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"Schnapsidee" in Potsdam: Wacholder muss, alles andere kann

Till Joppich hatte genug vom stressigen Job in der Handy-Branche und eröffnete ein High-End-Spirituosen- Geschäft. Seine Spezialität: 120 Gin-Sorten, mindestens

Potsdam - Um Gin herzustellen braucht es nicht viel. „Alkohol und Botanicals. Wacholder muss, alles andere kann“, sagt Till Joppich. Und natürlich die Destillerie-Technik. Aber es soll schon Manufakturen geben, in denen man sich für einen Tag zum Gin-Brennen einmieten kann. Man muss das nicht zu Hause in der Badewanne machen, wie der Name Bathtub Gin nahelegt. Wenn es denn so war. Bathtub Gin ist eine von etwa 120 Sorten, die bei Till Joppich im Gin-Regal stehen. „Schnapsidee“ heißt der Laden, in dem es die vielleicht größte Auswahl an Gin, Whisky und Wodka in der Region Potsdam und Berlin gibt. Vor einem Jahr eröffneten sie in der Potsdamer Dortustraße, gleich nahe Ecke Brandenburger. Und dass Till Joppich hin und wieder die Methode der Ginherstellung verrät, hat dem Geschäft offensichtlich nicht geschadet. Sein Fazit: sehr positiv. „Es läuft besser als erwartet und wir haben hier ein sehr angenehmes Publikum.“

Joppich ist 36, trägt weißes Businesshemd, casual, und macht noch nicht lange in Alkoholika. Er ist ein kompletter Quereinsteiger. „Eigentlich habe ich gar keine Ausbildung“, sagt er. Auf das Abi folgte eine Phase der Orientierung, erst mal reisen, dann jobben im gerade eröffneten Cinemax am Potsdamer Platz. Nach fünf Jahren leitete er dort die Gastroabteilung, arbeitete viel und meist abends, sah seine Freunde kaum noch, nahm sich eine Auszeit in Irland. Dann begann seine Handyphase. Etwa acht Jahre war er im Vertrieb für Samsung tätig. Das bedeutete viel Reisen, oft im Flieger, viele Partys, sogar Einladungen in die VIP-Lounge der Champions-League-Spiele. „Es fühlt sich eine Zeit lang richtig gut an, immer auf der Gästeliste zu stehen, weil man Sponsor ist. Aber irgendwann ist es genug.“ Irgendwann war im Mai 2013. Nach dem Endspiel Bayern-Dortmund in London schrieb er noch auf dem Flughafen seine Kündigung.

Beim Anblick des leeren Ladens in der Dortustraße: Das ist es

Seine Frau, mit dem ersten Töchterchen schwanger, war fassungslos. „Klar war das eine egoistische Entscheidung“, sagt er heute. Aber es war richtig. Er versuchte es trotzdem noch einmal für eine andere Telefonfirma, aber spürte schon nach Wochen, dass er dort falsch war. Joppich zog raus aus Berlin und nach Potsdam, begann, seinen Bruder mit seiner Online-Firma Berlinbottle, die hauptsächlich Wodka vertrieb, zu unterstützen. Als er eines Tages den leeren Laden in der Dortustraße sah, wusste er: Das ist es. Das will er machen, ein Geschäft vor Ort. „Mit Handys will ich nichts mehr zu tun haben, nur noch telefonieren.“ Auf Fotos sieht man, wie er beim Ladenumbau Mauern einreißt, sich körperlich einbringt, als kämpfe sich hier jemand frei von alten Mustern.

Nun wird bald das zweite Kind geboren und Joppich hat seinem Ausstieg aus der Jetlag-Welt und die Entschleunigung in Potsdam bisher nicht bereut. Die „Schnapsidee“ war keine. Hier in der Dortustraße, 30 Meter abseits der Fußgängerzone, ist er mitten drin und doch beginnt hier schon die Provinz, Kopfsteinpflaster inklusive. Mittwochvormittag muss er den Wagen ausladen, das Ordnungsamt meckert, weil er dabei in einer Ausfahrt steht, ist dann aber doch gnädig. So ist das eben. Der Koch vom benachbarten Restaurant Levy kommt auf einen Schwatz vorbei. Um elf kauft der erste Kunde einen Gin. Natürlich.

Auch was die Oma trinken würde

„Wir haben auch eine ganz ordentliche Auswahl Champagner, Kräuter und Liköre, was die Oma eben so bei der Gartenparty trinken würde“, sagt er. Soll ja für jeden was dabei sein. Das Hauptgeschäft ist der Gin. Für den wiederauferstandenen Gin-Tonic. Man kann probieren, im Kühlschrank stehen Portionsfläschchen Tonic, mal andere Sorten als das, was man so kennt aus dem Getränkemarkt. Nur Bier und Wein gibt es nicht. Der Vorteil von Spirituosen sei, dass man sich über Haltbarkeit keine Gedanken machen muss. „Das wird nicht schlecht.“

Wissen sollte man schon so einiges über das, was man da verkauft. Man will ja vor dem Kunden nicht als Trottel dastehen, sagt Joppich. Viele Kunden seien extrem gut informiert. Dazu kommen die Sammler, die eine ganz bestimmte Wodka-Edition suchen. Bei Joppich stehen Raritäten wie ein Absolut aus Korea oder China, vorn drauf ein Äffchen, für mehr als 100 Euro. Die Leute kaufen das als Wertanlage, in ein paar Jahren kann so eine Flasche schon mal das Siebenfache kosten.

Bestimmt 1500 Sorten Gin in Deutschland

Sich für Alkoholika zu interessieren ist hipp geworden in den vergangenen Jahren, Alkohol hat in gewisser Weise sein Schmuddelimage verloren. „Genauso wie man auf gesunde Ernährung achtet, Biofleisch und -gemüse kauft, geben die Leute vermehrt auch bewusst Geld aus für hochwertige Alkoholika“, sagt Joppich. Die Bar Fritzen 100 Meter die Straße runter ist am Wochenende rappelvoll mit Leuten aller Altersgruppen, die für einen Gin Tonic schon mal zwölf Euro ausgeben. Die Bar ist wiederum Kunde von Joppich. „Die haben das Fachwissen, ich die Ware“, sagt er. Es juckt ihn ein wenig in den Fingern, den Laden zu vergrößern, in der Brandenburger wäre was frei, doppelt so viel Fläche. „Es klingt ein bisschen komisch, ich weiß“, sagt er und schaut kurz über die vollen Regale, „aber wir könnten locker doppelt so viel Auswahl haben.“ Er schätzt, dass es allein in Deutschland gut 1500 verschiedene Sorten Gin gibt. Aber ob er in der touristisch anonymen Brandenburger so glücklich wäre wie in der Dortustraße? Joppich ahnt das Dilemma. Mal gucken, sagt er. Und dann muss er endlich die Ware reinholen.

Schnapsidee, Dortustraße 16

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