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Schwere Vorwürfe gegen Barmer GEK: Potsdamerin klagt vor Gericht: Werden lebensrettende Blutwäschen verweigert?

Potsdamerin wirft dem Sozialgericht und der Barmer GEK vor, lebensrettende Blutwäschen nicht zu zahlen. Ob diese nötig sind, ist offen.

Potsdam - Schwere Vorwürfe gegen das Sozialgericht Potsdam: Die Potsdamerin Jennifer Kärgel, die an einer schweren Form des MCS-Syndroms leidet (Multiple Chemical Sensitivity = Multiple Chemikalienunverträglichkeit), hatte Anfang Dezember 2017 ein Eilverfahren angestrengt, um eine zur Behandlung ihrer Krankheit nötige Blutwäsche einzuklagen, die von ihrer Krankenkasse nicht übernommen wird. Die Behandlung hatte eigentlich schon am 18. Dezember stattfinden sollen, das Gericht hatte jedoch zuvor ein ärztliches Gutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob die Behandlung tatsächlich notwendig ist.

Laut ihrem behandelnden Arzt Richard Straube, Chefarzt im INUS Medical Center in Cham (Bayern), benötigt Kärgel alle zwei bis drei Monate eine Blutwäsche, um nicht langfristige gesundheitliche Schäden davonzutragen oder sogar zu sterben. Mitte Dezember habe seine Patientin bereits einen Hörsturz erlitten, zudem sei ein Aneurysma im Gehirn festgestellt worden, so Straube.

Gericht weist Vorwurf der Verfahrensverschleppung zurück

Kärgels Anwalt, Volker Gerloff, warf dem Sozialgericht nun in einer Presseerklärung vor, das Leben seiner Mandantin durch Verfahrensverschleppung aufs Spiel zu setzen: „Eine Begutachtung in diesem Fall in einem Eilverfahren ist grob unverantwortlich und widerspricht elementaren juristischen Verfahrensgrundsätzen. Sollte meine Mandantin durch eine weitere Verfahrensverzögerung versterben oder weitere Gesundheitsverschlechterungen erleiden, wird sich das Gericht verantworten müssen.“

Das Sozialgericht wies dies auf Anfrage der PNN zurück: „Der Vorwurf der Verfahrensverschleppung trifft keineswegs zu“, sagte der Sprecher des Sozialgerichtes, Moritz Bröder. Das Gutachten solle zudem rechtzeitig erstellt werden und das Gericht noch vor dem 17. Januar eine Entscheidung fällen, so Bröder. Für diesen Termin ist die nächste Blutwäsche angesetzt, die laut Straube dringend durchgeführt werden müsse: „Die nächste Behandlung muss zwingend am 17. Januar 2018 stattfinden, da bereits Lebensgefahr droht“, so Gerloff.

Barmer weigert sich, die Kosten für die Blutwäschen zu übernehmen

Kärgel leidet laut Gerloff seit einem „Schädigungsereignis“ am MCS-Syndrom, deren Betroffene extrem empfindlich auf flüchtige Chemikalien wie Duftstoffe, Lösungsmittel oder Abgase reagieren. Seine Mandantin erleide durch das MCS-Syndrom eine massive Störung des Immunsystems sowie ständige Erschöpfung und Bewegungseinschränkungen in Armen und Beinen. Kärgel befindet sich seit 2014 im Rechtsstreit mit der Barmer GEK, die sich weigert, die Kosten für die Blutwäschen zu übernehmen, die bei rund 2000 Euro pro Behandlung liegen. Daher hatte sich die Potsdamerin ihre Behandlungen bislang in mehreren Eilverfahren eingeklagt, unter anderem am Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.

Die Krankenkasse zieht jedoch in Zweifel, dass Kärgel die sogenannten Apheresen tatsächlich benötigt: Laut Barmer-Sprecher Markus Heckmann sei die Krankenkasse gesetzlich verpflichtet, Apheresen nur in bestimmten Fällen zu übernehmen, zum Beispiel bei Hypercholesterinämie oder aktiver rheumatoider Arthritis. „Bei unserer Versicherten Jennifer Kärgel sind keine dieser Voraussetzung erfüllt. Auch unter Berücksichtigung des aktuellen allgemein anerkannten medizinischen Wissenstandes in Fachkreisen sowie aus wissenschaftlicher Literatur und einschlägigen Leitlinien lässt sich bei Frau Kärgel keine Notwendigkeit einer Apherese ableiten.“

Gutachten bestreiten Notwendigkeit der Blutwäsche-Behandlung

Auch mehrere Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) würden bestätigen, dass in diesem Fall eine Apherese weder medizinisch notwendig noch zweckmäßig sei, so Heckmann. „Warum Frau Kärgel dazu geraten wird, sich bei ihrem Krankheitsbild den Strapazen einer Blutwäsche im 500 Kilometer entfernten Cham zu unterziehen, ist aus evidenzbasierter medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar.“

Laut Heckmann seien die Argumente, mit denen die INUS Medical Center Aktiengesellschaft versuche, eine Apherese für Frau Kärgel zu begründen, aus Sicht des MDK medizinisch nicht stichhaltig. „Es ist völlig ungeklärt, ob sich Frau Kärgels Gesundheitszustand wegen oder trotz oder völlig unabhängig von den bisherigen durchgeführten Apheresen nicht weiter verschlechtert hat.“ Alternative Behandlungsmethoden für die einzelnen Symptome seien bislang nicht ausreichend ausgeschöpft worden, so Heckmann, zum Beispiel entsprechende Arzneimittel oder psychosomatische und psychotherapeutische Maßnahmen.

Über das MCS-Syndrom herrscht in Fachkreisen Uneinigkeit: Bislang gibt es kein klares Bild, was die Ursachen sind, etwa ob sie toxikologischer oder psychosomatischer Natur sind. Der Leidensdruck für die Betroffenen ist hoch und kann bis zur Arbeitsunfähigkeit führen.

Das Urteil des Sozialgerichtes Potsdam könnte zu einem Fortschritt führen: „Wir begrüßen, dass in dem Verfahren ein richterliches Gutachten erstellt wird, das zur Klärung des Falls beitragen soll“, so Heckmann. 

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