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Rundgang durch das Neue Palais: Des Kaisers verborgene Kammern

Zahllose Türen finden sich in den Wänden im Neuen Palais. Die meisten stammen von Wilhelm II. Und hinter jeder versteckt sich eine Überraschung.

Von Peer Straube

Viel Platz hatte er nicht, der Kaiser. Jedes Bad in einem Plattenbau ist größer. Doch auf den wenigen Quadratmetern, versteckt hinter einer Ecktür, hatte Wilhelm II. allen sanitären Komfort, den die Zeit um die Jahrhundertwende zu bieten hatte: ein Bidet mit Wassertemperaturanzeige, eine Badewanne mit fließendem warmen und kalten Wasser, eine elegante Brause darüber, daneben ein Klingelzug – falls Seiner Majestät die Badeperlen ausgingen oder es ihn vielleicht nach einem Drink verlangte.

Hinter den prächtigen barocken Räumen in Friedrichs II. größtem Schloss, dem Neuen Palais, schlummert vieles, von dem der normale Besucher nichts mitbekommt. Verborgene Kammern, enge dunkle Treppenhäuser, gigantische Kellerräume, verstaubte Zimmer im Dachboden, sogar ein Tunnel. Der ursprüngliche Schlossherr hat mit den Geheimnissen des Neuen Palais’ wenig zu tun. Praktisch alles, was an Geheimem und Verborgenem dort vorhanden ist, ließ Wilhelm II. einbauen.

Schlosskastellan Jens Straßburger ist begeistert von der Behutsamkeit, mit der der Kaiser dabei vorging. Jeglicher neuer Komfort „wurde immer mit Rücksicht auf die historische Substanz“ eingebaut, sagt Straßburger. Und das war eben nicht einfach. Die Bäder, wenn auch klein, sicherten für damalige Verhältnisse eine „hohe Qualität der Körperhygiene“. Friedrich II. hatte sich noch mit Waschzubern und Nachttöpfen begnügt. „Es ist schon eine Kunst, etwas so geschickt in einem Haus unterzubringen, wo es das alles nicht gab“, lobt Straßburger.

Es ist Wilhelms Vater, der 99-Tage- Kaiser Friedrich III., der das Neue Palais aus dem Dornröschenschlaf reißt, in den es nach Friedrichs II. Tod gesunken war. In dem Schloss geboren, richtet Friedrich – damals noch als Kronprinz – 1859 dort seinen Sommersitz ein. Fünf Jahre später beginnt er mit ersten Modernisierungsmaßnahmen, baut Bäder, Wasserleitungen und Wasserklosetts ein. Für die Befüllung der Spülkästen sorgen Diener.

Richtig los legt dann aber Wilhelm II. Auch er wird im Neuen Palais geboren, das bis zu seiner Abdankung 1918 seine bevorzugte Residenz bleiben wird. Nach dem Bau des Schlosses sei Wilhelms Umbau die „erste große Generalinstandsetzung des Neuen Palais’“ gewesen, erklärt Straßburger. Der Monarch, der in Potsdam nicht als Deutscher Kaiser, sondern als König von Preußen angeredet wird, lässt dabei keinen Zweifel, wer im Haus Ross und wer Reiter ist: Wuselte das Gesinde zu Zeiten des Alten Fritz noch munter durch dieselben Treppenhäuser wie die Herrschaften, trennt Wilhelm nun die Dienerschaft ab. Er lässt vier neue Treppenhäuser einbauen, enge dunkle Stiegen, durch die sich die Lakaien nun im Verborgenen bewegen. Auf den Stufen sind noch die Ösen für die Teppichstangen zu sehen – schließlich wollte die königliche Familie möglichst wenig durch Dienergetrappel gestört werden. So ganz hat das wohl nicht funktioniert. „Wilhelm II. hat sich mal beim Oberhofmarschall beschwert, dass die Diener die Türen so laut geschlagen haben“, erzählt Straßburger schmunzelnd.

Auch die Zentralheizung seines Vaters lässt Wilhelm erweitern. Die Rippenheizkörper, die sich hinter kunstvoll gearbeiteten Gittertüren in den Wandpaneelen verbergen, werden von großen Dampfkesseln in den riesigen Kelleranlagen des Schlosses gespeist. Dort steht heute auch der Badeofen der Kaiserin – der letzte seiner Art. Trotz Zentralheizung ist es schwer, den Schlossräumen mit ihren teils mehr als 20 Meter hohen Decken Wärme einzuhauchen. Noch heute können Besucher selbst im Sommer ein Frösteln kaum unterdrücken – gefühlt ist das Neue Palais ein eisiges Schloss. Allerdings ist man um die Jahrhundertwende auch weniger verweichlicht als heute. „Es ist überliefert, dass die Temperatur im Grottensaal zur Weihnachtsfeier der königlichen Familie auf zwölf Grad gedrosselt wurde“, sagt Straßburger. Mehrere Meter hohe Weihnachtsbäume mit brennenden Wachskerzen und ebenso bestückte Kronleuchter brachten die preußischen Royals offenbar bereits ins Schwitzen.

Wilhelm II. nutzt jede Nische hinter Friedrichs Mauern – für die eigenen Bedürfnisse funktioniert er jedoch auch Schlossräume um. Ein Schreibkabinett aus dem 18. Jahrhundert wird zum Garderobenzimmer. Hinter schlichten Holztüren verbergen sich noch heute die beschrifteten Kleiderstangen. „General“ steht da etwa, „Infanterie“ und „Marine“. Darunter hingen die entsprechenden Uniformen, die Seine Majestät dem Anlass entsprechend wählen lässt. „Selbst betreten hat er das Zimmer nie“, sagt Straßburger. Dafür hat Wilhelm seinen Garderobier, der gleich nebenan wohnt und dem Monarchen das gewünschte Tagesoutfit ins Ankleidezimmer bringt.

Den Dachboden lässt Wilhelm für die Dienerschaft ausbauen – sie sind überraschend groß und dienen heute als Lager – wie die meisten der vor Besucheraugen verborgenen Ecken des Schlosses. Unter dem Boden liegen die Räume für die besseren Bediensteten wie Hauslehrer oder Kammerfrauen. Derzeit werden sie als Depot genutzt – riesige, mit Spinnweben behangene Bilderrahmen zieren die Wände. Hinter einer unscheinbaren Tür hält Straßburger eine Überraschung parat: Von einem kleinen Balkon genießt man aus mehreren Metern Höhe einen prachtvollen Ausblick auf den Boden des Marmorsaals – früher spielten dort Musikkapellen zur Erbauung des Publikums bei herrschaftlichen Festen im Saal.

Mit einer Unannehmlichkeit räumt Wilhelm II. gleich nach seinem Amtsantritt im Jahre 1888 auf. Bereits ein Jahr später liegen die Pläne für einen mehr als 100 Meter langen Tunnel vor, der vom Küchentrakt in den Communs unter der Mopke zum Neuen Palais führt. Durch den Tunnel wird das Essen auf einem Wagen ins Schloss gebracht, um zu verhindern, dass es kalt wird. Zu Friedrichs Zeiten mussten die Küchenmädchen die Schüsseln noch über den Platz tragen. Der Tunnel existiert noch, ist aber zu einem guten Teil einsturzgefährdet und daher mit massiven Trägern abgestützt.

„Alles Spannende, alles Geheimnisvolle an diesem Schloss stammt aus der Kaiserzeit“, sagt Straßburger. Der Kastellan wünscht sich, dass zumindest ein Teil dieser verborgenen Orte eines Tages der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Vielleicht durch spezielle Führungen mit überschaubarer Teilnehmerzahl. „Denn was wir hier sehen, ist der Lebensalltag bei Hofe.“

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