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"Schwarze Messen" in der DDR: Wie die Stasi zum Heavy Metal kam

Die Subkultur Heavy Metal war in der DDR sehr ausgeprägt. Der Potsdamer Forscher Nikolai Okunew untersucht die damalige Szene und erkennt darin eine Vielschichtigkeit der ostdeutschen Gesellschaft.

Potsdam - Der Historiker Nikolai Okunew erforscht am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) die Heavy-Metal-Szene der DDR. Die Jugendlichen suchten einen Weg zwischen Anpassung und Freizeitrebellion. Die Stasi schaute zwar aufmerksam hin, es gab aber auch Freiheiten. Okunew erkennt darin eine Vielschichtigkeit der ostdeutschen Gesellschaft, die seiner Ansicht nach heute fast vergessen ist.

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"In den 1980er-Jahren konkurrierte die SED mit internationalen Metal-Bands wie King Diamond oder Bathory um die Gunst der Arbeiterjugend”, sagt Okunew. Momentan schreibt er am ZZF seine Doktorarbeit zu diesem Thema. Bereits während seines Geschichtsstudiums an der Berliner Humboldt-Universität seien ihm die Statistiken des Ministeriums für Staatssicherheit (Stasi) aufgefallen, die die Anhänger von Jugend-Subkulturen zählten. “Heavy-Metal-Fans wurden stets als größte Gruppe genannt.”  

Laute Gitarrenmusik auf ostdeutschen Friedhöfen

Die Stasi habe die Heavy-Metal-Szene zuerst durch Berichte westlicher Medien über "schwarze Messen" in der Bundesrepublik kennengelernt. Zu dieser Zeit ging im Westen die Angst vor satanischen Botschaften um, die angeblich zu hören waren, wenn man Rock-Schallplatten rückwärts abspielte. "Die Stasi las solche Berichte sehr aufmerksam", sagt Okunew. Die Spione befürchteten ein Überschwappen auf den Osten. Und kurz darauf mussten sie tatsächlich feststellen, dass Jugendliche auf ostdeutschen Friedhöfen feierten und laute Gitarrenmusik hörten.  

Viele Metal-Fans sahen sich selbst als unpolitisch an. Aber in der DDR konnte es einen Raum des Unpolitischen gar nicht geben.

Nikolai Okunew

Im Gegensatz zu anderen Subkulturen, etwa den Punks, hätten die meisten Metal-Fans im Alltag ein ziemlich angepasstes Leben geführt, sagt Okunew. Sie hätten sich selbst als unpolitisch angesehen. "Aber in der DDR konnte es einen Raum des Unpolitischen gar nicht geben. Der Staat hielt sich für im höchsten Maße zuständig für alles, was Jugendliche betraf. Ästhetik, Körper und Emotionen waren stark politisierte Felder."

Viele Szeneangehörige arbeiteten in metallverarbeitenden Betrieben

Die größtenteils männlichen Anhänger hätten sich in vielen Punkten gar nicht allzu sehr von angepassten Bürgern unterschieden. Auf der Arbeit hätten die meisten "ihren Mann gestanden", das wilde Leben sei auf die Freizeit beschränkt gewesen. Passenderweise hätten viele Szeneangehörige in metallverarbeitenden Betrieben gearbeitet. Dadurch hätten sie Zugriff gehabt auf Werkzeug und Materialien, um Kleidung und Accessoires basteln zu können. 

Die eingeschworenen Fans trafen sich am Wochenende zum Trinken oder reisten in der Gruppe zu Konzerten, die meist in ländlichen Regionen stattfanden. Dieser Szene hätten jedoch nicht mehr als zwei bis fünf Prozent der DDR-Jugendlichen angehört, sagt Okunew. Die Berliner Region sei ein Zentrum der Szene gewesen, aber auch Thüringen.

Metal-Bands dominierten zeitweise die Hitparaden der DDR.

Nikolai Okunew

"Biest" war eine einheimische Metal-Band aus Jüterbog

Das DDR-Kulturförderungssystem unterlag der Zensur. Jeder Musiker musste vor einer Kommission vorspielen und seine Text prüfen lassen. Doch einheimische Metal-Bands wie "Biest" aus Jüterbog wurden nicht nur zugelassen, sondern sogar gefördert. Das Radio machte sie in der ganzen Republik bekannt. "Metal-Bands dominierten zeitweise die Hitparaden der DDR", sagt Okunew. Das Jugendradio DT64 sendete sogar eine wöchentliche Metal-Sendung namens "Tendenz Hard bis Heavy". Deren Nachfolgeformat "Stahlwerk" war nach der Wende beim Sender "Radio Fritz" zu hören und läuft heute unter dem Titel "Heavy Hour" immer noch beim Berliner Privatradio "StarFM".

"Die Subkultur entwickelte sich nicht außerhalb der Strukturen des DDR-Staates, sondern innerhalb. Die Metal-Szene nutzte diese Strukturen sogar und deutete sie für sich um." In den letzten Jahren der DDR seien dann immer mehr Metal-Bands ohne die eigentlich notwendige staatliche Zulassung aufgetreten. "Da öffneten sich Räume. Man konnte nun Sachen machen, die vorher nicht möglich gewesen wären."

Überschneidungen zu Szenen der Skinheads und Hooligans

Bei den Wochenendausflügen sei es auch zu Gewalt gekommen, sagt Okunew. Die Stasi-Akten, die wichtigsten Quellen des Forschers, berichten von Schlägereien mit Einheimischen oder mit der Transportpolizei, die für die Überwachung von Bahnhöfen und Zügen zuständig war. Teilweise habe es auch Überschneidungen zu den Szenen der Skinheads und Hooligans gegeben. In der Schlussphase der DDR sei es zudem zu einigen "sehr gut dokumentierten Fällen rassistischer Gewalt" gekommen, an denen Metal-Fans beteiligt waren. Das sei jedoch grundsätzlich von einer Minderheit innerhalb der Szene ausgegangen, sagt Okunew. 

Für den in Mitte der 1980er-Jahre in Ostberlin geborenen Historiker steht die DDR-Metal-Szene auch für die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des untergegangenen Staates. Allzu oft würde nur auf den Stasi-Apparat und die Opposition geschaut. "Es gibt in einer Gesellschaft aber nicht nur Unterdrücker und Unterdrückte, sondern Menschen, die sehr unterschiedliche Rollen einnehmen können", sagt Okunew. 

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