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Safari in der Döberitzer Heide: Wo die wilden Pferde wohnen

Grasende Pferde und sich schubbernde Wisente: Wie sich die Döberitzer Heide vor den Toren Potsdams vom Militärgelände zum Paradies für wilde Tiere entwickelt hat.

Potsdam - So ein bisschen fühlt es sich an wie in einem der großen Nationalparks in Afrika. Mit einem Geländewagen geht es früh am Morgen über nur spärlich mit Bäumen bewaldete Hügel, kleine Täler durchziehen das Land, dann öffnet sich der Horizont und der Blick geht hinaus über die sandige Ebene mit kleinen Grashalmen überall. Jetzt müsste nur noch der Elefant um die Ecke kommen oder der Löwe brüllen.

Doch irgend etwas stört die Idylle. Der halb eingestürzte Bunker am Wegesrand aus dem Zweiten Weltkrieg passt so gar nicht ins Bild. Und die vielen Bombenkrater überall. „Verlassen Sie nicht die Piste“, warnt Peter Nitschke seine Besucher. Der Mann ist Projektleiter der Naturlandschaft Döberitzer Heide der Heinz-Sielmann-Stiftung. Er kennt sich aus in seinem Revier. Der Bunker ist ein Überbleibsel des früheren Truppenübungsplatzes Döberitzer Heide. Das gesamte Gelände ist vermutlich noch mit Restmunition verseucht. Nur die Wege können ohne Gefahr betreten werden. Nein, wie in Afrika ist es in der brandenburgischen Heidelandschaft leider nicht. Und dennoch kann man hier - nur wenige Autominuten von Berlin und Potsdam entfernt - Natur pur erleben.

Eindringlinge im Reich der Pferde

Przewalski-Pferde zum Beispiel. Auf der anderen Seite der Ebene, Richtung Wäldchen, scheint sich etwas zu tun. Nichts war zu hören, dennoch drehen sich alle schon um - und dann spazieren tatsächlich fünf der vom Aussterben bedrohten Tiere neugierig durch das niedrige Gestrüpp. Sie kennen das Motorengeräusch des Geländewagens. Langsam nähert sich die kleine Herde, Schritt für Schritt, die Ohren nach vorne, selbstbewusst und so gar nicht ängstlich, wie man vielleicht erwartet hätte. Erneut kommt eine Warnung des märkischen Rangers. „Bitte gehen Sie nicht so nah ran. Die können auch böse werden und sogar nach vorne ausschlagen“, sagt Nitschke. Wir sind die Eindringlinge im Reich der Pferde. Nitschke macht sich sichtlich Sorgen um seine Gäste, da mag niemand widersprechen.

Das Przewalski-Pferd ist die einzige noch existierende Wildpferdeart, berichtet Nitschke. Es stammt ursprünglich aus Zentralasien. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg sollen es nur noch 40 Exemplare gewesen sein, mittlerweile ist die Population auf immerhin rund 2000 angestiegen. Und knapp 50 davon - also weltweit rund zwei Prozent aller noch existierenden Pferde - leben in der Döberitzer Heide. Oder das Wisent, der europäische Artverwandte des nordamerikanischen Bisons, den wohl jeder aus den Indianerfilmen kennt. Blicken ließ sich aber zunächst keines der Rinder. Weltweit gab es davon 2004 noch 1955 Exemplare. Um die 80 sind nun in der Döberitzer Heide zu Hause.

Restmunition liegt noch herum

Das Gebiet der Naturlandschaft Döberitzer Heide ist mittlerweile rund 3700 Hektar groß, das entspricht etwa 5500 Fußballfeldern. Ein Teil davon entfällt auf die sogenannte Naturerlebnisringzone und die Schaugehege, in denen die Tiere auf ihre Freiheit in der eigentlichen Wildniskernzone vorbereitet werden. Dort darf derzeit niemand rein. Nitschke warnt Ausflügler davor, den Zaun zu überwinden. „Immer wieder mal wagen sich Pilzesammler in die Wildniskernzone. Das ist unverantwortlich“, kritisiert er. So könnten die Pferde und Wisente aggressiv werden. Vor allem aber liege überall noch Restmunition herum.

Das Gelände ist eigentlich hermetisch abgeriegelt. Ein knapp zwei Meter hoher Starkstrom-Zaun umgibt die Heide. Um in die Kernzone zu gelangen, muss zunächst eine Schleuse überwunden werden. Manche versuchen es aber dennoch durch den Zaun. „Das tut richtig weh, wenn Sie den Zaun anfassen. Und vielleicht werden Sie auch zurückgeschleudert“, sagt Nitschke bei einem kurzen Stopp in Sichtweite der Schleuse. „Das ist hier schon so ein wenig wie Jurassic Park und mit den Dinosauriern“, sagt Nitschke. Raus kommt aus der Döberitzer Heide jedenfalls auch so schnell niemand. Für ihn und die Stiftung wäre es fatal, wenn einer der Schützlinge in einem Potsdamer Vorgarten auf dem englischen Rasen stünde oder die nahe ehemalige Kaserne in Krampnitz erkunden wollte. Krampnitz, dort soll ja in wenigen Jahren eine Wohnsiedlung entstehen. „Wir haben dort mehrere Spazierwege geplant, auf denen Interessierte bis an den Zaun der Naturlandschaft heran können. Dort gibt es dann auch Aussichtstürme“, beschreibt Nitschke die Planungen.

Beton und Stahl aus der NS-Zeit

Erst vor kurzem konnte die Stiftung ein weiteres Stück auf Potsdamer Seite dazu erwerben. Der Kauf des gesamten Gebietes liegt aber schon zehn Jahre zurück. „Das war ein gelungenes Beispiel für Konversion“, sagt Nitschke und spielt damit auf die Vergangenheit des Geländes als Truppenübungsplatz an. Der Name Döberitz für den seit dem 18. Jahrhundert genutzten militärischen Übungsplatz leitet sich ab aus dem Dorf, das zuvor zentral auf dem Gelände stand und dem Militär weichen musste. Spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gelände als „Übungsschlachtfeld“ erschlossen, der Waldbestand großflächig abgeholzt. Ab 1896 wurden regelmäßig Gefechtsübungen abgehalten. Später kam dann noch ein Flugplatz und die „Flieger-Ersatz-Abteilung“ hinzu, quasi eine der ersten Flieger-Einheiten im Kaiserreich. Auch nach dem Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges diente das Gelände dem Militär. Nazi-Deutschland baute hier früh eine Luftstreitmacht auf. Bereits 1936 wurde aus diesem Kontingent die „Legion Condor“ in Spanien auf Seiten der Putschisten unter General Franco eingesetzt. Bekannt wurde sie insbesondere durch die Bombardierung und Zerstörung Guernicas 1937. Später, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, nutzte die sowjetische Armee den Übungsplatz.

Aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen noch zahlreiche Zeugen aus Beton und Stahl auf dem Gebiet der heutigen Naturlandschaft. Rechts und links der vor Bomben und Granaten gesäuberten Wege tauchen bei der Fahrt im Jeep immer wieder kleinere und größere Bunkeranlagen auf. Viele davon sind zerstört, die Betonteile liegen in Trümmern übereinander. „Sie wurden gesprengt“, sagt Ranger Nitschke und bedauert die Entscheidung der Verantwortlichen. Die Bunker seien ideale Brut- und Schlafplätze für seltene Fledermäuse. Aber dafür müssten sie intakt sein, fügt er hinzu. In der heutigen Naturlandschaft leben nämlich nicht nur Pferde und Rinder. Der ehemalige Truppenübungsplatz bietet mittlerweile Lebensraum für rund 5000 andernorts vielfach verdrängte Tier- und Pflanzenarten wie etwa Seeadler, Ziegenmelker und Fischotter sowie Sonnentau oder die Astlose Graslilie. Der Grund dafür: Mehr als 100 Jahre intensive militärische Nutzung hielten Besiedlung sowie Land- und Forstwirtschaft fern. Dadurch entstand ein Mosaik wertvoller, weitgehend unzerschnittener Lebensräume mit Trockenrasen, Heiden, Mooren, Feuchtwiesen und Gewässern.

Gescheiterte Pläne für neuen Bundeswehr-Schießplatz

Kürzlich, im Frühjahr, schrillten bei den Naturschützern alle Alarmglocken, als bekannt wurde, dass genau nebenan auf dem restlichen Teil des Übungsplatzes, den die Bundeswehr noch nutzt, ein Schießplatz eingerichtet werden soll. Die Stiftung warnte vor gravierenden Auswirkungen auf den Artenreichtum, der bundesweite und internationale Bedeutung habe. Beide Naturschutzgebiete seien deshalb als „Special Protected Area“ (Vogelschutzgebiet von internationaler Bedeutung) gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie und jeweils als Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH) ausgewiesen, hieß es. Schließlich kam es doch nicht dazu und die Bundeswehr nahm Abstand von ihren Plänen.

Beispiele für dem Artenreichtum sind etwa die „Bombina bombina“, eine Rotbauchunke, die kaum noch geeignete Laichgewässer findet. Oder ein Urkrebs, der Branchipus Schaefferi. Dieser gehöre zu den ältesten noch lebenden Tieren und sei gar nicht so leicht zu entdecken, sagt Nitschke. Dazu müsse es zuvor geregnet haben. Steht nämlich Wasser in einer der zahlreichen Kuhlen auf den Wegen in der Heide, schlüpfen die Krebse und entwickeln sich explosionsartig. Ist das nicht langweilig? „Was heißt denn langweilig? Da wird die ganze Zeit gepoppt“, sagt Nitschke. Da ist die Pfütze schnell voll. Und wenn man mit dem Auto durchfährt? Das macht nichts, die Krebse springen schnell zu Seite. Und die langsamen haben Pech und werden zerdrückt.

Wildschwein-Skelett an einem kleinen Gatter

Natur ist eben manchmal grausam. So stoppt der Geländewagen auf seinem Weg durch die Kernzone an einem kleinen Gatter, an dem das Skelett eines Wildschweins liegt. Das Tier hat vermutlich den Winter und die damit verbundene Nahrungsknappheit nicht überstanden. Auf der anderen Seite des Waldes lugt ein zweiter Eber hervor. „Toll, der sieht richtig gut aus“, sagt Nitschke und freut sich. Auch das ist ihm ans Herz gewachsen und davon gibt es hier jede Menge. Selbst Wölfe seien gelegentlich hier schon mal gesehen worden. Wieder raschelt es in den Bäumen. Ein Pferdekopf lugt hervor, dann noch einer. und noch einer. Eine zweite Herde will sich die seltsamen Leute in dem Metallgefährt auf vier Rädern anschauen. Schließlich wird eine direkte Begegnung nur durch einen kleinen Bach getrennt. Man könnte die Hand ausstrecken. Wildpferde, Wisente und Rotwild seien übrigens die ideale Mischung, um den Waldbewuchs auf der Heidelandschaft zurückzudrängen, berichtet Wildhüter Nitschke. Die Przewalski-Pferde ernähren sich von Gras und knabbern auch mal an jungen Zweigen. Die Wisente dagegen vernaschen kleine Bäume und Büsche, um die nötigen 30-50 Kilogramm Pflanzenkost pro Tag aufzunehmen. Der Effekt ist gewollt, um die Döberitzer Heide offen zu halten. Sie würde sonst schnell mit Wald zuwachsen. Die offene Heide ist eines der Ziele der Stiftung. „Das funktioniert gut“, betont er.

Um der Heide auf die Sprünge zu helfen, müssen die Förster allerdings auch immer wieder mal nachhelfen. So fuhr neulich ein Bergepanzer quer durch das Gelände und holzte den Wald kurzerhand nieder, der da noch stand. Schnell zeigten sich danach erste Käfer und andere Insekten, die den sandigen Boden für die künftige Heidelandschaft vorbereiten – falls der Wald es nicht doch wieder zurückerobert. Auch sind an vielen Stellen – vor allem in der Nähe des Elektrozaunes – Futtertränken aufgestellt. „Damit wollen wir die Tiere auch anlocken, damit man sie von außen sehen kann“, sagt Nitschke. Für die Spaziergänger, die derzeit nicht in die Kernzone dürfen.

Bald sollen Safaris durchgeführt werden

Künftig sollen – wenn es nach der Sielmann Stiftung geht – aber auch Safaris durchgeführt werden, was derzeit noch nicht möglich ist. Bis dahin werden voraussichtlich auch mehr Przewalski-Pferde und Wisente die Kernzone bevölkern und sich selbst überlassen werden. Platz genug wäre ja da. „Sie werden nicht gefüttert, nicht tierärztlich versorgt, sondern der Natur überlassen“, betont Nitschke. Allerdings sind die männlichen Przewalski-Pferde in der Wildniskernzone alle kastriert. Das liege an den strengen Regeln des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms (EEP). Die Zucht finde nur kontrolliert im Schaugehege statt, sagt Nitschke. Der Genpol dürfe nicht zu klein sein. Bei den Wisenten ist dies übrigens nicht der Fall. Sie können sich frei entfalten und ganz nach Belieben paaren.

Die Fahrt im Auto geht nach rund drei Stunden durch die Kernzone der Naturlandschaft zurück in die harte Wirklichkeit. Auch die Wisente haben sich kurz vor Schluss noch mal kurz gezeigt. Ungestört machten sie sich an die kleinen und noch jungen Bäume heran. Was einen normalen Förster ärgern würde, sorgt bei Nitschke für ein breites Lächeln. Es funktioniert offenbar.

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Stefan Engelbrecht

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