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Schwerste Epidemie seit vielen Jahren: Potsdam im Griff der Grippe

Die Zahl der Erkrankungen in Potsdam so hoch wie seit Jahren nicht. Notbetrieb herrscht in Teilen des Rathauses. Krankenhäuser sind voll.

Von Peer Straube

Potsdam erlebt derzeit die schwerste Grippeepidemie seit vielen Jahren. Die Krankenhäuser sind voll belegt, gleichzeitig fehlt krankheitsbedingt Personal. In der Stadtverwaltung können einzelne, für Bürger wichtige Behörden nur noch einen Notbetrieb aufrecht erhalten. Die gute Nachricht: Ein Aufnahmestopp für Patienten, wie er in einigen Kliniken Südbrandenburgs zu Wochenbeginn vorübergehend ausgerufen wurde, droht hier noch nicht.

Die Zahl der gemeldeten Fälle von Influenza ist in den letzten Wochen in Potsdam noch einmal dramatisch gestiegen: Seit Jahresbeginn waren, Stand gestriger Donnerstag, 494 Fälle registriert. Das sind mehr als doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres, dem seit 2011 stärksten Grippejahr. Allein seit Ende Februar ist die Zahl der gemeldeten Fälle noch einmal um rund 200 gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt. Die aktuellen Daten erhielten die PNN vom Land: Das städtische Gesundheitsamt ist krankheitsbedingt so geschwächt, dass das „zeitintensive“ Heraussuchen von Vergleichszahlen „derzeit nicht leistbar“ sei, sagte ein Rathaussprecher. Auch in anderen Bereichen der Stadtverwaltung läuft demnach nur noch ein Notprogramm, darunter der Bereich Wohnen und der Bereich Soziale Leistungen, der unter anderem für Anträge auf Wohngeld oder Hartz IV zuständig ist. Die Sprechzeiten versuche man allerdings trotzdem aufrecht zu erhalten.

30 Patienten allein im St. Josef Krankenhaus

Auch im katholischen St. Josefs-Krankenhaus spricht man von der schwersten Grippesaison seit vielen Jahren. Allein in den vergangenen zwei Wochen seien 30 Patienten stationär aufgenommen worden, bei denen aus einer Grippe eine Lungenentzündung geworden sei, sagte Josefs-Sprecher Benjamin Stengl auf PNN-Anfrage. Die 244 Betten des Krankenhauses seien praktisch voll belegt, gleichzeitig gebe es einen hohen Krankenstand. „Die Versorgung der Patienten ist aber gewährleistet“, sagte Stengl. Dafür müssten allerdings die anderen Mitarbeiter Extraschichten schieben.

Etwas entspannter ist die Lage im kommunalen Bergmann-Klinikum. Zwar sei das Haus mit mehr als 1100 Betten „voll wie alle anderen Krankenhäuser auch“, sagte eine Sprecherin. „Aber wir müssen niemanden abweisen, der bei uns Hilfe sucht.“ Unter den Ärzten und Pflegern sei der Krankenstand jahreszeitlich bedingt erhöht, aber nicht mehr als in anderen Jahren auch. Die Frage, wie viele Patienten wegen Grippe stationär aufgenommen werden mussten, blieb trotz mehrfacher Nachfrage unbeantwortet.

Spitzenreiter sind die Landkreise Potsdam-Mittelmark und Oberhavel mit je 778 Fällen

Der überall hohe Krankenstand, der nicht nur durch Grippe, sondern eine generell hohe Zahl von Atemwegserkrankungen verursacht wird, beeinträchtigt das öffentliche Leben in Potsdam auch in anderen Bereichen. Wie berichtet hatte der Verkehrsbetrieb ViP am Montag gewarnt, dass es zu vermehrten Ausfällen von Bussen und Straßenbahnen kommen könne. Zur Abfederung der Ausfälle setzt der ViP bereits entsprechend qualifizierte Mitarbeiter der Verwaltung und der Werkstatt auch im Fahrdienst ein.

Dabei ist Potsdam noch nicht einmal eine besondere Hochburg der diesjährigen Grippewelle. Spitzenreiter sind die Landkreise Potsdam-Mittelmark und Oberhavel mit je 778 Fällen, bezogen auf die Einwohnerzahl ist die Lage in Frankfurt (Oder) und im Landkreis Elbe-Elster am schlimmsten. Andere Bundesländer sind allerdings wesentlich schlimmer dran. Als ein Indikator dafür wertet das Robert-Koch-Institut (RKI) die Zahl der Arztbesuche wegen jedweder Art von Atemwegserkrankung. In der Region Berlin-Brandenburg liege dieser Wert aktuell beim 2,5-fachen gegenüber der „normalen“ Zeit außerhalb der Grippesaison, sagte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. In Ländern wie Sachsen oder Nordrhein-Westfalen dagegen sei die Zahl der Arztbesuche um das 3,5-fache gestiegen.

Zwei Wochen bis zur Wirkung: Gesundheitsamt Potsdam rät von Grippeimpfungen ab

Ob der Höhepunkt der Grippewelle erreicht oder ein erneuter Anstieg zu erwarten ist, könne man nicht vorhersagen, erklärte Glasmacher. Sich jetzt noch impfen zu lassen, davon rät zumindest das städtische Gesundheitsamt allerdings ab. Bis der Impfstoff wirke, dauere es zwei Wochen, bis dahin sei die Grippewelle vorbei, sagte ein Rathaussprecher.

Ohnehin sei unklar, wie hoch die Zahl der an Grippe Erkrankten wirklich ist, so der Sprecher. Die Labore seien derzeit alle überlastet, mit der Erfassung komme man kaum hinterher. Die gemeldeten Zahlen seien daher kaum vertrauenswürdig. Das bestätigt auch das Land. Da sich nicht jeder an Grippe Erkrankte beim Arzt melde, geschweige denn testen lasse, sei die Dunkelziffer wohl erheblich höher, hieß es.

Trotz vorübergehender Engpässe sieht man auf Landesebene die Gesundheitsversorgung nicht gefährdet. Bereits 2012 habe man in allen Leitstellen des Landes ein neues Softwaresystem etabliert, dass allen Rettungsdiensten online anzeigt, welche Krankenhäuser noch über freie Kapazitäten verfügen.

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Potsdam - Noch immer ist kein Ende der Grippewelle in Sicht: Seit Anfang Januar sind in Brandenburg 6235 Fälle registriert worden. Das teilte das Potsdamer Gesundheitsministerium am Donnerstag mit. Bereits vergangene Woche hatte das Ministerium den Höchststand seit Beginn der Zählungen im Jahr 2001 vermeldet. Seit September vergangenen Jahres starben fünf Menschen an der Krankheit, einer weniger als in der letztjährigen Grippesaison.

Allein in der zehnten Kalenderwoche kamen 1697 neue Krankheitsfälle dazu. In der Vorwoche waren nach aktualisierten Angaben 1189 Fälle gemeldet worden. Im bereits schweren Grippejahr 2017 wurden 4130 Fälle erfasst. Bezogen auf die Einwohnerzahl am stärksten betroffen sind die Stadt Frankfurt (Oder) und der Landkreis Elbe-Elster. Die meisten Erkrankungen gibt es mit bislang je 778 in den Landkreisen Potsdam-Mittelmark und Oberhavel. Die Behörden gehen von einer insgesamt noch höheren Zahl von Influenzaerkrankungen aus, weil nicht jeder Fall im Labor landet.

Unter der Grippewelle leidet auch das Gesundheitssystem im Land. So meldete das Helios Klinikum in Bad Saarow (Oder-Spree) 50 Krankmeldungen. Und auch im Städtischen Klinikum Brandenburg sei die Zahl der erkrankten Mitarbeiter deutlich überdurchschnittlich, sagte ein Sprecher. Man könne die Patienten aber noch versorgen. Einige Krankenhäuser im Süden Brandenburgs hatten Anfang der Woche in Absprache mit der Leitstelle der Feuerwehr einen vorübergehenden Aufnahmestopp ausgesprochen, da es wegen der Vielzahl an Grippe-Patienten und erkrankten Mitarbeitern zu Engpässen gekommen war. Mittlerweile beruhige sich die Situation aber wieder.

Auch Potsdam hat mit der Grippewelle zu kämpfen. Die Zahl der Fälle hat auch hier Rekordniveau erreicht. (mit dpa)

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