis dahin ist er freigestellt. In welche Höhe er eine Abfindung erhielt, wollte die KVBB-Spitze nicht sagen. Die Klägerin wiederum soll in das Haus zurückkehren – als Sekretärin im Vorstandsbereich. Das sei ein gleichwertiger Arbeitsplatz ohne finanzielle Vorteile, so die KVBB. Im Arbeitsgerichtsprozess soll die Entscheidung am 12. April fallen. Der zuständige Richter deutete jüngst bei einer öffentlichen Verhandlung an, es komme bei der Entscheidung nicht darauf an, ob tatsächlich ein sexueller Missbrauch erfolgt sei – es gebe eine „Bandbreite“ von unangemessenem sexuellem Verhalten.

(* alle Namen geändert)

Die KVBB

Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB) ist mit 400 Mitarbeitern die Interessenvertretung für 4200 Ärzte und Psychotherapeuten in der Mark. Unter anderem soll sie dafür sorgen, dass in den Regionen genügend Ärzte zur Verfügung stehen. Zudem kontrolliert sie, dass medizinische Leistungen korrekt und plausibel abgerechnet werden – und verhandelt über die Vergütung der Ärzte durch die Krankenkassen. Zudem versteht sich die KVBB als Dienstleister für Patienten.

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