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Gut geschützt. Susanne Eckler, die im Spiel wahlweise Christie Huckevoll oder Hooks genannt wird, zieht sich neben den Rollschuhen auch Helm, Knie- und Ellenbogenschoner an. Blaue Flecke gibt es bei der Sportart, bei der der Gegner mit ganzem Körpereinsatz abgeblockt wird, trotzdem.

© Lisa Ducret

Roller Derby in Potsdam: Rebellinnen auf Rollschuhen

Aggressives Rempeln und blaue Flecke sind erwünscht: Roller Derby bedeutet Vollkontakt auf Rollschuhen. Frauen sind die Stars dieses Sports, mit Mädchenklischees wollen sie aufräumen.

Mein Job ist es, andere zu hauen“, sagt Hooks. Sie zieht sich Schoner über die Knie, schnürt ihre Rollschuhe und setzt den schwarzen Helm auf. Hooks, die eigentlich Susanne Eckler heißt, schnappt sich noch schnell eine Banane und rollt in die Ecke ihrer Mannschaft, der Bear City Roller Derby aus Berlin. Das runde, rotweiße Logo der Spielerinnen zeigt einen brüllenden Bär. Gleich geht’s los mit dem Wettkampf. In einer Turnhalle in Potsdam steigt das Bundesliga-Spiel gegen Frankfurt. Im Anschluss treten die Potsdamer Prussian Fat Cats gegen ein Team an, das bunt zusammengewürfelt ist. Hooks ist doppelt gefragt: zuerst als Spielerin bei den Berlinern. Dann als Trainerin bei Potsdam.

Roller Derby ist ein Sport, von dem Hooks begeistert ist, den viele jedoch nicht kennen. Frauen mit Rollschuhen, aggressiver Körperkontakt, zwei Mannschaften und kein Ball: Mit diesen Merkmalen lässt sich Roller Derby kurz beschreiben. Jedes Team hat 15 Mädels, die auf einer ovalen Bahn unterwegs sind. Es spielen aber immer nur fünf, die alle zwei Minuten ausgetauscht werden. Ein Match besteht aus zwei Halbzeiten zu je 30 Minuten. Grob geht es darum, dass eine der Frauen, die Jammerin mit Stern am Helm, die Spielerinnen des Gegners passieren muss. Die Frauen des anderen Teams versuchen, sie durch Körpereinsatz daran zu hindern. Wenn es die Jammerin an den Gegnerinnen vorbeischafft, bekommt sie pro überholter Spielerin einen Punkt. Am Ende gewinnt die Truppe mit den meisten Punkten.

„Mein bürgerlicher Name wird oft mit Susi abgekürzt. Das passt überhaupt nicht zu mir"

„Soziales und politisches Engagement spielt in vielen Roller-Derby-Mannschaften eine Rolle“, sagt Hooks. Einige Teams skaten bei Demonstrationen zum Christopher Street Day oder der Gay Pride mit, manche sind aktiv in der Stadt- und Kommunalpolitik. Der nationale Verband, Roller Derby Deutschland, positioniert sich auf seiner Webseite klar gegen jede Art der Ausgrenzung und Diskriminierung. „Ich glaube, viele würden sich feministisch nennen“, sagt Hooks über die Roller-Derby-Szene.

In der Derby-Gemeinschaft hat jede Spielerin einen weiteren Namen, den sie sich aussucht. „Mein bürgerlicher Name wird oft mit Susi abgekürzt. Das passt überhaupt nicht zu mir, der Klang gefällt mir nicht“, so Hooks. Der volle Zweitname der 29-Jährigen lautet Christie Huckevoll, abgeleitet von „du kriegst die Hucke voll“ - kurz Hooks. Andere Team-Mitglieder nennen sich etwa Karo’Bolage, Pollytrauma und Rodeo.

Wie die Namen erahnen lassen, geht es im Wettkampf nicht zimperlich zu. Auf der Position als Blockerin ist es wichtig, Raum einzunehmen, sich breit zu machen. „Zusammen mit anderen stark zu sein“, nennt Hooks das.

Die Frauen sind mit Helm, Knie- und Ellenbogenschützern ausgerüstet. Das erhöht die Sicherheit bei den Versuchen, die Gegnerinnen aus dem Feld zu drängen oder am Vorbeikommen zu hindern. „Vollkontakt-Sport heißt: Wir spielen mit dem ganzen Körper. Es gibt legale Zonen, mit denen ich blocken darf, vor allem mit dem Oberkörper.“ Sechs Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter beobachten die Rempeleien genau. Immer wieder ertönt die Pfeife und Spielerinnen müssen für ein paar Minuten auf die Strafbank.

Auf flacher Strecke ist das Roller Derby praktisch in allen Hallen möglich

Die Regeln kommen vom Weltverband Women’s Flat Track Derby Association in den USA. Mehrere Hundert Clubs sind darin organisiert. In seinem Ranking werden rund 250 Teams weltweit gelistet. Das Berliner A-Team stand Ende Mai auf Rang 28. Die Bestenliste wird oft von Mannschaften aus Australien oder den USA angeführt.

In Amerika hat der Sport auch seinen Ursprung. Etwas mit dem Namen Roller Derby gab es – so berichtet der Verband – schon in den 1920er Jahren, damals in Form von Wettrennen. Daraus entwickelte sich in den 30er und 40er Jahren ein Wettkampf für Teams. Die Rangelei auf Steilbahnen wurde mehr und mehr zur Show mit Stunt-Einlagen und Geschichten auf Drehbuchbasis, ähnlich dem Kampfsport Wrestling. Und geriet später ins Abseits.

Das Revival des modernen Roller Derbys wird auf die Nullerjahre datiert, in Austin im US-Bundesstaat Texas. Die Spielerinnen der Texas Rollergirls organisierten das Spiel neu auf einer flachen Strecke. Dadurch wurde der Sport praktisch in allen Hallen möglich und war nicht mehr an eine Steilbahn gekoppelt.

Bei uns fristet dieser Rollschuhsport eher ein Nischendasein. Starke Teams, die in der Bundesliga spielen, gibt es vor allem in Großstädten wie Berlin, Frankfurt, Stuttgart und München. Dass Roller Derby relativ unbekannt sei, könnte daran liegen, dass wenig darüber berichtet werde, sagt Ilse Hartmann-Tews, die sich an der Sporthochschule Köln mit Soziologie und Genderforschung beschäftigt. Sportlerinnen seien in den Medien zu wenig präsent.

Männer spielen nicht die Hauptrolle: "Das soll auch so bleiben"

Deswegen will Hooks auch nicht, dass Männer in ihrem Team mitspielen. Die meisten Sportarten seien von Männern dominiert, sagt sie. Frauenmannschaften existierten meist „so daneben“. Roller Derby rückt hingegen Frauen in den Fokus. Es gibt auch einige Männer-Teams, die aber nur eine Nebenrolle einnehmen. „Das soll auch so bleiben“, meint die 29-Jährige.

In der Woche bewegt sich Hooks durchschnittlich acht bis elf Stunden auf Rollen. Dazu kommt das Fitness-Programm. Für die Organisation, etwa die Arbeit für den Verein, braucht sie „locker noch mal so viel Zeit“. Weil sie freiberuflich in einem Kollektiv arbeitet, lässt sich der Beruf relativ gut um ihr „übergroßes Hobby“, wie sie sagt, herumplanen. Sie moderiert Veranstaltungen und Gesprächsrunden für Gruppen. „Der Sport hat mich selbstbewusster gemacht“, resümiert sie. „Jetzt kann ich klarer sagen, was ich will. Man überwindet diesen Reflex zu denken ,Ich bin klein und will zurück in mein Loch’.“

Beim zweiten Spiel des Tages steht Helena Kürten mit Krücken und geschientem Bein an der Seite von Hooks. Die 28-Jährige feuert die Potsdamerinnen an. Kürten hat sich das Sprunggelenk beim Training verletzt und kann deshalb nicht als Chrrrelena Crash auf dem Spielfeld mitmischen.

Wen der Sport einmal gepackt hat, der bleibt oft mit Leidenschaft dabei

Ihr gefällt vor allem die Aggressivität, die Bewegung auf den Skates. Außerdem, dass so gut wie alles nur von Frauen gemacht wird - und dass man über sich hinauswächst. Aber ihre Verletzung? „Die Mädels haben sich sehr um mich gekümmert, mich ins Krankenhaus gefahren. Die Mädels waren Zucker.“ Ihre Eltern hätten sich noch nie ein Spiel angeschaut, sie fänden das komisch. Bei Freunden sei das anders, aber manche würden auch noch nach drei Jahren fragen, wo der Ball sei.

Brigitte Richter ist 72 Jahre alt und heute das erste Mal als Zuschauerin in der Halle. Der Grund? Weil sie neugierig gewesen sei, wie der Sport ihrer Tochter ablaufe. Neben zwei anderen Eltern von Spielerinnen sitzt sie auf einer Holzbank. „Ich finde es cool und aufregend. Da läuft einem richtig die Gänsehaut über, wenn die Sternenmädchen durchkommen.“

Wen der Sport einmal gepackt hat, der bleibt oft mit Leidenschaft dabei. Für Hooks jedenfalls ist Roller Derby längst mehr als ein Hobby. Dass ihre Eltern kein Interesse am Zugucken zeigten, ändere daran nichts: „Kranksein ist wie eine Beziehungspause.“

Ihre beiden Teams haben an diesem Tag gewonnen. Nach dem Spiel stehen die Fans der beiden Mannschaften gemeinsam Spalier und klatschen unter Jubelgeschrei die vorbeirollenden Spielerinnen ab. Zur Tradition im Berliner Team gehört es, den Derby-Tag mit einem Whiskey unter der Dusche zu feiern. Die blauen Flecken am Körper sind dann fast vergessen. (dpa)

Elena Metz

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