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Vanessa Jordan-Heinrich bereitet Nachlässigkeit bei Hygieneregeln Sorgen.

© privat

Schwanger in der Pandemie: "Für mich ist die Situation zunehmend beängstigend"

Die sommerlichen Lockerungen können schwangere Potsdamerinnen wie Vanessa Jordan-Heinrich  nur bedingt genießen. Frauenarztverbands-Kreischefin Karolin Fahlke rät zur Impfung.

Potsdam - Die Infektionszahlen sind niedrig, viele Einschränkungen gefallen, Impftermine kein Problem: Viele Potsdamer*innen freuen sich über die zurückgekehrte Normalität in diesen Sommerwochen. Doch nicht alle können das gleichermaßen genießen. Vanessa Jordan-Heinrich etwa ist nach wie vor sehr vorsichtig, testet sich zweimal pro Woche – und verzichtet auch auf manches. Die 24-jährige Studentin ist schwanger – eine Impfung empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut (RKI) Schwangeren bislang nicht. Auch wenn die Impfung nach vorheriger Beratung möglich ist, will die werdende Mutter vorerst keinen Gebrauch davon machen und erst nach der Entbindung zum Impfen gehen.

"Die Leute gehen immer einen Schritt weiter als erlaubt"

„Für mich ist die Situation zunehmend beängstigend“, schildert die angehende Lehrerin für politische Bildung und Biologie den PNN: „Die Leute freuen sich und gehen immer einen Schritt weiter als erlaubt.“ Wenn sie mit dem Zug zu ihren im Spreewald lebenden Eltern fahre, hätten immer mehr Menschen die Maske nicht auf. „Wenn man sie darauf anspricht, bekommt man nicht immer Verständnis entgegengebracht“, erzählt sie. Ähnliches beobachtet sie beim Einkaufen. Auf Abstandsregeln, so ihr Eindruck, achteten viele Leute nicht mehr.

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Mit ihrem Partner treffe sie zwar Freunde, wenn diese geimpft oder getestet seien, erzählt sie. „Aber immer nur draußen.“ Auf Urlaub verzichten die werdenden Eltern bewusst. Und eventuelle weitere Lockerungen wie etwa das Fallen der Maskenpflicht in Supermärkten sieht Vanessa Jordan-Heinrich angesichts der stagnierenden Impfquote sehr skeptisch. „Das würde für mich bedeuten, dass ich weniger rausgehe“, sagt sie: „Wenn es im Supermarkt keine Maskenpflicht mehr geben würde, würde ich nicht mehr einkaufen gehen.“

Austausch mit anderen Schwangeren ist wichtig - und endlich wieder möglich

Rund sieben Wochen hat sie noch bis zur Geburt ihres ersten Kindes. Immerhin sei momentan auch für sie und ihren Partner schon vieles möglich, woran in der Anfangszeit wegen des Lockdowns nicht zu denken war. Nach der Impfung konnte ihr Partner sie erstmals zum Ultraschall begleiten. Auch der persönliche Kontakt zu anderen Schwangeren ist möglich: Der Austausch mit Menschen in dergleichen Situation habe ihr anfangs extrem gefehlt, auch Internetangebote könnten das nicht ersetzen, sagt sie. Nun konnte am Geburtsvorbereitungskurs - mit Test- teilnehmen, tauscht sich regelmäßig mit ihrer Hebamme aus, auch Schwangerenyoga besucht sie – getestet.

Um die Zeit rund um die Geburt macht sie sich Gedanken. Zwar wird ihr Partner bei der Geburt dabei sein können – wenn sie länger im Krankenhaus bleiben muss, sind aber begrenzte Besuchszeiten einzuhalten. „Hoffentlich können wir direkt nach Hause“, sagt sie. Auch eine mögliche Infektion würde die Pläne durcheinander bringen. „Wenn ich mich anstecken sollte, ist meine Krankenhauswahl dahin“, sagt sie. Dann müsste sie auf das städtische Bergmann-Klinikum ausweichen.

Im Fall einer Infektion kann der Partner nicht bei der Geburt dabei sein

Sowohl im Bergmann als auch am St.-Josefs-Krankenhaus, gelten rund um die Geburt spezielle Hygienevorkehrungen. Frauen können eine Begleitperson in den Kreißsaal mitnehmen, wenn diese einen Negativtest oder den Nachweis über Impfung oder Genesung vorlegt sowie eine FFP2-Maske trägt. Die Gebärenden werden in beiden Häusern – wie die übrigen Patient*innen – vor der Aufnahme auf eine Infektion getestet.

Im Fall einer positiv getesteten Gebärenden arbeitet das Hebammen-Team unter Vollschutz, also mit Maske, Gesichtsschild, Kittel und Handschuhen, sagt Benjamin Stengl, Sprecher des Josefs-Krankenhauses. Das sei zuletzt am Jahresanfang 2021 nötig gewesen. Ähnlich läuft es auch am Bergmann. Ein großer Nachteil: „Der werdende Vater kann aufgrund der Quarantänebestimmungen als Kontaktperson ersten Grades leider bei der Geburt nicht anwesend sein“, erklärt Dorothea Fischer, die Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Frauenarztverbands-Kreischefin rät Schwangeren ausdrücklich zur Impfung

Die Potsdamer Frauenärztin Karolin Fahlke, Bezirkschefin des Berufsverbandes der Frauenärzte, rät auch schwangeren Patientinnen zur Impfung – ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel. „Es gibt keinen Grund, Schwangere nicht zu impfen“, sagte sie den PNN. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat gemeinsam mit dem Berufsverband der Frauenärzte und weiterer einschlägiger Verbände bereits im Mai unter Verweis auf die Weltgesundheitsorganisation und Leitlinien in Ländern wie der USA und Israel eine Empfehlung zur Impfung Schwangerer ausgesprochen. Eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe nicht vermehrt zu schwangerschaftsspezifischen Komplikationen, heißt es darin. Die Fachverbände weisen außerdem auf die negativen Folgen einer potenziellen Covid-Erkrankung hin: Schwangere würden dann ein sechsmal höheres Risiko eines sehr schweren Verlaufs mit einer Behandlung auf der Intensivstation haben. Zudem bestehe bei einer Infektion ein bis zu 80 Prozent höheres Risiko einer Frühgeburt.

Wenn es um gute Aufklärung rund um die Impfungen – nicht nur für Schwangere - geht, attestiert Frauenärztin Fahlke der Politik ein Versagen. Auch Medien spielten eine schlechte Rolle, kritisiert sie: „Da wird auf vieles aufgesprungen, da werden Hinz und Kunz interviewt und für bare Münze genommen.“ Darum gebe es bei etlichen Menschen nun Zurückhaltung: „Die Impfbereitschaft derjenigen, die jetzt noch nicht geimpft sind, ist nicht sehr hoch“, so ihr Eindruck. „Man kann es den Schwangeren nur wünschen, dass sie schnell Vertrauen fassen in die Impfung“, sagt die Frauenärztin.

Kein Corona-Babyboom in Potsdam

Von der Impffrage abgesehen spiele die Pandemie derzeit bei Schwangeren eine untergeordnete Rolle, berichtet sie. Im vergangenen Jahr sei die Angst vor einer Ansteckung größer gewesen. Viele Patientinnen hätten sich eine Krankschreibung und ein Beschäftigungsverbot gewünscht. Das habe sich mit den zurückgehenden Infektionszahlen seit April und der Möglichkeit zur Impfung beruhigt. Seit Anfang April wird auch in gynäkologischen Praxen geimpft, doch nicht alle Potsdamer Kolleg*innen beteiligten sich. Dass sich die Regelungen für die Impfstoffbestellung häufig änderten, mache die Sache nicht einfach, sagt Fahlke.

Einen coronabedingten Baby-Boom in Potsdam können weder Fahlke noch die beiden Krankenhäuser bestätigen. 851 Kinder sind im ersten Halbjahr 2021 am Bergmann-Klinikum zur Welt gekommen, wie Sprecherin Damaris Hunsmann auf PNN-Anfrage sagte: Das liegt zwischen den Vergleichswerten von 2019 (928) und 2020 (774). Auch am Josefs lägen die Zahlen auf dem Niveau von 2019, sagt Sprecher Stengl. Aus Gesprächen mit werdenden Eltern berichteten die Hebammen am Josefs, dass während der Pandemie eher Sorgen und Unsicherheit überwiegen. „Familiengründung oder -vergrößerung stand da nicht bei jedem auf dem Zettel“, sagt Krankenhaussprecher Stengl. Den letzten Babyboom habe es nach der Weltmeisterschaft 2014 gegeben – also rechnerisch Anfang bis Mitte 2015, erinnert sich Hebamme Luisa. Wenn die Menschen ungezwungen feiern können und frei von Sorgen seien, steigen die Geburtenzahlen. „Diese Voraussetzung erfüllte der Sommer und Herbst 2020 leider nicht.“

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